Kapitel 46 - Der Anfang vom Ende

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Der Morgen des einunddreißigsten Oktobers war gekommen. Halloween. Das hier würde wohl so eine Nummer wie in Harry Potter werden, wo James und Lily an demselben Tag ermordet worden waren.
Alle waren wir an der Mauer versammelt, Rüstungen und Waffen tragend. Heute Morgen hatte ich erst mein Schwert aus Lothlórien wieder angelegt.
Fíli, Kíli, Bilbo und ich standen nah beieinander neben dem König, der mit seiner Krone auf dem Kopf grimmig hinunter blickte. Alle anderen Zwerge standen auf seiner anderen Seite versammelt.
Kíli und ich hielten uns bei den Händen und hatten beide unsere freie Hand auf die Brüstung gelegt.
Wie wir alle, starrten wir grimmig hinunter ins Meer von goldenen Rüstungen und Speerspitzen.
Thranduil saß majestätisch auf seinem Elch, daneben Bard und sein weißes Kaltblut. Noch bevor die beiden zum Stehen kamen, schoss Thorin einen Warnpfeil ab, der am Huf des Elches abprallte.
„Der nächste trifft Euch zwischen die Augen!", rief er und spannte den Bogen erneut.
Das wurde von einigen Kampfschreien der Zwerge begleitet. Bilbo, Fíli, Kíli und ich blieben still.

Ohne, dass der Elbenkönig einen Befehl geben musste, griff sein gesamtes Heer synchron nach ihren Bögen, legten Pfeile auf und zielten auf uns. Reflexartig bückten wir uns alle hinter die Mauer. Nur Thorin blieb stur aufrecht stehen.
Thranduil hob die Hand und seine Soldaten senkten ihre Bögen, im Gegensatz zu Thorin. Wir richteten uns wieder auf, um weiter grimmig hinunter zu starren.
„Wir kommen, um Euch zu sagen, dass die Begleichung Eurer Schuld angeboten und angenommen wurde", begann der Elbenkönig.
„Welche Begleichung? Ich habe Euch nichts gegeben! Ihr habt nichts!", bellte Thorin zurück.
Auf eine einfach Kopfbewegung des Elben hin, holte Bard ein leuchtendes Etwas aus seinem Mantel und hielt es locker in die Luft.
„Wir haben das hier!"
Erschrocken senkte Thorin endlich seinen Bogen und starrte ungläubig auf seinen Arkenstein in der Hand des fremden Mannes.
„Sie haben den Arkenstein", spielte Kíli gekonnt seine Rolle. „Diebe! Wie kommt das Erbstück unseres Hauses in Eure Hände?"
Ein bisschen musste ich mich schon anstrengen, nicht laut loszulachen.
„Dieser Stein gehört dem König!", setzte er noch drauf.
„Und der König soll ihn bekommen", verkündete Bard ganz entspannt. „Mit unserem Wohlwollen."
Damit warf er das Juwel einmal gekonnt in die Luft, und verstaute es wieder in seiner Tasche.
„Aber zuerst muss er zu seinem Wort stehen."
„Sie wollen uns zum Narren halten", murmelte Thorin kopfschüttelnd in unsere Richtung. „Es ist nur eine List", dann zur anderen Seite. „Eine dreckige Lüge!"
Darauf erntete er ungläubige, leicht entsetzte Blicke seiner Landsmänner. Die bemerkte er natürlich nicht und erhob wieder die Stimme:
„Der Arkenstein liegt in diesem Berg versteckt! Das ist eine Täuschung!"
„Nein, das... das ist keine Täuschung. Der Stein ist echt. Ich hab ihn ihnen gegeben", kam es leise von Bilbo.
Die Enttäuschung in Thorins Blick war sehr laut, als er sich zu seinem Hobbit umdrehte. Dabei sah er so verletzt aus, wie kaum einer ihn je gesehen hatte.
„Du...", stammelte er ungläubig, ehe blinder Zorn begann, alle anderen Gefühle zu übertreffen.
„Ich hab ihn als meinen vierzehnten Teil genommen", sagte Bilbo.
„Du hast ihn mir gestohlen", hauchte Thorin gefährlich ruhig.
„Dir gestohlen? Nein. Nein, mag sein, dass ich ein Dieb bin, aber doch ein ehrlicher, behaupte ich."
Wir alle sahen gespannt von einem zum andern, eher aus Angst um Bilbo und was Thorin ihm antun würde, als aus Wut, er habe den Stein gestohlen.
„Ich bin bereit, dafür auf meine Ansprüche zu verzichten", fuhr der Kleine noch entspannt fort.
„Auf deine Ansprüche?", knurrte Thorin und lachte bitter. „Deine Ansprüche... Du hast keine Ansprüche an mich, du elender Wurm!" Die letzten Worte brüllte er endlich und polterte gefährlich näher an den Hobbit heran.
Ich wollte mich zwischen die beiden stellen, meinen Freund verteidigen und das sogar physisch, wenn es sein musste. Aber das war nicht der Plan, und Kíli hielt mich wissend mit starkem Griff zurück.
„Ich wollte ihn dir schon geben", erwiderte Bilbo. Jetzt schien er bereits um einiges unsicherer, behielt aber seine Nerven. „Viele Male wollte ich es. Aber..."
„Aber was, Dieb?" Diese Worte spuckte Thorin regelrecht aus wie die schlimmste Beleidigung.
„Du hast dich verändert, Thorin! Der Zwerg, den ich in Beutelsend kennenlernte, hätte sein Wort niemals gebrochen! Hätte nie an der Treue der Seinen gezweifelt!" Endlich erhob der Kleine auch seine Stimme und ließ seinem Ärger freien Lauf.
„Du sprichst nicht zu mir von Treue!"
Thorin machte noch einen einschüchternden Satz auf Bilbo zu, nahm sich aber zurück und gab stattdessen den Befehl:
„Werft ihn den Wall hinunter!"
Das gab erschrockene Laute seitens der Zwerge, und Bilbo riss seine Augen auf. Er hatte die Situation unterschätzt.
Die Stille unsererseits war jetzt wieder sehr laut. Als Thorin bemerkte, dass wir alle offen seinen Befehl missachteten, sah er sich wütend um. Er fühlte sich so verraten wie noch nie zuvor, das war ihm ins Gesicht geschrieben.
„Hört ihr mich nicht?!", brüllte er und griff gewaltsam nach Fílis Arm, der sich aber noch losreißen konnte.
Geschockt über sein Verhalten musterten wir ihn, trauten uns aber nicht, auch nur ein Wort zu sagen.
„Dann mach ich es selbst!", entschied er, packte den armen Hobbit am Kragen und ließ ihn gewaltsam auf die Brüstung prallen. Dabei konnte keiner von uns ihn stoppen, obwohl viele sich selbst endlich physisch und verbal einmischten.
„Verflucht sollst du sein! Und der Zauberer, der dich uns aufgezwungen hat!"
„Wenn du mit meinem Meisterdieb nicht zufrieden bist, tu ihm bitte nichts!", dröhnte Gandalfs Stimme endlich von unten. „Gib ihn mir zurück!"
Er hatte sich seinen Weg durch die elbischen Reihen gebahnt und stand jetzt bei Bard und Thranduil.
„Bis jetzt machst du als König unter dem Berge keine sehr gute Figur, nicht wahr, Thorin, Sohn von Thráin?"
Perplex ließ Thorin den Hobbit los, den Fíli sofort von der Mauer weg zog. Dann übernahm ich. Schützend legte ich meinen Arm um den Hobbit und geleitete ihn den kurzen Weg zum Ende der Mauer, wo noch sein Seil von der letzten Nacht hing.
„Der Plan...", setzte er aufgewühlt an, als er nach dem Seil griff.
„Geh zu Gandalf in Sicherheit. Du kennst den weiteren Plan", antwortete ich leise, wobei Thorin mal wieder irgendeine Beleidigung brüllte.
Und schon rutschte Bilbo an der Mauer hinunter.

Mittelerde... Ernsthaft?! //Hobbit ff Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt