∞ 9 Heaven or hell?

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Meine Koffer Phobie verschlimmerte sich um drei Stufen.
Die gesamte Zeit, in der man eigentlich den Blick zu den Stadträndern hätte wenden müssen, war ich damit beschäftigt gewesen, meinen Koffer in Schach zu halten, da er immer und immer wieder die anderen Koffer umwarf gegen die Knöchel der sitzenden Schüler prallte.
Dabei klang er so laut dass sich einige darüber beschwerten, dass es einem Erdbeben glich.
Beinahe hatte ich darüber nachgedacht ob dieses Biest einen eigenen Kopf hatte und es in Erwähnung gezogen, ob ich es einfach aus dem offenen Fenster neben mir schmeissen sollte.
Aber meine Klamotten waren dann doch zu wertvoll.
Selbst als wir ankamen, hatte ich ganze drei Anläufe gebraucht, um dieses Ding aus dem Bus zu heben.
Ich wollte mir die Gesichter meiner Mitschüler gar nicht vorstellen.
Zum Glück war dann Jake gekommen und hatte den Koffer auf den sicheren und sich nicht bewegenden Boden gehievt.
Und nun standen wir, zwei dutzend Schüler und ein leicht gutgläubiger Lehrer, vor einem wunderschönen Strand. Es war das Schönste, was ich je gesehen hatte. Was vielleicht auch daran lag, dass ich bisher noch nie Strandferien gemacht hatte. Ja, das war leider die Wahrheit. Nicht alle konnten sich jeden Sommer zwei Wochen Vergnügungszeit mit der ganzen Familie irgendwo in Spanien oder Italien gönnen. So war das Leben, es war unfair. Aber auch wenn ich noch immer im selben Land war, schien es mir doch wie das Paradies vorzukommen.
Der Strand war mit so hellen Sandkörnchen gespickt, dass er schon fast weiss wirkte.
Die blauen Wellen kräuselten sich, sodass weisser Schaum auf ihren Spitzen entstand. Sobald das Wasser aber über das sandige Ufer floss, löste er sicg auf.
Es war herrlich, ich konnte sogar bis zum Grund sehen, so klar war das Wasser.
Im nassen Sand steckten kleine Muscheln und immer wenn eine Neue Welle sie umspülte, glänzten sie in der hellen Sonne. Das Wasser brach die meisten Strahlen und so kam es, dass tausende gefangene Sonnenstrahlen im Wasser herum zu hüpfen schienen.
Ich atmete wohlig aus und fühlte bereits die Wärme auf meiner Haut. Es roch nach Strand.
Und am Strand, stand ein Haus. Nein, mehrere Häuser.
Falls das überhaupt Häuser waren.
Es waren mehr kleine Strandhäuschen, mit einem Dach aus einer merkwürdigen Kombination aus Ästen, Stroh und Kunststroh, das wohl alles in so einer perfekten Form hielt. Die Häuschen umfassteb wohl nicht mehr als zwei Zimmer, die Wände waren aus Palmenrohren und irgend einem abdichte-Zeug. Davon hatte ich keine grosse Ahnung.
Das Dach war rundlich und zu der Spitze hin nach oben gewölbt, die Fenster waren mit langen Ketten aus Muscheln und Glasperlen geschmückt.
Sie erstreckten sich, aneinandergereiht, bis zum Horizont der Sanddüne.
Es war unglaublich.
Ich hätte nicht gedacht dass Mr. Jones, der langweilige Primarlehrer, so etwas organisieren konnte.
Jetzt verstand ich zwar auch, wieso es nur zwei und dafür wohl teure Tage waren, aber diese Zeit reichte mir. Ich würde sie geniessen und nichts und niemand würde mich davon abhalten.
Die anderen waren wohl derselben Meinung und sahen sich verstört nach einer alten Brechbude um, in die er uns vielleicht schleppen würde, weil das hier einfach viel zu gut für uns war.
Doch anscheinend hatte sich das Schicksal endlich mal zum guten gewendet, denn Mr. Jones verteilte jedem Päärchen je einen Schlüssel für ein Haus.
Leonie und ich bekamen Haus 17, direkt neben Jake und Lucas.
Wenigstens musste ich nicht mit meinem Projektpartner zusammen leben.
Ich linste zu Aiden. Dieser lieferte sich mit einer rothaarigen Schönheit gerade einen Sand-Kampf. Sie kreischte lachend, als der Sand ihr Dekollete fand und Aiden hatte Sandkörner in den zerzausten, glänzenden Haaren. Das braun wirkte in der Sonne erwas golden. Faszinierend.
Ich verzog das Gesicht. Ab mir selbst und ab diesem Typen, der offenbar nichts anderes als ein gewöhnlicher Frauenheld war.
„Alles okey?"
Fragte mich Leonie und schob sich in mein Sichtfeld. Schnell wandte ich den Blick von ihrem Bruder ab.
„Ja. Ja klar."
Sie grinste und schwenkte den Schlüssel vor meinen Augen.
„Das wird sowas von der Hammer!"
Ich lächelte nur und nickte schweigend. Ich hatte immer noch das Gefühl, dieses verdammte Klappmesser in der Hand zu halten. Ich sah nochmals meine Hände an, nur zur Sicherheit. Kein Blut.
"So meine Lieben, da wir nicht alleine hier sind, möchte ich euch die anderen Gäste gerne noch vorstellen.
Sie verbringen hier ihre Ferien und wir werden Rücksicht auf sie nehmen, da sie nämlich ausserschulisch hier sind."
Mit einer sehe fürsorglichen Miene betrachtete er uns, bevor er wie in einer Talentshow, übertrieben fröhlich hinter sich deutete.
Drei Jungs und zwei Mädchen kamen auf uns zu und stellten sich neben unseren Lehrer.
Sie sahen etwas gelangweilt aus und freuten sich wohl nicht all zu sehr uns zu sehen.
Wahrscheinlich wollten sie einfach ihren Urlaub geniessen.
Verstand ich.
Da sie uns mit ihrer Freundlichkeit auch nicht gerade begeisterten, beruhte das ziemlich schnell auf Gegenseitigkeit.
Einer der Jungen hob kurz mal die Hand, ansonsten scharrten alle nur mit den Füssen im Sand.
Mr. Jones scheuchte die fünf Fremden wieder weg als wären sie Hühner.
Mit verwirrten und genervten Blicken machten sie sich davon.
"Nungut, ihr habt heute Abend noch Frei, um euch einzugewöhnen. Aber Morgen und am Sonntag werdet ihr jeweils pünktlich um 9 Uhr mit eurem Partner hier stehen. Hier."
Er deutete auf den aufgewühlten, dunkler wirkenden Sand.
„Ich weiss nicht, ob wir da alle Platz drauf haben."
Äusserte sich Simon besorgt. Kenan schlug ihm auf den Hinterkopf.
„Au!"
„Dankeschön", meinte Mr. Jones.
„Gerngeschehen", grinste Kenan.
„Nungut, weiter im Text.
Ihr werdet bis zum Mittagessen die Natur entdecken und euer Biologieprojekt durchführen und am Nachmittag, könnt ihr euch so richtig entspannen."
Na das klang doch schonmal gut, ausser der Teil mit dem Projektpartner.
Der gefiel mir nicht ganz so gut.
Ich lugte kurz erneut zu Aiden, der sich aber unterdessen konzentriert einem Gespräch mit Einem Kumpel widmete und seine Miene wieder kalt war, gelangweilt und typisch für ihn.
Was für einen wechselhaften Charakter. Vielleicht war er ja bipolar gestört oder so.
Als Mr.Jones endlich verstand, dass wir ihm nicht interessiert zuhörten, verliess er uns schweren Herzens. Aber nicht, ohne vorher die Kühlschränke in den Hütten zu erwähnen, für die man extra zahlen musste, doch so richtig hörte ihm niemand mehr zu.
Denn langsam löste sich die Menge auf und jeder erkundigte sein neues Heim. So auch Leonie und ich.
Wir zogen unsere Koffer über den Sand und schüttelten während dem Laufen immer wieder unsere Schuhe aus, wenn sie sich mit dem warmen Sand füllten.
Als ich die Tür öffnete, klappte mir der Kiefer nach unten.
Das war mehr Luxus als ich jemals in meinem Leben gesehen hatte.
Das Haus war schlicht gehalten, mit zwei Betten und wenigen Möbeln, sowie einer Minibar gleich neben dem besagten Kühlschrank.
Es gab eine kleine Terrasse und darauf war eine Hängematte befestigt, daneben stand ein kleiner Tisch mit Smoothies drauf.
Überall waren Meerestiere und Muscheln aufgehängt, als Schmuck dienten und auch unendlich viele Kissen, in denen ich wahrscheinlich versinken würde.
Es war einfach ein Traum.
Sowas kannte ich sonst nur aus Filmen. Und die Schauspieler darin waren immer viel viel viel vermögender als ich gewesen, selbst im Film. Logisch.
Auch Leonie schien es zu gefallen, denn sie liess sich jauchzend auf das linke Bett fallen.
"Ist das nicht toll? Unser eigenes Haus!"
Ich lächelte. „Wenn auch nur für zwei Tage."
Fügte ich hinzu. Danach würde uns bereits die Realität einholen. Beispielsweise diese, dass ich einen Polizisten ins Bein gestochen hatte. Ihn verletzt hatte. Mein Gott, ich hatte noch nie jemanden verletzt. Ich schluckte.
„Alles okei bei dir?"
Ich blinzelte und setzte sofort wieder ein Lächeln auf. Ich hatte jetzt echt keine Lust, darüber zu reden wie mies ich mich fühlte.
Also starrte ich aufs Meer hinaus und nickte bloss.
„Ja, klar."
Das Meer hatte mich schon immer fasziniert.
So unbändig, friedlich, und von einem Moment auf den anderen Stürmisch und absolut tödlich.
Dort draussen galten die Regeln nicht, die wir Menschen aufstellten und immer befolgen mussten.
Dort draussen herrschte das Meer und wenn es wollte dass du starbst, dann tatest du das auch.
Es erinnerte mich irgendwie an das Leben.
Erbarmungslos.
"Es ist wunderschön."
Ich unterliess es, den Koffer aus zu packen, das hätte sich ja sowieso nicht gelohnt, und stellte ihn kurzerhand neben mein Bett.
Dann kramte ich darin herum, um mein Badezeug zu finden. In dem eiskalten Wasser schwimmen zu gehen war von Anfang an mein Plan gewesen. Das war das, was ich jetzt einfach unbedingt tun wollte.

Street: Fight or Die *beendet*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt