In Bonn herrschte mal wieder Nieselregen. Die vier Mitarbeiter des Stabes für besondere Aufgaben hielten in Klaus' Büro eine Dienstbesprechung ab. Sie tüftelten an dem Zeitplan der Flugzeugentführung, wobei sie von dem Datum, das ihnen der Lufthansachef genannt hatte, rückwärts vorgingen. Sie einigten sich darauf, das zweite Gespräch mit dem Vertreter der Palästinenser sollte in etwa einer Woche stattfinden. Dann hätten sie immer noch fast vier Wochen für die Feinplanung, und wenn sie sich mit Abu Reza noch nicht abschließend einigen konnten, wäre genug Zeit für einen weiteren Termin.
Als die Torwache anrief und Avis Ankunft meldete, bot sich Tom an, ihn abzuholen. Er wollte den Fußweg zu ihrem Dienstgebäude nutzen, um sich nach Thomas zu erkundigen. Der Israeli trug über Jeans und weißem Hemd einen leichten grauen Regenmantel. Tom grüßte ihn militärisch, man hatte schließlich Zuschauer. Das hinderte Avi nicht daran, Tom zu umarmen, der ihn mit einem Schirm vor dem Regen zu schützen versuchte.
„Thomas ist bei seiner Familie in Südafrika," berichtete er. „Ich habe ihn noch getroffen. Er hat mir aufgetragen, Dich zu grüßen. Er war ziemlich sauer auf Deine Gruppe."
„Er sollte froh sein, dass wir ihn so sanft behandelt haben."
„Er hat sich auch nicht über Eure Behandlung beschwert, aber er findet es unfair, dass Ihr ihm so viel Geld geklaut habt."
„Nicht zu viel als Strafe für seinen Verrat, finde ich."
„Vielleicht nicht. Was mich interessieren würde: hättet Ihr ihn wirklich umgebracht, wenn er weiter geschwiegen hätte?"
Tom schwankte. Natürlich hätten sie ihn nicht getötet, aber es würde ihre Entschlossenheit und damit in Geheimdienstkreisen ihre Glaubwürdigkeit unterminieren, wenn er das zugeben würde. Immerhin hatte der Mossad ihre Spur aufgenommen, und er konnte nicht einschätzen, ob der israelische Geheimndienst sie tatsächlich wie versprochen in Ruhe lassen würde. Er entschied sich für die Wahrheit:
„Wir töten keine Leute."
„Dein Freund Nikos hatte immerhin eine Pistole."
„Ein sehr kluger Mann hat mal gesagt, „wenn Dein Feind glaubt, dass Du eine Waffe hast, dann brauchst Du sie nicht". Die Pistole war gar nicht geladen."
Avi blieb stehen und sah Tom belustigt an.
„Ich würde ja gerne ein paar mehr von Euch kennenlernen. Thomas hat mir einige Anekdoten erzählt. Zm Beispiel, dass Ihr zwei seiner Agenten als Geiseln genommen habt, warum auch immer. Und dann laufen Euch anscheinend dauernd Ostagenten über den Weg, mit denen er dann in London glänzen konnte. Wo lernt man sowas? Macht der griechische Untergrund Schulungen, oder wie?"
„Learning by doing," grinste Tom. „Ich schätze mal, bei Dir war das nicht viel anders, als Du mit 15 von jetzt auf gleich Soldat warst. Du hattest das sicher nicht geplant, oder? Wir auch nicht. Wir sind da Schritt für Schritt reingerutscht. Ich zum Beispiel wäre nie zum griechischen Widerstand gekommen, wenn mich die Geheimpolizei nicht fälschlich beschuldigt hätte. Und wenn man erst mal erkannt hat, dass man das Richtige tut, dann versucht man auch, seine Aufgaben anständig zu erfüllen. Man lernt aus seinen Fehlern, und man lernt von seinen Freunden."
„Sind Dir eigentlich nie Zweifel gekommen?" fragte ihn Avi.
„Doch," gab Tom zu. „Und zwar immer, wenn die Gewaltfrage anstand. Wir haben lange Zeit Gewalt grundsätzlich abgelehnt. Aber wenn Dir zwei DDR-Spione eine Pistole unter die Nase halten, muss man schon mal von seinen Grundsätzen abweichen. Notwehr quasi."
„Dass ich gegen die Araber gekämpft habe, war auch Notwehr."
„Ich weiß. Deswegen kann ich gut nachvollziehen, warum Du Soldat und Geheimagent geworden bist. Das ist das Schlimme an Palästina. Die Israelis sehen ihr Leben von den Arabern bedroht, zu Recht, wie man gesehen hat, und die Palästinenser hassen Euch, weil sie wegen Euch ihre Heimat verloren haben. Ihr habt beide recht."
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Die richtigen Leute Band 7: Regentanz in Obervolta
Historical FictionAufgrund ihrer Verbindungen nach Libyen werden Tom und seine Freunde immer tiefer in die politischen Entwicklungen des Jahres 1972, insbesondere in Deutschland und arabischen Ländern, verwickelt. Zuerst wird Phil mit den deutschen TV-Journalisten Ha...