Kapitel 49 - Der Wolf klagt sein Leid in der Einsamkeit

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Ich wachte auf. Dieser Fakt allein war schon eine Überraschung.
Meine Sicht war noch sehr verschwommen, aber ich erkannte ein blasses Gesicht umrahmt von blonden Haaren.
„Warum hast du mich geweckt?", murmelte ich, noch nicht ganz bei Sinnen.
„Hör auf meine Stimme, komm zurück in die Welt der Lebenden. Wach auf, Charissa!"
Schon war ich hellwach.
„Ich heiße Charles", widersprach ich.
Legolas zog fragend eine Augenbraue hoch.
„Also jetzt. Charles Callisto."
Der Elb nickte.
„Was zur Hölle-", murmelte ich und erinnerte mich an meine Wunde. Vorsichtig tastete ich die rechte Seite meines Nackens ab. Da spürte ich Leinenstoff, als hätte jemand die Wunde verbunden.
Dann erinnerte ich mich an den Rest.
Mein Blick fiel nach links. Dort lag er. Man hätte meinen können, er würde ruhig und friedlich schlafen. Wären da nicht seine offenen leeren Augen und die klaffende Wunde an seinem Brustkorb.
Wieder in Schock, starrte ich auf den leblosen Körper. Ich blinzelte kaum und meine Augen waren weit geöffnet. Schnell bildeten sich wieder Tränen, die still ihren Weg über mein Gesicht fanden.
Wortlos setzte der Elb sich zu mir und zog mich sanft in eine Umarmung. Er legte meinen Kopf an seine Brust, sodass ich gezwungen war, meinen Blick von Kíli abzuwenden.
Ich verlor jedes Zeitgefühl. Ich hätte Stunden oder Tage in Legolas's Schulter weinen können, aber wahrscheinlich waren es nur wenige Minuten.

„Was ist mit Thorin?", fragte ich endlich. Und ich tadelte mich selbst dafür, dass ich an ihn nicht früher gedacht hatte.
Ich setzte mich auf, um dem Elbenprinzen ins Gesicht sehen zu können. Mitleidig schüttelte er den Kopf. Und der nächste Schwall Tränen kam. Erschöpft ließ ich mich nach vorn fallen, zurück an Legolas's Schulter.
Mit dem Verlust von einem von ihnen hätte ich vielleicht leben können, es nach vielen Jahren akzeptieren können und weitermachen. Aber nicht ohne beide. Ich wollte nicht mehr.

„Du kannst nicht hier draußen in der Kälte bleiben", brach der Elb bald das Schweigen. „Du bist nur am Leben, weil ich dich rechtzeitig gefunden habe. Sonst wärst du verblutet."
„Wäre besser gewesen", murmelte ich und wischte die Tränen aus meinem Gesicht.
Voller Mitleid und Sorge musterte er mich.
„Lass mich dir helfen."
Mit diesen Worten stand er auf, zog mich auf die Beine und stützte mich, sodass ich nicht direkt wieder umkippte.
Erst jetzt bemerkte ich die etlichen Leichen fremder Orks um uns herum, die definitiv noch nicht da gewesen waren, als ich ohnmächtig geworden war.
„Du hast alle getötet", fiel mir auf.
„Sie hatten euch umzingelt, als du.. geschlafen hast."
Ich drehte mich langsam um zu Kíli, und die nächsten Tränen landeten im roten Schnee.
„Ich kann ihn nicht hier lassen", hauchte ich.
Vorsichtig drehte Legolas mich wieder zu sich. „Sie werden sich später um ihn kümmern. Die Verwundeten gehen jetzt vor. Die Schlacht ist vorüber. Ich begleite dich zum Berg."
Wehmütig und unter körperlichem Protest bekam Legolas mich vom Rabenberg herunter. Ich konnte nicht hier bleiben, aber einfach zu gehen war viel schlimmer. Damit würde ich akzeptieren, dass ich mein Leben nun ohne ihn führen musste. Aber Legolas insistierte.

Wir kamen langsam voran, denn vom Schock und Blutverlust war ich sehr wackelig auf den Beinen, und zitterte am ganzen Körper. Irgendwann nahm Legolas mich einfach auf seinen Rücken, was aufgrund meiner aktuellen Größe kein Problem darstellte.
Hoch am Himmel erkannte ich Gandalfs große Adler, die übers Schlachtfeld kreisten. Ihre Arbeit war getan.
Ich sah wehmütig zurück zum Rabenberg und erkannte zwei der Vögel, die von dort aus abhoben und etwas in den Krallen zu tragen schienen. Sogar die entfernten Reiter erkannte ich; einer war Gandalf mit seinem spitzen Hut, der andere musste Bilbo sein.
Wir waren nur noch wenige Meter vom Tor entfernt, und ich ließ meinen Blick über die Toten schweifen.
Da schrie ich auf. Ich rutschte von Legolas's Rücken und rannte plötzlich voller Energie auf den toten Zwerg zu, den ich erkannt hatte.
Da lag Dwalin, die Axt noch in Händen, umringt von verstümmelten Feinden.
Fíli, schoss es mir sofort durch den Kopf. Ohne weiter nachzudenken, sprintete ich los zum Tor.
Legolas joggte hinterher, etwas verwirrt.

Mittelerde... Ernsthaft?! //Hobbit ff Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt