2 Bonn ist gar keine Stadt

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Tom erschrak, als Phil und Dave aus der Passkontrolle traten. Sie waren blass und sahen übernächtigt aus. Phils Vollbart war zausig. Tom und Nikos umarmten und küssten ihre Freunde.

„Jungs, ich habe Hunger," sagte Phil. „Können wir in die Cafeteria gehen?"

„Malik hat uns ein Riesenfrühstück versprochen," entgegnete Tom. „Das können wir ihm nicht antun. Die Fahrt dauert nicht lange."

„Wer ist Malik?" fragte Phil. „Ich dachte, Bilski will was von uns."

„Malik hatte doch mal das Geschäft in Athen, unser Kontaktmann, der erste, den wir da hatten," erklärte Tom.

„Das heißt, die Libyer wollen was von mir. Erzähl."

Tom gab ihm kommentarlos die Blätter aus dem Umschlag, und Phil studierte sie intensiv. Nikos wandte sich an Dave:

„Dave, was ist los mit Euch? Ihr seht fertig aus."

„Es ist einfach deprimierend. Die Moderaten auf beiden Seiten haben überhaupt nichts zu sagen. Die Regierung stellt selbst für minimale Kompromisse harte Bedingungen. Unterhalb von kompletter Entwaffnung der IRA geht nichts. Und die IRA-Leute haben Angst, dass ihnen die Mitglieder weglaufen und zu den noch Radikaleren gehen, wenn sie nicht auf ihren Maximalforderungen bestehen. Sie haben den Waffenstillstand nicht einfach aufgehoben, sie planen was." Er unterbrach sich. „Was hat der gerade gesagt? Mach mal lauter."

Tom drehte das Radio auf. Wie immer hatte er BFBS eingestellt, den britischen Soldatensender, der die beste Musik hatte. Jetzt liefen die 12-Uhr-Nachrichten. Phil sah von seinen Blättern hoch. Der Nachrichtensprecher las mit regelrecht bebender Stimme vor, was am Freitag passiert war: In Belfast waren um die 20 Bomben der IRA explodiert, alle innerhalb kürzester Zeit. Es gab etliche Tote und hunderte Verletzte. Bloody Friday, die Rache für den Blutsonntag. Im Gegensatz zu früheren Anschlägen habe es keine Warnung gegeben, sagte die Stimme aus dem Radio.

„Dann kann ich wohl endgültig meinen Koffer packen," stellte Phil sarkastisch fest. Dave war noch blasser geworden:

„Ich habe sowas befürchtet. Sie haben's also getan. Und das heißt auch, sie werden alles wahrmachen, was sie abends am Kamin gesagt haben."

„Und das wäre?" fragte Tom.

„Sie wollen noch mehr Anschläge machen, in Nordirland und in England, sie wollen einen regelrechten Bürgerkrieg. Sie wollen die Teile von Derry zerstören, die von den Engländern besetzt sind, vor allem die Innenstadt. Sie wollen den Engländern da das Leben zur Hölle machen."

„Und Dein Kindergarten?"

„Der liegt ein Stück außerhalb, hinter dem Creggan Burn Park. Aber Ihr wisst, was das heißt."

„Dass das noch viel schlimmer wird. Willst Du immer noch hin?"

Dave war sich gar nicht mehr so sicher, ob sich das Risiko lohnte, dem er sich als Kontaktmann der verfeindeten Parteien aussetzte:

„Das muss ich mit Barry und Anna besprechen."

Als wie naiv hatte sich ihre Hoffnung herausgestellt, durch den einseitigen Waffenstillstand der IRA einen Friedensprozess anzustoßen! In den letzten vier Wochen war ihnen von Tag zu Tag vor Augen geführt worden, dass keine Seite Frieden wollte – die Briten nicht, aber die IRA auch nicht.

Die Hardliner der IRA hatten überhaupt kein Interesse daran, durch Kompromissbereitschaft die Öffentlichkeit hinter sich zu bringen, die dann die Regierung auf die Dauer zu einem Einlenken hätte bewegen können, was Dave und Phil sich von ihrem Vorschlag eines einseitigen Waffenstillstands erhofft hatten. Westminster hingegen wollte die Niederschlagung des Aufstands und den totalen Sieg über die IRA. Phil hatte angesichts der niederschmetternden Nachrichten aus belfast Mühe, sich auf das libysche Papier zu fokussieren.

Die richtigen Leute Band 7: Regentanz in ObervoltaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt