∞ 25 Ich lasse dich schlafen, Markus

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Die Wut brodelte in mir wie die Lava eines Vulkans, der kurz davor stand, auszubrechen.
Jede meiner Sicherungen brannte durch und hätte ich das Treppengeländer nicht losgelassen, hätte ich es wahrscheinlich zerbrochen.
"Du mieses Stück Scheisse!"
Knurrte ich und Aidens Blick wurde in Null
Komma Nichts alarmiert.
Oh ja er wusste genau was kam.
Ich stürmte durch den kleinen Gang ins Wohnzimmer, wo Elli schnell vom Sofa aufsprang und sich hinter den Glastisch in der Mitte verzog.
„Was ist denn dein Problem Mädchen? Hast du die Tollwut oder was?"
Völlig verständnislos starrte sie mich an und schüttelte dabei den Kopf. Sie schien wohl der Meinung, ich gehörte in ein Irrenhaus.
Zu ihrem Pech befand ich mich aber auf freiem Fuss.
„Marlon? Ist das dein scheissernst? Du hast nicht das Recht um ihn zu weinen!"
Ich griff nach ihrem Wasserglas auf dem kleinen Tisch und stiess Aiden neben mir zur Seite, der aufstehen wollte, um mich davon abzuhalten.
Dann warf ich es nach ihr und es flog knapp an ihrem Ohr vorbei, bevor es splitternd an der Wand zerschellte.
Mit einem Aufschrei hielt sich die junge Frau schützend die Arme vors Gesicht und duckte sich, während Glassplitter auf sie nieder regnete.
Leider hatte keiner zufällig ihre Adern aufgeschlitzt.
Ich bebte vor Wut und mein ganzer Körper zitterte.
Wie konnte ich einen Toten betrauern und gleichzeitig ihr den Tod wünschen? Vielleicht wurde ich in dem Leben hier wirklich noch verrückt. Vielleicht war ich es auch jetzt schon. Niemand sonst hätte sich ab ihrer dummen Reaktion so aufgeregt, ausser ich.
Vielleicht war dieses Lebeb nicht das Richtige für mich.
"Hör auf Jessy! Lass es einfach gut sein, sie geht jetzt!"
Langsam und bestimmt kam Aiden auf mich zu und schob fürsorglich sein eigenes Glas aus meiner Reichweite.
Als mein brennender Blick den seinen traf, musterte er mich auffordernd.
Diese Autorität waren in diesem Moment jedoch fehl am Platz.
Er hatte mir gar nichts zu sagen. Ich war wütend auf ihn und hatte mir vorgenommen, ihn zu hassen. Und er hatte Ellie in mein Haus gebracht. Schon wieder. Jetzt war sie da. Ich würde sie nicht so einfach gehen lassen. Vielleicht war meine Eifersucht auch teilweise Schuld daran. Ich war momentan emotional einfach nicht zurechnungsfähig.
"Nein", schmerzhaft lächelnd, schüttelte ich den Kopf. „Sie geht nicht."
„Scheisse Aiden was soll das Ganze! Ich will hier weg."
Jammerte Elli, die mittlerweile kapiert hatte, dass ich es wirklich ernst meinte, wenn ich sagte dass ich sie fertig machen wollte und versuchte sich entlang der Mauer weiter von mir weg zu schieben.
"Ich mach dich kaputt, das verspreche ich dir. Du wirst keine einzige falsche Träne mehr rauspressen können, wenn ich mit dir fertig bin."
Meine Stimme war ruhig. Und das war gefährlich. Ich war eigentlich immer dann gefährlich, wenn mich die Wut packte. Mit Regulierung der Emotionen hatte ich schon immer einige Probleme gehabt.
Blitzschnell schoss ich vor, warf dabei den alten Sessel um und packte das kreischende Mädchen an den Haaren.
Instinkt übernahm die Kontrolle über mich, und nur ein Satz wiederholte sich wie ein Mantra in meinem stillgelegten Hirn.
"Mach sie fertig. Lass es raus. Lass es alles an ihr aus." Ich liess also all die Wut an ihr aus, die ich vielleicht nicht einmal wegen ihr besass. Aber sie war mein Ventil und ich redete mir ein, dass sie es verdient hatte. Ich war nunmal keine Heilige. Auch wenn mein Bruder das gerne glaubte.
Ich riss sie zu Boden und kniete mich über sie, während ich meine Knie in ihren Bauch rammte.
Dann schlug ich ihr mit meiner geballten Faust in die Rippen, worauf sie in sich zusammen sackte. Ihr Schrei wurde in ihrer Kehle erstickt. Gut so.
„Jetzt hältst du es nicht mehr für wichtig, den Tod eines Menschen zu nutzen um dich aufzuspielen, na?"
Zischte ich ihr ins Ohr und beugte mich zu ihr runter.
Wimmernd wand sie sich am Boden, schlug mit ihren Händen nach mir und versuchte, mir zu entkommen während Aiden auf mich zustürzte.
„Scheisse verdammte, Jessy lass das!"
Fuhr er mich an und riss meine Hand von dem geschockten Mädchen unter mir weg.
Er beschützte sie auch noch. Er musste sie wohl echt gerne haben.
"Fass mich nicht an!"
Wie eine Furie bäumte ich mich auf und pure Wut erfüllte meine Augen. Wäre diese Welt eine magische gewesen, hätten meine Augen geleuchtet wie die des Teufels.
Doch das war sie nicht. Denn sonst hätte ich all das Leid auch einfach wegzaubern können. Und Markus zurückgeholt.
Unschlüssig stand Aiden einen Moment neben mir, sah mich mit einem unergründlichen Blick in seinen Meergrünen Augen an.
Er ballte die Hand zur Faust und schüttelte langsam den Kopf. Seine Haare hingen ihm in die Stirn und dieses Mal verspürte ich keinerlei Reaktion darauf. Die Wut hatte alles verdrängt.
Dann wandte er sich ab und rannte die Treppe in kräftigen Sätzen hoch.
Er hatte wohl kapiert dass ich nicht auf ihn hören würden.
Ich wandte mich wieder Elli zu, welche weinend die Hände von sich streckte.
"Stop. Bitte! Es tut mir leid, okay? Egal was ich getan habe, es tut mir leid."
Keuchte sie und leckte sich über die blutige Lippe.
Das war der Moment, indem ich eigentlich hätte aufhören sollen.
Sie hatte sich ergeben und jedes bisschen Ehre in mir wollte auch, dass ich es nun gut sein liess.
Doch wieso sollte ich?
Hier in diesem Rattenloch von Stadt nahm doch auch nie Jemand Rücksicht auf uns. Wir waren allen egal also war es doch auch egal, ob ich ein unschuldiges Mädchen zu Tode prügelte.
Was machte das für einen Unterschied? Die Welt blieb genau gleich beschissen und ohne Perspektiven.
"Oh nein, ich hab grad erst angefangen."
Hauchte ich und wickelte ihre dicken Haare langsam um meine Faust.
Ich fühlte mich verloren. Und wenn das hier das Ich war, das dann hervorkam, wollte ich nicht so sein.
Weinend versuchte sie weg zu kriechen.
An ihren Haaren zog ich sie zurück wie ein Pferd an seinen Zügeln.
„Wo willst du denn hin?"
Fragte ich unbeeindruckt und eine kranke Seite, die mir zu jeder anderen Zeit Angst gemacht hatte, amüsierte sich über ihre kläglichen Versuche, zu entkommen. Das hatte ich also schon mit mir angerichtet. Dieses Leben zerstörte meine
Menschlichkeit und ich liess es auch noch zu.
Ich hob meine Faust, welche an den Knöcheln aufgesprungen war, um erneut zuzuschlagen.
Ich hörte wie die Anderen die Treppe runter getrampelt kamen und durch das Wohnzimmer auf mich zustürzten.
Sie sollten alle weggehen und mich in Ruhe lassen.
„Jessy was machst du! Hör auf damit!"
Rief Lucas verwirrt durch den Raum.
„Sie hat es verdient! Sie hat sich über Markus lustig gemacht!"
Schrie ich und spürte wie meine Lippen zu zittern begannen.
Dann spürte ich die starken Arme meines Bruders, die sich um meinen Bauch schlangen und mich unerbittlich von dem wimmernden Häufchen Elend unter mir wegzogen.
Ich wehrte mich, doch es half nichts, er war stärker.
Und ich würde ihn nie in meinem Leben schlagen.
„Sie hat es verdient! Lass mich!"
Dann umarmte er mich.
Legte die Arme um meine Schultern und drückte mich fest gegen sich, sodass ich von seiner Wärme umgeben war.
Schon als Kind hatte mich Jake einmal so umarmt. Es war, als ich mich für Dads Tod verantwortlich machte.
Sie strahlte Wärme und Zuversicht aus. Aber sie zeigte mir auch sein Verständnis, und dass er mir nichts hiervon vorwarf. Obwohl er es sollte.
„Lass mich..."
Ich versuchte mich raus zu winden, bis ich irgendwann die Kraft dazu verlor und nur noch schwach wimmerte.
„Sie hat es verdient.."
Meine Schreie hatten sich in Schluchzer umgewandelt und ich machte mich los, um ihn mit tropfendem Kinn anzusehen. Überall Salz.
Er nahm meine Arme und legte seinen Kopf an meinen.
"Ich weiss", leise flüsterte er.
„Ich weiss kleine Schwester."
Jake fuhr mir übers Haar und ich schloss die Augen.
Ich wusste nicht wie er es anstellte, doch er schien all die Wut aus mir raus zu saugen, alleine durch seine Berührungen.
Hinterlassen tat er nur ein gebrochenes Mädchen, welches sich zitternd und nur knapp auf den Beinen halten konnte.
Aus den Augenwinkeln nahm ich Aiden und Leon wahr, die eine wimmernde und fluchende Elli auf die Couch hoben.
Unternehmen tat ich nichts.
Weder als ich zum wieder aufgestellten Sessel ihr gegenüber geführt wurde, noch als die Jungs uns beiden das Blut weg wischten.
Ich schwieg einfach und starrte sie an, wie sie mit ihren blauen Augen immer wieder feindselig und verstört zu mir rüber blickte.
„Was hast du dir nur dabei gedacht, Kätzchen."
Seufzte Aiden als er sich auf der Armlehne des Sesselns niederliess und streckte die Hand nach mir aus.
Vor wenigen Minuten hätte ich das gebraucht und gewollt.
„Fass mich nicht an."
Meinte ich nur rau. Ich würdigte ihn nicht einmal eines Blickes. Ich wollte ich ihn nicht mehr in meiner Nähe sehen.
Was auch immer er für mich schon getan hatte, das mit Elli vergass ich nicht. Er meinte es mit mir nicht ernst. Also sollte er es doch gleich ganz lassen.
Er verzog die Lippen als hätte ich einen unschuldigen Welpen getreten, stand dann aber wieder auf und verschwand in der Küche. Mein Blick hing an seinem breiten Kreuz und der braunen Kapuzenjacke, bevor ich mich wieder dem Geschehen widmete.
Leon liess sich grinsend neben mich sinken und zwinkerte mir zu.
„Egal was sie sagen, diese Abreibung hat sie gebraucht."
Sein breites Lächeln war ansteckend, mit seinen hellen blonden Haaren und demselben Schalk in den Augen, erinnerte er mich an Markus.
Also lächelte ich auch leicht.
Ab und zu hatte ich das Gefühl er und sein bester Freund Lucas waren neben Jake die einzigen, die mich wirklich verstehen konnten. Deswegen waren sie auch meine besten Freunde. Obwohl Lucas auch noch grösseres Potential hatte.
„Was ist denn hier los?"
Eine verschlafene Leonie tappte von der oberen, dunkeln Etage verwirrt runter und starrte auf die versammelte Crew. Sie hatte wohl auch hier übernachtet. Aber Moment mal, in welchem Zimmer denn?
Niemand antwortete, also rieb sie sich die Augen und murmelte ein „na dann" bevor sie sich wieder umdrehte und verschwand. Beinahe hätte ich gelächelt. Doch ich verkniff es mir, als ich Aiden am Türrahmen lehnen sah, der mich beobachtete.
Sein Blick war undefinierbar.
Und das verunsicherte mich.
Also startete ich eine Offensive, so wie immer.
„Ich will dass sie geht."
Meinte ich dann in die Stille hinein.
Sofort spürte ich die Blicke der anderen auf mir. Sie wussten wohl nicht genau, wie sie sich bei einem Zickenkrieg verhalten sollten. Ganz einfach, sie sollten auf meiner Seite sein.
„Jessy, es ist gefährlich draussen. Es ist mitten in der Nacht und sie ist verletzt..."
Setzte Kenan an, der gerade das Blutige Tuch in einen Eimer warf und sich die Bandana richtete. Hatte er die sogar beim Schlafen an?
„Das ist mir egal. Ich will dass sie geht. Sofort."
Fragend sah Kenan zu meinem Bruder, der nur die Schultern zuckte.
„Was soll ich machen?"
„Sie weg schicken."
Meine Stimme war kalt und da es mein Zuhause war, konnte mir diese Bitte auch keiner übel nehmen.
Elli hatte sich unterdessen aufgesetzt und schwieg. Gut so, sie würde es nicht wagen, ihre Klappe noch einmal aufzureissen.
Aiden schnaubte und stiess sich von der Türe ab.
„Ich gehe mit ihr und bringe sie zu mir."
Ich verzog die Lippen unmerklich und sein Blick streifte mich kurz.
„Hier will ich im Moment sowieso nicht sein."
Au, das hatte gesessen.
Ich verzog jedoch keine Miene und Leon drückte meinen Arm ermutigend.
Dylan stand nur am Rande und sah zu, während er mich mitfühlend betrachtete.
Aber wenigstens wusste er, dass er sich zurückhalten musste, da er noch neu war. Immerhin kannte er das Wort Respekt.
„Passt auf Leonie auf."
Jake nickte nur und Elli stand humpelnd auf und liess sich von Aiden die Jacke umlegen.
Meine Nägel gruben sich in das Polster.
Sollte sie nur gehen. Ich hoffte für sie, dass ich sie nie wieder sehen würde. Und Aiden gerade auch nicht.
Als die zwei das Haus verlassen hatten, schienen meine Lungen wieder mehr Luft zum Atmen zu bekommen.
„Na dann, ich schlage vor wir gehen jetzt alle wieder pennen."
Die Stimmung war bedrückt und auch Leons Versuch der Heiterkeit schlug fehl.
Niemand konnte über Markus' tragischen Tod hinwegsehen, nicht einmal Dylan, der ihn gar nicht gekannt hatte. Sowas berührte die Menschen eben.
„Ist vielleicht besser so."
Meinte Jake und nickte mir zu.
Sofort erhob ich mich und stapfte an den verwirrten Jungs vorbei, die nur hilflose Blicke wechselten.
Wow, waren die untauglich wenn es um wütende Mädchen ging.
Ich trampelte die Treppe rauf, verschwand in meinem Zimmer und liess die jungen Männer unten stehen.
Kaum hatte ich die Türe hinter mir geschlossen warf ich mich aufs Bett und vergrub mich unter dem Kissen und der flauschigen Decke.
„Ich hoffe dir geht es jetzt gut."
Flüsterte ich in die Stille hinein und hoffte auf eine Antwort.
Irgend ein singender Engel oder eine sanfte Melodie hätte gereicht. Doch da war nichts.
Nur erdrückende Stille.

Street: Fight or Die *beendet*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt