„Das ist doch mal ein Bahnhof," staunte Hamit, als sie in Liverpool ausstiegen. „Was für eine Halle!"
Die riesige Eisenkonstruktion trug ein Glasdach, sodass die Bahnsteige lichtdurchflutet waren. Das Äußere der Station war nicht minder imposant. An Fuß der breiten Freitreppe blieben sie stehen und bewunderten den alten Bau.
„Der erinnert mich an den Ramses-Bahnhof in Kairo," sagte Tom.
„Und das Ding da sieht aus wie der Parthenon-Tempel in Athen," meinte Phil und zeigte auf ein großes Gebäude auf der anderen Straßenseite.
Der Billardsaal, wo das Treffen mit dem IRA-Vertreter stattfinden sollte, war nur fünf Minuten entfernt und befand sich in einer ehemaligen Lagerhalle. In diesem Gebiet war nichts von der Pracht der Lime Street zu ahnen. Heruntergekommene Wohn- und Geschäftshäuser mit verrußten Fassaden und zerbrochenen Fenstern säumten löchrige Straßen. Die zahlreichen Pubs wirkten düster. Obwohl es gerade Mittag war, wankten Betrunkene über die Gehwege.
Der Billardsaal war in mehrere Räume unterteilt, in denen jeweils vier oder sechs Tische standen. Die meisten der fast ausschließlich männlichen Besucher sprachen mit starkem irischen Akzent. Es war dämmrig. Kalter Rauch, Schweiß und saures Bier vermischten sich zu einem unangenehmen Geruch. Tom ging zum Tresen und bezahlte 10 Shillings, oder, nach neuer Rechnung, 50 Pence für eine Stunde. Er bekam zwei Queues und ein Stückchen Kreide. Sie suchten sich einen Raum mit Pooltischen, in dem niemand anderes spielte.
„Kann noch jemand Billard?" fragte Klaus.
„Ich," meldete sich Hamit.
Die beiden lieferten sich eine spannende Partie, während Tom und Phil auf Hockern saßen und ihnen zuschauten. Ein junger, rotblonder Mann in einer schwarzen Schlaghose und einem rot-blau karierten Hemd kam herein und stellte sich an die Wand neben dem Eingang. Er beobachtete einen Augenblick Klaus und Hamit, dann ging er langsam auf Tom und Phil zu.
„Ihr seid nicht von hier," sagte er zu Tom. „Auf welchem Schiff fahrt Ihr?"
„Wir fahren mehr Zug. Eben angekommen. Aus London."
„Dachte ich mir. Ihr seid Kuriere, ja?"
„So ist es."
„Dann kommt mal mit. Nur Ihr beide."
Er führte sie ans Ende der Halle und öffnete eine schwere Stahltür. Über einen dunklen Hinterhof gelangten sie in ein Nachbargebäude, ein weiteres Lagerhaus. Neben der Tür war ein kleiner, leerer Raum mit einem blinden, vergitterten Fenster.
„Wartet bitte einen Moment."
Nach zwei Minuten kam ein etwa 50-jähriger, dunkelhaariger, sehr kräftiger Mann herein, dessen grobe Gesichtszüge einen eklatanten Gegensatz zu seiner freundlichen Stimme bildeten:
„Tom und Phil, seid mir gegrüßt. Pünktlich, pünktlich. Mein Name ist Sean. Ihr bringt uns also etwas vom deutschen Geheimdienst."
„Sehr erfreut, Sean."
Tom nahm den dicken Umschlag aus seiner Tasche und überreichte ihn dem Iren der ihn anlächelte:
„Danke. Was mich interessieren würde. Wir haben die Deutschen nicht gebeten, uns Informationen zu geben. Wie kommen wir zu dem Geschenk?"
„Wir sind nur die Boten," erwiderte Tom. „Man hat uns gesagt, die deutsche Regierung möchte zu einer Entspannung in Nordirland beitragen."
„Aha. Seit wann interessiert sich Deutschland für Nordirland?"
„Möglicherweise seit wir eine Regierung haben, die keinen Krieg in Europa will. Aber wie gesagt, wir sind nur die Boten."
„Ihr seid zu bescheiden. Ich weiß durchaus, dass Du, Tom, schon mal in Derry warst, und ich weiß auch, warum. Ihr habt unsere Leute aus Griechenland herausgeschmuggelt und seid mit Barry in Libyen gewesen. Und Du, Phil, warst in London bei der Delegation dabei, als wir diese völlig sinnlosen Gespräche mit der britischen rebierung geführt haben."
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Die richtigen Leute Band 7: Regentanz in Obervolta
Historical FictionAufgrund ihrer Verbindungen nach Libyen werden Tom und seine Freunde immer tiefer in die politischen Entwicklungen des Jahres 1972, insbesondere in Deutschland und arabischen Ländern, verwickelt. Zuerst wird Phil mit den deutschen TV-Journalisten Ha...