Phil hatte Mühe, als er um acht versuchte, die anderen zu wecken. Sie gönnten sich eine kurze, fast kalte Dusche.
„Ob wir heute auch im Anzug erscheinen müssen?" fragte Klaus.
„Nachher bestimmt nicht, und beim Frühstück sind sie sicher nicht so förmlich wie beim Abendessen. Zieht Euch lieber was an, das auch dreckig werden darf," riet ihm Phil. „Wer weiß, wo wir heute noch landen."
Tatsächlich ging es beim Frühstück eher locker zu, das in einem nüchternen Raum im Erdgeschoss eingenommen wurde. Es gab Weißbrot und Marmelade. Der Kaffee war stark, und die gekochten Eier schmeckten, warum auch immer, nach Benzin.
Nach dem Frühstück hatten sie noch eine halbe Stunde Zeit und wanderten durch die Straßen in der Umgebung des Hotels. Es war erstaunlich kühl. Im Gegensatz zu Kairo, wo man ständig angesprochen und auch angefasst wurde, ließ man sie hier in Ruhe. Viele Menschen trugen westliche Kleidung, und die meisten Frauen waren unverschleiert.
Der syrische Geheimdienstmajor wartete mit einem staubigen Renault R 16 direkt vor dem Hotel. Phil, Nikos, Klaus und Torsten zwängten sich zu viert auf die Rückbank, was erträglich war, solange sie fuhren. Wenn sie aber in einen Stau gerieten, und das passierte dauernd, fingen sie an zu schwitzen. Die Temperatur stieg von Minute zu Minute. Tom, der neben Amir saß, beobachtete den Kilometerzähler: sie schafften die vier Kilometer bis zu ihrem Ziel in sage und schreibe einer Stunde! Zu Fuß wären sie schneller gewesen.
Das Flüchtlingslager Yarmouk entsprach keiner ihrer Vorstellungen. Es gab weder einen Zaun noch Zelte oder Hütten. Wenn sie nicht gewusst hätten, dass hier seit 25 Jahren ausschließlich palästinensische Flüchtlinge lebten, wären sie nie auf die Idee gekommen. Sie fuhren eine Hauptstraße hinunter, wo es Geschäfte, Arztpraxen, Schulen und sogar ein Kino gab. Die Menschen sahen nicht anders aus als im restlichen Damaskus. Viele der drei- und vierstöckigen Häuser waren relativ neu.
„Täuscht Euch nicht," sagte Amir, der merkte, dass sie sich wunderten. „Hier wohnen Palästinenser, die nicht als arme Leute gekommen sind. Viele Kaufleute, Ärzte, Lehrer, Rechtsanwälte, und sogar Professoren. Wenn Ihr wollt, zeige ich Euch später ein anderes Lager, wo die armen Leute wohnen."
Sie bogen in eine enge Seitenstraße, und dass die Leute hier tatsächlich nicht gerade arm waren, zeigte sich daran, dass Amir Mühe hatte, einen Parkplatz zu finden. Als er endlich eine Lücke entdeckte, mussten sie fast einen Kilometer zurücklaufen. Im Erdgeschoss des Gebäudes, in dem Abu Reza auf sie wartete, war eine Apotheke, daneben der Eingang für die Wohnungen. Die Haustür stand offen. Im zweiten Stock klopfte der Syrer zweimal lang und zweimal kurz.
Ein junger Mann öffnete ihnen. Er trug eine Art braune Uniform, und in seinem Gürtel steckte eine Pistole. Durch einen dunklen, schmalen Flur gelangten sie in einen spärlich möblierten Raum, wo Abu Reza sie distanziert begrüßte. Außer einem Schrank gab es nur ein paar Sitzkissen.
Mit einer Handbewegung schickte Abu Reza den jungen Mann und den syrischen Major weg, und mit einer weiteren lud er die anderen ein, sich zu setzen. Phil übernahm die Vorstellung. Der Palästinenser klatschte in die Hände, woraufhin der junge Mann stumm Tee in kleine Gläser goss. Sie rührten mit winzigen Löffeln Zucker hinein und nippten an dem Getränk.
Klaus übernahm die Gesprächsführung und zählte all die Forderungen auf, die die Bundesregierung bereit war zu erfüllen. Abu Reza hörte ihm geduldig zu und machte sich Notizen. Er übergab Klaus eine Liste von Flüchtlingslagern, meist im Libanon, dem Westjordanland und im Gazastreifen, wo die Verhältnisse bedeutend unmenschlicher waren als in Yarmouk. Bei jedem Lager war notiert, was besonders dringend gebraucht wurde, von sauberem Wasser und Stromanschlüssen über die ärztliche Versorgung bis hin zu Grundschulen.
DU LIEST GERADE
Die richtigen Leute Band 7: Regentanz in Obervolta
Historical FictionAufgrund ihrer Verbindungen nach Libyen werden Tom und seine Freunde immer tiefer in die politischen Entwicklungen des Jahres 1972, insbesondere in Deutschland und arabischen Ländern, verwickelt. Zuerst wird Phil mit den deutschen TV-Journalisten Ha...