Im Dunkeln sah das Meer noch faszinierender aus als am Tag. Dank des Lichtes an Bord erkannte man etwas in der Dunkelheit. Man erkannte die Wellen, die gegen die Yacht schlugen und man hörte die Brandung am Strand rauschen, neben dem lauten Wind. Ich betete, dass wir den Sturm und auch andere den Sturm heil überleben würden. Dabei dachte ich an das kleine Schlauchboot und fragte mich, ob sie es rechtzeitig in Sicherheit geschafft hatten oder ob sie mitten im Sturm waren.
»Wirkt der Tee bereits?«, fragte Vaughn mich leise. Stacy war im Sitzen nämlich eingeschlafen. Wie auch immer sie das geschafft hatte. Sie saß noch immer dort, wo ich sie mit dem Koch hatte reden hören und schlief. Einfach so. Als tobte da draußen kein starker Sturm und als würden nicht nur dünne Wände uns davon trennen, vom Wind erfasst zu werden.
»Noch nicht ganz«, murmelte ich in meine Tasse hinein und nahm noch einen tiefen Schluck. Meine Nerven schienen sich in seiner Nähe nicht beruhigen zu können. Besonders, da er so nah neben mir stand und ich seinen Duft nach einem tropischen Deo und dem Waschmittel wahrnehmen konnte, mit dem er seine Wäsche hier an Bord wusch.
»Ich kann dir nicht sagen, dass du dir keine Sorgen machen sollst. Allerdings kann ich dir sagen: Wir haben alles im Griff. Diese Yacht hat schon schlimmere Stürme überstanden.« Seine Worte waren nett gemeint. Vaughn hatte mir noch nie befohlen, was ich fühlen sollte. Aber er sagte immer etwas, um mir klar zu machen, dass ich mich manchmal in meinen dunklen Gedanken verlor.
So war es schon öfter gewesen. Vaughn hatte das bemerkt und immer dafür gesorgt, dass ich ihnen entkam. Er hat mir nie befohlen, was ich fühlen soll, sondern mir in kleinsten Details erzählt, wieso es sicher war oder wieso ich mir keine Sorgen machen musste.Da ich nichts sagte, sah er sich wohl gezwungen mit mir zu sprechen und mir weiter zu erklären, warum ich mir keine Sorgen machen sollte.
»Meine Crew und ich haben schon viele Stürme hinter uns. Wir liegen gut. Der Wind pfeift zwar sehr stark, doch vorhin haben wir eine zweite Heckleine gelegt und liegen nun noch besser und stabiler. Der Wind und die Wellen können der Yacht nichts tun und auch ein Blitz wird durch die Blitzableiter abgeleitet. Es ist alles sicher. Solltest du dich dennoch unwohl fühlen, kannst du mich und die anderen alles fragen, was du wissen möchtest. Jeder wird dir deine Fragen beantworten.«
Er wirkte so sicher. So sicher, dass uns nichts passieren würde. Und ich? Ich ließ mich darauf ein es zu glauben. Ließ mich darauf ein zu verstehen, was er sagte. Denn er hatte ja recht. Die Crew und er wussten was zu tun war und ich musste darauf vertrauen, dass alles in Ordnung war.
Entspannung machte sich in mir breit, auch wenn sie nicht ganz so stark war, wie sie hätte sein sollen. Langsam begann der Tee zu wirken und ich ließ mich von dem nostalgischen Gefühl davontragen, was der Geschmack in mir auslöste.
Mein Kopf hörte auf sich auf den Sturm zu fokussieren sondern auf das Gesicht meiner Großmutter, was vor meinem inneren Auge auftauchte und nicht mehr verschwand. Ein Teil von mir vermisste sie. Vermisste sie sehr.Doch ich wusste, dass jedes Leben ein Ende hatte. Manchmal früher, manchmal später. Meine Oma war zu früh gegangen und doch hatte sie das nie beklagt. Sie hatte gelächelt und gesagt, dass sie ihr Leben gelebt habe und das sie keine Angst vor dem Tod habe.
Und das hatte sie selbst bei ihrem letzten Atemzug bewiesen. Sie hatte gelächelt. Für einen Moment war ich einfach in meiner Kindheit. Bei meiner Großmutter. Dort war alles leichter, besser. Es gab keine Sorgen um den nächsten Tag, keine Sorgen, wie die Zukunft aussah. Man lebte nur im Hier und Jetzt.
Das half mir immer dabei, wieder zur Ruhe zu kommen. Half mir dabei, mich vollkommen wohlzufühlen. Auch, wenn es leichtes Mogeln war. Ich mogelte, doch es war mir egal. Nur so konnte ich manchmal meine Nerven beruhigen. Nur so konnte ich mich davon abhalten meinen Gedanken in dunkle, trostlose Tiefe zu folgen, die mir Dinge ausmalte, die noch gar nicht da waren.
So war es leichter. Für mich und für alle. So müsste Vaughn sich auch keine Sorgen mehr um mich machen, wenn es mir gut ging.
»Das glaube ich dir. Es ist nur neu für mich. Einfach ungewohnt«, erklärte ich, obwohl ich das nicht musste. Vaughn wusste es auch so. Das hatte er mit seiner Sorge bewiesen. Deswegen lächelte er.
»Ich weiß. Deswegen wollte ich es dir noch mal sagen. Ich würde nie zulassen, dass jemanden hier etwas passiert. Besonders nicht dir.«
Mein naives Herz schlug wild in meiner Brust, doch in meinem Kopf schrillten die Alarmglocken und gewann die Oberhand, in dem er meinen Mund befahl, folgende Worte auszusprechen: »Ich sollte dir nicht wichtiger sein als der Rest der Crew.«
Stille folgte und Vaughn starrte mich an. »Das stimmt. Und das ist ein sehr nobler Gedanke und etwas, was jeder von uns für richtig erhalten sollte... aber ich bin ehrlich. Wenn ich jemanden retten müsste und nur eine Person retten könnte, würde ich dich retten. Weil ich ein Egoist bin.«
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Das Rätsel des Vertrauens
Roman d'amourAbgeschlossen Sita kann Vaughn nicht ausstehen. Was daran liegt, dass ein Vorfall, der in der Vergangenheit liegt, die Zukunft der beiden überschattet. Bis jetzt hat sie es ganz gut geschafft ihm aus dem Weg zu gehen, doch eine verpasste Fähre nach...