3 | Attraktiver Fremde

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Rosabella

"Signor Franchini, das-"
"Nenn mich doch bitte Federico." nennt er mir seinen Vornamen. Ich glaube sogar das meine Kollegen nicht mal wissen das er einen Vornamen hat!

"Das ist sehr freundlich von Ihnen. Aber ich kann das nicht. Wir kennen uns doch garnicht." teile ich meine Gedanken mit ihm.
"Rosabella, bitte nimm mein Angebot an." er erklärt es nicht mal. Warum sollte ich ihn plötzlich duzen? Was hat er davon?

"Ich muss jetzt auch wieder weiter." versuche ich die Flucht vor diesem Gespräch zu ergreifen.
"Denk darüber nach." ist das letzte was ich noch von ihm höre, bevor ich das Zimmer mit allen Unterlagen und Messutensilien verlasse.

Ich schiebe meinen Durchgangswagen wieder ins Schwesternzimmer und setze mich kurz auf einen der Drehstühle.
"Naaa?" Rebecca kommt mit ihrem Wagen um die Ecke.
"Wie liefs mit der 52?" nicht mal den Nachnamen nimmt sie in den Mund, aber ich soll sogar den Vornamen benutzt.
"Er hat mir angeboten ihn zu duzen." trete ich sogleich mit der Tür ins Haus.
"ER HAT WAS?!" schreit sie sofort los.
"Shh. Halt die Klappe." fauche ich sie an.

"Er hat gesagt du sollst ihn duzen?" flüstert sie nun auch.
"Er hat mir sogar seinen Vornamen genannt."
"Um Gottes Willen!" jetzt lässt sie sich auch völlig fertig auf einen Stuhl fallen.
"Er ist doch sonst immer so kühl." Flüstert sie ehrfürchtig. Und Rebecca haut so schnell nichts um.

"Und wirst du ihn jetzt duzen?" fragt sie mich ehrlich interessiert.
"Spinnst du! Von dem, was ihr mir über ihn und seine Familie erzählt habt, kann ich ihn doch nicht einfach duzen!
ER IST EIN FUCKIN FRANCHINI!" werde ich zum Schluss lauter.
"Ich weiß. Das ist echt krass." still schweigend sitzen wir nun da, und warten darauf das wir gebraucht werden.

***

Nach dem die Patienten zu Mittag gegessen hatten, sind wir die Tablettenschachteln einsammeln gegangen um sie neu zu richten.

Rebecca und ich haben über belanglose Dinge geredet bis ein gut aussehender junger Mann aus einem der Fahrstühle tritt und zielsicher zu uns, in Richtung Schwesternzimmer schreitet.
Er stellt sich in den Türrahmen und sieht uns einfach nur an. Seine Präsenz ist einschüchternd.
Da ich mir so doof vorkommen trete ich näher an ihn heran.

"Kann man ihnen vielleicht helfen?" frage ich den Jungen Mann höflich, welcher mich mustert. Seine Blicke machen mich nervös. Er steht einfach nur da und scannt mich ab, bis er wieder an meinen Augen ankommt. Schüchtern verlager ich mein Gewicht von dem einen Fuß auf den anderen.

"Ich bin hier um Signor Franchini zu besuchen." er sagt es so monoton und beiläufig als hätte er soeben nicht gerade den Namen Franchini über die Lippen gebracht. Ich bin wie erstarrt.

"Rosabella, was will der Mann von dir?" frägt mich meine Kollegin vom C Bereich.
Dem Fremden schleicht ein überraschender Schatten übers Gesicht. Doch als er meinen Blick bemerkt wechselt er wieder zu kühl und abweisend. Hab ich mir den plötzlichen Umschwung nur eingebildet?

"Brauchen sie etwas?" befrägt ihn meine Kollegin noch einmal.
"Ich bin hier um Signor Franchini zu besuchen." wiederholt er sich, jedoch ohne sie eines Blickes zu würdigen. Stattdessen klebt dieser auf mir.
"Rosabella, Signor Franchini liegt doch bei dir." versucht sie mich daran zu erinnern was mein Job hier ist. Und es hilft.

Ich erwache aus meiner starre und traue mich an wenige Worte.
"Zw-zw-zwei-un-un-fünf-f-f-zi-zig" stottere ich zu meiner eigenen Überraschung nur ein Wort.
"Wie bitte?" Gott. Diese Stimme. Sie ist stark und Rau, tief und hart. Ich höre einen Hauch der Belustigung heraus, welcher mir bekannt vorkommt.

Der Mann der nun genau vor mir steht ist in etwa 1,90 m groß und hat meerblaue Augen. Seine Haare sind braun und ordentlich gekämmt und leicht gegellt. Er trägt eine schwarze Anzughose mit einem weißen Hemd, mit passenden Schuhen. Durch das weiße Hemd kann man leichte Umrisse von Tattoos erkennen. Und wenn wir schon dabei sind, ist er auch reichlich durchtrainiert. Er ist einfach zum anbeißen heiß. Gott, Garret ist dagegen ein Witz.

Ich kratze mein ganzes Selbstbewusstsein zusammen um die nächsten Worte so standhaft wie möglich raus zu bringen.
"Signor Franchini liegt in Zimmer 52." ich bin richtig stolz auf mich, auch der Fremde mustert mich wieder. Diesmal aber ohne Gespött, eher mit stolz und Ernsthaftigkeit.
"Grazie." Bedankt er sich auf italienisch und verschwindet genauso schnell wie er gekommen war.

"Wer war denn dieser kalte Leckerbissen?" meldet sich Rebecca plötzlich von der Seite. Ich zucke vor Schreck zusammen und Schlag ihr deshalb auf den Oberarm.
"Heyyy, das tat weh." sie reibt sich die Stelle, so als hätte ich wirklich stark zugeschlagen.
"Erschreck mich nicht so!" gebe ich genervt wieder.

"Uuund?" ich sehe Rebecca fragwürdig an.
"Was und?"
"Also doch schwer von Begriff." sie kassiert sich von mir wieder einen Schlag ein. Doch diesmal lacht sie.

"Er wollte zu Signor Franchini."
"Und weiter?" ich dreh mich zu ihr.
"Wie und weiter?" Was will sie denn von mir wissen?

"Ja Nix und weiter. Mehr weiß ich auch nicht." Lasse ich sie nicht mal zu Wort kommen.
"Ja, dann finde es heraus." gibt sie frech von sich.
"Wie denn?" ich laufe zurück zu denn Medikamenten um sie fertig zu richten.

"In dem du dort ins Zimmer gehst und fragst." Rebecca kommt mir hinterher und stellt sich neben mich.
"Du spinnst doch!" Manchmal sind ihre Ideen echt absurd. Obwohl, eigentlich immer.
"Wieso? Signor Franchini liebt dich doch eh über alles."
"Jetzt übertreibst du aber!" natürlich liebt er mich nicht. Er kann mich nur leiden. Und warum das so ist, weiß ich selbst nicht.

"Tja, das ändert aber nix daran das—" meine beste Freundin wird von der Klingel unterbrochen, welche wieder schellt. Genervt stöhnt sie auf, da sie es hasst unterbrochen zu werden.
"Da hast du nochmal Glück gehabt." genervt fährt sie herum um zu sehen wer klingelt. Kurz darauf kommt sie mit einem strahlenden Lächeln zu mir zurück. Komisch. Wieso grinst sie so wie eine gestörte?

"Was grinst du jetzt so blöd? Es klingelt! Würdest du bitte auf Klingel gehen." mache ich sie auf ihren Job aufmerksam.
"Würde ich ja, aber es ist nicht mein Bereich." beichtet sie schulterzuckend. "Du bist ein Kameradenschwein! Rebecca, du kannst doch wohl einmal bei mir auf Klingel gehen." ich lauf schon Richtung Waschbecken um meine Hände an dem montierten Desinfektionsständer zu desinfizieren.

"Der Patient mag mich eh nicht, also warum sollte ich." ihre Aussage verwirrt mich. So gut wie jeder Patient kann sie gut leiden, da sie egal wen, wie einen richtigen Menschen behandelt und keinen auf Grund von Krankheiten, aussehen oder alter runter stuft. Noch dazu hat sie Humor. Was bei uns immer gut ist.

Noch immer verwirrt richte ich meinen Blick und erstarre zur Salzsäule.
Das kann nicht sein.
Das ist ein Witz.

Doch die Klingel ist der Beweis.
Dort steht in dicken leuchtenden Zahlen und Buchstaben:

Zimmer 52

𝐂𝐥𝐮𝐞𝐥𝐞𝐬𝐬Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt