Die Welt stand still. Ich war gehüllt in einen Schleier aus Schatten und Leere, und ich bekam nicht mit, was außerhalb geschah.
Die Trauerfeier ging vorüber, und all die fremden Zwerge, die sich von Durins Söhnen verabschiedeten, bemerkte ich kaum. Am Ende war ich allein in der Halle der toten Könige und hockte noch immer vor dem Mamorsockel, das Gesicht verheult und die Augen geschlossen.
Die sanfte Berührung einer starken Hand auf meiner Schulter ließ mich aufschrecken. Neben mir stand Fíli und sah mitleidig auf mich herab. Niemand von uns sagte ein Wort. Er setzte sich zu mir und schloss mich in die Arme. Nach dem Zusammenbruch konnte ich zumindest wieder Trost in Körperkontakt finden.
Meine Schluchzer erstickte ich in Fílis schwerem Fellmantel, und er strich mir beruhigend durch die Haare.
So verweilten wir, bis ich endlich ruhiger wurde. Dann brach der neue König das Schweigen:
„Glaubst du, du schaffst es noch für die Krönung?"
Kurz war ich still. Da ich aber kaum eine andere Wahl hatte, nickte ich. Zu meiner Überraschung brachte ich sogar einen Satz zustande: „Aber... Ich kann ihn nicht allein hier lassen." Meine Stimme klang fremd, als gehörte sie jemand anderem, und sie war rau und kratzig.
Fíli umarmte mich fester. „Er ist nicht allein. Und er ist längst nicht mehr hier. Die Arbeiter warten vor der Tür, bis wir hier raus sind. Sie werden die Körper mit einer Goldschicht überziehen, damit sie ewig erhalten bleiben. Aber sie sind längst nicht mehr hier. Die Toten wandeln in Mandos' Hallen, weit im Westen. Mache nicht den Fehler und halte goldene Körper für deine verlorene Liebe."
Ein weiterer Schwall Tränen versickerte in seinem Fellmantel. Doch tief im Innern wusste ich, dass er recht hatte. Meine Sonne war fort. Aber sollte der Glaube des Bergvolkes stimmen, und selbst Zwerge waren in Mandos' Hallen willkommen, so gab es noch eine Chance, ihn wiederzusehen.
Mit dem Gedanken ließ ich mich endlich aus den toten Hallen ziehen.
Auf dem Weg zurück zur Oberfläche bot Fíli mir zur Stütze seinen Arm an. Ich wusste, dass er sich für mich verantwortlich fühlte. Ich war eben die Person, die sein Bruder am meisten geliebt hatte. Wir waren Familie. Und obwohl ich alle Zwerge der Gemeinschaft meine Brüder nannte, kam Fíli dem inzwischen doch am nächsten.*
Wieder hatte die übrige Gemeinschaft von Thorin Eichenschild sich im Gang so verteilt, dass sie einen Empfangsdurchgang für uns bildeten. Etwas lost war auch Bilbo dabei.
Fíli und ich standen im Torrahmen zum Thronsaal; die lange Brücke hin zum erneuerungsbedürftigen Königsstuhl gleich vor uns, die Brüstungen und Balkone am Rand der rundlichen Halle gefüllt vom gesamten neuen Zwergenvolk des Berges.
Vorn neben dem Thron standen Gandalf und Dáin, die jeweils ein purpurnes Kissen mit einer Krone in den Händen hielten.
Fíli und ich traten den Weg gemeinsam an, und sämtliche Zwerge begannen wieder, zu summen.
Vor dem Thron blieben wir stehen und drehten uns mit den Gesichtern zum Tor, wo unsere Brüder sich als kleines Publikum aufgestellt hatten.
Mein Blick schweifte von ihnen quer durch den Raum; hunderte, wenn nicht tausende Augen auf mir. Wieder kam etwas Panik in mir hoch; ich fühlte mich wie in einer Oper, aber ich war der Hauptdarsteller, der keine Ahnung hatte, was hier abging.
Fíli musste meine Nervosität spüren, denn er griff brüderlich nach meiner Hand. Das half zwar nur ein wenig, aber die Geste war süß.„Der König ist tot!", hallte Gandalfs Stimme im Berg wider. Er nahm die Krone von seinem Kissen, die eindeutig dieselbe war, die Thorin getragen hatte.
Er stellte sich hinter Fíli und erhob das Kunstwerk aus Gold und Silber über dessen Kopf.
„Lang lebe der König!"
Damit setzte er sie auf das Haupt meines Bruders.
„Lang lebe der König! Hail!", antwortete der Chor aus tausenden Zwergenstimmen.
Fíli verbeugte sich selbst vor seinem Volk, dann ließ er meine Hand los und setzte sich auf seinen rechtmäßigen Thron.
Als nächstes schritt Gandalf an mir vorbei und nahm die zweite Krone vom Kissen in Dáins Arm.
Bevor der Zauberer hinter meinem Rücken verschwand, bekam ich einen guten Blick auf das Kunstwerk; es war mehr ein königlicher Stirnkranz, als eine Krone. Ganz aus Silber, hier und da ein paar Details von Mithril. In der Mitte reichte eine Spitze auf das Nasenbein herab, geschmückt von der Zwergenrune für »D«—Durin. Darüber thronte ein schimmernder Halbmond. Den Kranz hatten sie eindeutig nur für mich neu geschmiedet. Und das nachdem sie realisiert hatten, dass ich nicht mehr als ein Mond ohne Lichtquelle war. Trotzdem war links und rechts vom Halbmond jeweils ein kleiner Stern eingraviert. Einen schöneren Kopfschmuck hätte ich mir nicht wünschen können.
Endlich hielt Gandalf die Krone über meinen Kopf und sprach laut: „Und Hail auch Callisto Adaneth aus dem Hause Durin, Prinz unter dem Berge, Erbe von Thorin Eichenschild!"
„Hail!", erwiderte das Zwergenvolk. Mein Volk. Aber das alles ohne Kíli zu erleben, tat zu sehr weh. Mein Herz war so oder so schon gebrochen. Das hier war so, als würde jemand versuchen, Blumen in eine Vase zu stellen, die längst zersplittert auf dem Boden verstreut lag. Und so war mein Blick kalt und ausdruckslos, als Bilbo mich zeichnete. Denn er hatte wohl den Job als "Krönungsfotograf" bekommen, da momentan kein professioneller Künstler vor Ort war.*
Als nächstes wurde ich hinunter in die Ahnenhalle geschleppt. Ich wollte nur zurück in meine Wohnung, mich wieder in bequeme Klamotten schmeißen und mich im Bett unter der Decke verstecken und heulen. Aber der Fakt, dass ich überhaupt ins Bett wollte, war schonmal ein Fortschritt. Zumindest eine Veränderung.
Die Ahnenhalle, die natürlich noch immer einen Boden aus reinem Gold hatte, war für ein großes Festessen vorbereitet worden; etliche lange Tische standen aneinander gereiht da, mit genug Stühlen für jeden Zwerg. Vor Kopf stand quer ein weiterer langer Tisch mit vierzehn Stühlen. Die beiden in der Mitte, die das ganze Geschehen am besten überwachten, waren die am prunkvollsten geschmückten. Dort nahmen Fíli und ich Platz. Neben mich setzte sich Bilbo, daneben Gandalf. Auf Fílis andere Seite kamen erst Dáin, dann Balin. Der Rest der Gemeinschaft setzte sich bunt gemischt irgendwo an unseren Tisch.
Natürlich gab es ein königliches Menü mit mehreren Gängen. Damit ging es aber langsam voran, denn alle waren in sentimentale und gleichermaßen feierliche Gespräche vertieft. Sie erzählten Geschichten über die gefallenen Helden, sangen ihnen Lieder und tranken auf ihr Leben. All die Worte über meine verlorene Liebe zogen meine Stimmung noch weiter runter als sowieso schon, und ich schaltete komplett ab.„Charly?", fragte Bilbo leise, um mich aus meiner Starre zu holen. Die Vorspeise war längst aufgegessen und die anderen aßen munter am zweiten Gang. Ich hatte bis jetzt nichts angerührt und wieder nur ins Leere gestarrt.
„Hm?", machte ich ausdruckslos, die Augen noch immer unfokussiert.
„Entwickelst du eine Essstörung?" Dabei klang er ganz ernsthaft besorgt.
Endlich bekam ich meinen Blick vom goldenen Boden weg und drehte mich zu dem Hobbit. Auch wenn ich meine Stimme langsam wiederfand, konnte ich doch nur leise und schwach sprechen:
„Nein, keine Sorge. Ich.. kann nur nicht einfach so tun, als wäre nichts passiert. Einfach normal mit meinem Leben weiter machen. Selbst etwas einfaches wie essen fühlt sich ohne ihn falsch an."
In dem Moment rief Bofur irgendwas laut über den Tisch, sodass ich zusammen zuckte. All die Geräusche, die fremden Leute und vielen Eindrücke machten mich nervös. Ich wollte doch nur in mein Bett. Oder besser noch, einfach nicht mehr existieren.
Bilbo wollte beruhigend seine Hand auf meine legen, hielt sich aber im letzten Moment zurück, da er sich erinnerte, dass ich das in letzter Zeit nicht gewollt hatte. Mittlerweile brauchte ich das aber wieder, also griff ich selbst nach seiner Hand und sah ihn dankend an.
Er lehnte sich weiter zu mir vor, um irgendwie privat mit mir reden zu können.
„Ich hab dir noch nicht gesagt, dass ich mich nach der Feier auf den Weg mache. Ich wollte warten, bis du wirklich antworten kannst. Gandalf wird mich begleiten. Du könntest mitkommen? Ich könnte friedlicher schlafen in dem Wissen, dass ich für dich da sein kann. Wer weiß, wie es dir gehen wird, solltest du allein im Schatten des Berges bleiben?"
Dankend drückte ich seine Hand, aber ich schüttelte den Kopf.
„Ich kann nicht hier weg. Noch nicht. Vielleicht wäre es besser für mich, aber ich kann mich nicht so plötzlich von hier losreißen."
Ich wollte ihm ein aufrichtiges Lächeln schenken, aber ich brachte nichtmal zuckende Mundwinkel zustande. Verstehend nickte Bilbo, dann widmete er sich wieder seiner Mahlzeit. Endlich rührte ich auch meine Vorspeise an.
Ich wusste, dass ich sein Angebot hätte annehmen sollen, wenn ich wieder leben wollte. Aber das war der Punkt. Ich wollte es nicht. Ich konnte nicht hinaus in eine Welt ohne Kíli. Ich würde entweder auf ewig in meiner dunklen Wohnung verrotten, oder...
Ich konnte in keiner Welt ohne ihn leben.*
richtig smart jetzt erst zu fragen weil nur noch n paar kapitel übrig sind, aber wann is eigentlich so die beste uhrzeit für euch zum hochladen?
eher so morgens (8-12), mittags (14/15 uhr) oder so abends (18-20 uhr)?~ 💀👑
(Bearbeitet: 25.03.2023)
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Mittelerde... Ernsthaft?! //Hobbit ff
FanfictionCharly Brown. Gerade mal 20 Jahre alt und schon britischer Meister im Fechten. Ihr Fandom? Natürlich alles rund um Mittelerde. Alles scheint in ihrem Leben perfekt, doch als sie eines Morgens aufwacht, findet sie sich plötzlich in Mittelerde wieder...