19. Kapitel

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     Das Rauschen der Dusche war das einzige Geräusch, das ich wahrnahm. Dejan hatte vor einer Minute aufgehört gegen die Tür zu klopfen. Das kalte Wasser lief in Strömen über meinen Körper, über meinen Kopf. Das Salz war längst abgewaschen, doch die Worte des Jungen klebten noch an mir.
     Er war nur ein Kind. Das sagte ich mir immer wieder. Nur ein Kind. Doch vermutlich war genau das das Problem. Kinder sagten immer, was sie dachten und seinen Worten nach zu urteilen sprachen seine Eltern nicht besser über Menschen mit mehr Gewicht.
     Sie sprachen nicht besser über sie und das war... es erschütterte mich. Kinder bekamen das nicht von ungefähr. Sie bekamen es von Zuhause, von der Schule, vom Kindergarten... von überall eben.
     Und ich wusste nicht, wie ich das ändern sollte. Ich wusste nicht, wie ich es ändern konnte. Eigentlich sollte es mir egal sein. Ich sollte nicht daran denken.

     Das Rauschen des Wassers konnte die Worte nicht übertönen. Egal wie sehr ich es versuchte. Es war weiterhin laut, weiterhin nervig und daran führte einfach kein Weg vorbei. Egal was ich versuchte, egal wie sehr. Es ging einfach nicht.
     Die Stimme des Jungen wurde in meinem Kopf immer lauter, immer schneller. Und ich konnte nichts dagegen tun. Konnte nichts daran ändern. Das Wasser rauschte noch immer, ich drehte es weiter auf, um die Stimme des Jungen zu verdrängen, doch es klappte einfach nicht. Sie war noch immer da, klar und deutlich. Wie ein endloses Echo auf Endlosschleife. Ich wurde es nicht los. Dazu dröhnte das Lachen noch lauter in meinem Kopf.
     Unaufhaltsam. Langsam aber sicher hörte ich immer mehr die Worte von meinen lieben Arbeitskollegen und Kolleginnen. Die Worte drangen immer mehr zu mir durch und hörten einfach nicht auf.
     Sie waren da. Ein ständiger Begleiter. Ein ständiges Echo. Und es hörte einfach nicht auf. Egal wie sehr ich es wollte. Die Worte des Jungen und die Worte der anderen vermischten sich zu Einem. Alles, was ich dann noch eine Zeit lang hörte war das dröhnende Lachen.

     Nicht nur vom Jungen, sondern von allen, die je über mich gelacht hatten. Und es schien nur noch schlimmer zu werden. Immer und immer wieder.
     Es hörte gar nicht mehr auf. Irgendwann spürte ich, wie meine Haut begann taub zu werden durch das kalte Wasser. Und egal, was ich dachte, die Stimmen hörten auch deswegen nicht auf.
     Also drehte ich das Wasser ab und starrte auf die Fließen vor mir. Immer und immer weiter. In der Hoffnung, dass sie mir helfen könnten. Doch auch sie konnten das nicht.
     Die Stimmen waren noch immer da. Diesen Moment in der Dusche hatte ich schon öfter gehabt. Ich wusste, was mein Körper tat. Allerdings hatte ich das schon ewig nicht mehr so gespürt. Nicht in diesem Ausmaß. Und doch war es nun so. Und doch drehte ich fast durch. Ich spürte es tief in meinen Knochen. Und doch konnte ich einfach nichts dagegen tun. Mein Körper und mein Kopf drehten gerade durch.

     Immer und immer schneller. Die Worte wollten einfach nicht aufhören. Sie kamen immer wieder. Egal was ich versuchte.
     Also starrte ich nicht länger die Wand an, sondern begann aus der Dusche zu steigen, was sich als schwierig herausstellte, da ich am ganzen Leib zitterte. Und wie ich zitterte.
     Immer und immer wieder. Es war schrecklich. Das Handtuch fiel mir aus der Hand und landete am Boden. Erneut hob ich es auf und klammerte mich fest daran, in der Hoffnung, dass es diesmal nicht mehr fallen würde.
     Und tatsächlich blieb es diesmal in meiner Hand, bis ich mich angetrocknet hatte. Ein kleines Wunder. Zumindest für mich. Nun aber kam meine Kleidung. Unterwäsche und ein Kleid.

     Unsicher betrachtete ich das Kleid. Ich wusste, welches es war. Dejan hatte es immer für mich hier. Und es war schön gemütlich und nicht zu lang. Und obwohl ich das wusste, wusste ich nicht, ob ich es tragen sollte oder nicht. Es war mir ein Rätsel. Unschlüssig also sah ich das Kleid an und entschied erstmal mit der Unterwäsche zu kämpfen. Zumindest klappte das.
     Diese Aufgabe lenkte mich zumindest von meinen Gedanken ab. Das war zumindest ein Fortschritt. Irgendwie. Ich dachte also nicht mehr daran.
     Für ein paar Sekunden. Ein Zucken ging durch meinen Körper, als ich die Klingel hörte und mich fragte, wer das nun sein könnte.
     Gespannt lauschte ich den Stimmen, doch hörte nichts. Ich hörte nur Dejan, der die Tür öffnete. Gedämpft drangen Worte durch die Tür, die ich nicht entziffern konnte. Auch konnte ich nicht hören, wer genau mit ihm sprach.
     Seufzend wandte ich mich wieder an das Kleid.

Das Rätsel des VertrauensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt