Montag. Noch vier Tage. Tom fieberte dem Wochenende entgegen. Seit zwei Wochen war er in der Kaserne am Rand des Ruhrgebiets „eingesperrt". Das Ziel war Freitag, der 21. Juli 1972, sein erster Wochenendurlaub. Er überprüfte jeden Abend, ob sein roter Käfer noch auf dem großen Parkplatz außerhalb der Kaserne stand. Sein Vater hatte ihm das Auto spendiert, weil am Freitagabend keine Heimreise ins Sauerland per Bahn oder Bus mehr möglich war. Zur Feier des Tages ging er mit einigen seiner Stubenkollegen in die nächstbeste Kneipe.
„Muttis" war proppenvoll und total verräuchert, der Lärmpegel extrem. Mehr als zwei Bier waren nicht drin, denn als neue Rekruten mussten sie um 10 in der Unterkunft sein. Als Tom mit seinen Zimmerkollegen Richtung Kaserne aufbrach, wurde er im Ausgang der Kneipe angerempelt.
„Sorry," sagte der lange, dünne, blonde Mann, der etwa so alt war wie Tom, also 18.
„Macht nichts," murmelte Tom geistesabwesend.
„Bist Du nicht Tom?"
„Schon. Kennen wir uns?"
Der Mann sah sich um und hielt Tom am Ärmel fest, dessen Begleiter nichts bemerkten und weitergingen. Der Mann flüsterte:
„Nein, wie kennen uns nicht, aber Du kennst Malik. Ruf ihn an. Wann kannst Du das?"
„Morgen Abend. Was ist denn los?"
„Morgen Abend. Er wartet. Tschüss."
Und weg war er. Toms Gedanken rasten. Woher wusste Malik, der Libyer, der in Bonn einen Laden als Tarnung seiner eigentlichen Tätigkeit als Agent des libyschen Geheimdienstes besaß, dass er hier war? Und was mochte er von Tom wollen?
***
Martin hatte seit Toms Abreise aus Athen viel Zeit mit Xenia, seiner Verlobten, verbracht. Sie machten mehrere Kurierfahrten für den sozialistischen Untergrund in den Norden Griechenlands, wo ihre Widerstandsgruppe einen Bunker herrichtete, von dem aus die Straßenverbindung in die Türkei sabotiert werden sollte, falls die griechische Regierung das Nachbarland angreifen sollte oder die Türken nach Griechenland eindringen sollten. Die Anzeichen für einen Krieg mehrten sich. Martin und Xenia hatten Funktechnik, Nachtsichtgeräte, Werkzeug und Waffen transportiert. Jeden zweiten Abend telefonierte er von unterschiedlichen Telefonzentralen aus mit Phil und Dave in London.
Diese beiden sollten die IRA während der Verhandlungen mit der britischen Regierung beraten und wohnten in Michalis' Villa am Regent's Park. Da war viel Platz, denn die Uptones, die während des Semesters hier wohnten, unterhielten die Gäste auf den Mittelmeerfähren Nefertiti und Tutanchamun. Die Verhandlungen stockten, denn nach einem ersten Lichtblick, dem einseitigen Waffenstillstand der IRA, hatten sich die Parteien ineinander verbissen. Vor gut einer Woche hatte die IRA den Waffenstillstand beendet.
„Wie geht's jetzt weiter? Geht es überhaupt weiter?" fragte Martin.
„Ich habe ein ganz schlechtes Gefühl," sagte Phil. „Die britische Regierung hat sich keinen Millimeter bewegt, und die Radikalen in der IRA scheinen etwas zu planen. Barry versucht sie zu bremsen, aber sie hören nicht auf ihn und auf Dave und mich schon gar nicht. Die Provisionals, eine Abspaltung von der IRA, machen sowieso, was sie wollen. Wenn Barry mich nicht auf Knien gebeten hätte hierzubleiben, wäre ich längst in Athen. Dave und Anna auch."
„Ihr seid also kein bisschen weitergekommen?"
„Kann man es einen Erfolg nennen, dass die IRA sich verpflichtet hat, in Zukunft Anschläge so früh anzukündigen, dass keine Zivilisten getötet werden?"
„Wenn man sehr bescheiden ist."
Martin fuhr zu Sandy in Agios Andreas, wo einige aus der Gruppe am Grill im Garten versammelt waren. Er erzählte ihnen von Phils deprimierendem Bericht.
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Die richtigen Leute Band 7: Regentanz in Obervolta
Historical FictionAufgrund ihrer Verbindungen nach Libyen werden Tom und seine Freunde immer tiefer in die politischen Entwicklungen des Jahres 1972, insbesondere in Deutschland und arabischen Ländern, verwickelt. Zuerst wird Phil mit den deutschen TV-Journalisten Ha...