∞ 24 Für immer

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Es verging nicht viel Zeit. Höchstens ein oder zwei Stunden. Doch für mich war es die Hölle.
Ich hatte Markus daran gehindert einzuschlafen, weil ich befürchtete, dass er dann nicht wieder aufwachen würde.
Es war ein unmenschliches Gefühl. Hilflos zusehen zu müssen, wie eine Person um ihr Leben kämpfte. Mein ganzer Körper schmerzte, so sehr fühlte ich mit dem blonden Jungen mit, der kämpfte.
„Bleib einfach Wach, Markus. Bitte."
Flüsterte ich immer wieder.
Doch das stellte sich je länger desto schwieriger heraus.
Sein Gesicht war fahl wie ein Blatt Papier und seine Augen glänzten fiebrig.
Sein Körper fühlte sich heiss an. Und die Wunde hatte wieder geeitert, nachdem ich den erneuten Blutfluss notdürftig gestoppt hatte.
Meine Kleider und Hände waren unterdessen bereits voller Blut und das Desinfektionsmittel war ausgegangen.
„Ich bin so müde."
Murmelte er und schluckte leer.
Ich schüttelte den Kopf und Unterdrückte die Tränen.
„Nein. Du musst wach bleiben okay? Für Mara. Du willst sie doch wieder sehen?"
Er nickte. „Mehr als alles andere auf der Welt."
Das war sie. Die wahre Liebe. Meine Lippen zitterten.
Ich suchte nach irgendetwas halbwegs hygienisches, um es auf seine Wunde zu drücken. Ich fand nichts mehr.
„Scheisse, scheisse, scheisse."
Ich schlug voller Verzweiflung auf den Boden und weckte einen alten Obdachlosen auf, der sich murrend auf die andere Seite drehte und seinen Rausch so ausschlief.
Die Panik in mir wurde grösser, doch ich zwang mich, klar zu denken. Markus war schlecht dran und ich konnte nicht fassen, dass es den Polizisten hier so am Arsch vorbei ging.
Das war nicht mehr menschengerecht was hier ablief!
„Halt durch, ich bin gleich wieder bei dir!"
Flüsterte ich laut und liess dann Markus schlaffe Hand los, um zu den Gittern zu stürzen.
Ich umklammerte sie und rüttelte so laut ich konnte daran.
„Hilfe! Ich brauche hier Hilfe!"
Brüllte ich so laut ich konnte.
Ich musste mich wiederholen. Drei mal, bevor ich den Officer's endlich zu lästig wurde.
Angst. Sie machte mich fast verrückt und sie klebte überall in meinem Mund. Ich atmete sie ein und wurde sie nicht mehr los, egal wie oft ich hustete.
Ich wusste dass nicht mehr viel Zeit blieb. Und die Anderen waren noch immer nicht hier.
Der General höchstpersönlich kam auf mich zu geschlendert. Als hätte er alle Zeit der Welt. Und ebendiese hatte Markus nicht.
Ich richtete mich auf. Ich zitterte am ganzen Körper.
Es war mir egal ob es mich schwach aussehen liess. Ich wollte nicht zulassen, dass er neben mir starb und ich tatenlos zusehen musste.
Da war ich nicht einmal zu stolz, um zu betteln.
"Lassen sie uns sofort raus! Er stirbt!"
Doch er verzog bloss das Gesicht zu einem Lächeln.
"Natürlich. Eine etwas bessere Ausrede hätte ich schon erwartet."
Fassungslos starrte ich ihn an.
Dann hielt ich ihm die vollgebluteten Hände entgegen.
Ich musste schrecklich aussehen mit dem vielen Blut an der kurzen Kleidung und den verschwitzten Haaren. Es war überall an meinem Körper. Markus Blut.
„Bitte! Ich flehe Sie an, helfen sie ihm."
Flüsterte ich und sank etwas in mich zusammen.
Keine berechnende Strategie, nur Verzweiflung.
Man sollte sich nicht so mitreissen lassen, hätte mich jetzt jedes Mitglied der Gang gemahnt, doch ich war nicht stark genug. Ich konnte das nicht. Ich hatte mich überschätzt.
Der General beugte sich soweit hinunter, bis sein strenges Gesicht direkt vor meinem Schwebte.
Und wieder hatte ich das Gefühl, das schüttere Haar und den kurzen Bart von irgendwo her zu kennen.
„Wo ist denn plötzlich dein Stolz hin? Deine Eltern wären sicher sehr enttäuscht."
Dann richtete er sich in aller Ruhe auf und drehte mir den Rücken zu.
Wut flammte in mir auf und wären diese Gitter nicht gewesen hätte ich ihn mit meinen blossen Nägeln erstochen.
Ich sprang wieder auf und schlug gegen die Gitter, sodass auch die übrigen Gefangenen unruhig wurden.
"Ich werde sie umbringen, das schwöre ich! Ich werde sie töten!"
Kreischte ich mit schriller Stimme.
Kurz verharrte er, mit dem schmalen Rücken und dem blauen Hemd zu mir gedreht, danach lief er leise lachend weg.
Einige der Gefangenen grölten und klatschten mir Beifall.
Ich spürte nur eine salzige Träne auf meinem Mund und liess meinen Kopf gegen die Gitterstäbe sinken.
„Das ist doch kein Spiel. Wir spielen hier nicht um Menschenleben."
Flüsterte ich den anderen zu, doch sie hörten mich nicht.
Verzweifelt kehrte ich zu meinem Freund zurück und setzte mich wieder neben ihn.
Sein Atem ging langsam und ich hörte das Pfeifen, dass aus seinen Lungen hoch drang.
"Halt durch. Bitte."
Seine Augen wanderten von links nach rechts, doch sahen bloss in die Lehre.
Ich biss mir auf die Lippen um weitere Tränen zu vermeiden und schüttelte den Kopf.
Wie grausam war diese Welt dass ich neben meinem sterbenden Freund sitzen musste und Niemand etwas tat.
Wieso mussten ausgerechnet wir in dieser Welt leben? Keine Ahnung, doch es war so.
„Ich...fühle meine Beine nicht mehr."
Krächzte Markus und seine blonden Haare waren von Blut getränkt.
Sofort schreckte ich auf.
„Das..nein das ist nicht gut."
Murmelte ich und strich mir gehetzt über die Wange, dort hinterliess ich eine Blutspur, die eklig klebte.
Doch tun konnte ich nichts.
Jetzt ertönten Schüsse und Geschrei.
Noch nie in meinem Leben hatte ich mich über Waffengeballere so gefreut.
Ich hörte wie die Polizisten mit lauten Schritten nach ihren Waffen griffen und alle nach draussen stürmten.
Es war ruhig geworden hier drinnen und alle horchten nur gespannt, während von draussen weiterhin Schüsse ertönten und Menschengeschrei bis hier hinein dröhnte.
Ich versuchte zu erahnen, ob es einer von und war, als Jemand den bekannten Todesschrei ausstiess.
Doch ich konnte es nicht ausmachen.
Also drückte ich weiterhin nur Markus' Hand.
Es kam mir vor wie eine Ewgkeit, bis sich der Tumult legte.
Ich starrte wie gebannt auf die Tür, die geschlossen blieb und durch die Jemand hinein kommen musste.
Sie mussten einfach. Es vergingen Sekunden, in denen mein Herzschlag das einzige war, was ich hörte.
„Bitte, bitte."
Flüsterte ich.
Dann wurde die Türe endlich geöffnet und Aiden, sowie Jake und Lucas stürzten hinein.
Sie kamen direkt auf uns zu und Jubel wurde unter den Insassen laut.
Sie hofften wohl auf Rettung.
Doch das konnten sie vergessen. Wir hatten keine Zeit für sie. Alles was jetzt zählte war Markus.
Ich drehte mich wieder zu ihm. Er sah mich an.
„Ich habe Angst."
Sein Blick war erfüllt von Schmerzen und Angst. Ich drückte fest seine Hand.
„Alles wird gut, wir holen dich jetzt hier raus. Halte nur noch ein bisschen durch! Du bist jetzt in Sicherheit."
Flüsterte ich ihm zu und mein breites Lächeln prallte an seinem leblosen Gesicht ab.
Trotzdem nickte er schwach.
„Okay."
Er war stark, er würde das schaffen.
Hinter mir wurde die Tür aufgerissen, und dann geschah alles wie in Trance.
Die Erleichterung und die Erschöpfung verschleierte meine Sicht.
Lucas schob seine Arme um meinen Blutverschmierten Körper und hob mich hoch. Er trug mich in Richtung Ausgang.
Dabei redete er mit mir, doch es drang kein Wort zu mir durch. Ich spürte nur seine warmen Hände.
Aiden und Jake trugen Markus ebenfalls heraus.
Vorsichtig. Seine Arme schlenkerten nut kraftlos in der Luft herum.
Die kühle Nachtluft liess mich langsam wieder zu Verstand kommen. Einige kleine Kämpfe tobten noch, doch die meisten Bullen lagen regungslos am Boden. Kenan nagelte gerade einen von ihnen an der Wand fest und schlug ihm mehrmals mit seiner kräftigen Faust in den Bauch.
Das war unwichtig.
Aiden legte Markus sanft auf dem Bürgersteig ab, auf dem keine Menschenseele zu sehen war.
Die Menschen hatten sich, feige und intelligent wie sie waren, in ihren Häusern eingeschlossen und beobachteten uns wahrscheinlich.
Doch draussen war niemand.
Sofort riss ich mich von Lucas los, der mir mit seinen wasserblauen Augen folgte und kniete mich neben den schwerverletzten Jungen.
"Krankenwagen."
Das war alles was ich mit rauer Stimme herausbrachte.
Dylan bog gerade um die Ecke und nickte eilig.
Er zückte sein Handy und tippte die Nummer ein.
Während er mit einer unhörbaren Stimme diskutierte, rüttelte Markus leicht an meinem Arm.
Sofort beugte ich mich zu seinen Lippen hinunter, die versuchten, mir etwas zu sagen.
"Mara."
Ich nickte eilig. „Du wirst sie wieder sehen. Wir bringen dich zu ihr sobald du wieder gesund bist."
Flüsterte ich. Er schüttelte matt den Kopf.
„Nein. Du musst ihr was sagen."
Ich runzelte die Stirn.
„Sie soll wissen dass ich mit dem Gedanken an sie gestorben bin. Du musst ihr das sagen, okay?"
Hauchte er und mir wurde beinahe Übel vor Trauer.
Wie stark musste eine Liebe sein, dass Jemand mit dem Tod vor Augen nur an sie dachte. So eine Liebe wollte ich auch haben, so ein starkes Band.
„Du wirst sie bald sehen, du musst nur durchhalten."
Versicherte ich ihm und drückte fest seine Hand.
Er sah mich an und atmete kaum noch.
Dann schüttelte er schwach den Kopf.
"Du wirst sie wieder sehen! "
Beharrte ich trotzig und weinte schon wieder. Tränen verschleierten mir die Sicht auf den Jungen vor mir, der mit blassem und eingefallenen Gesicht auf dem Boden lag und weiter sein Leben aushauchte.
„Kommt dieser Scheiss Wagen endlich?"
Mit schriller Stimme drehte ich mich zu Dylan, der nur hilflos die Arme hob.
Dann widmete ich mich wieder Markus, während die anderen um uns herum standen und Leonie versuchte, sein Bein etwas zu reinigen.
Er spürte es nicht einmal mehr.
"Du wirst mit uns wieder irgendwelche Cabrios fahren und irgendwelche Scheisse anstellen."
Meine Stimme zitterte und einzelne Schluchzer überrollten mich.
"Lüg nicht", mit einem leichten Lächeln nahm Markus meine Hand.
Ich drückte sie und meine Lippen zitterten.
"Bitte, Markus halt durch, der Wagen ist gleich da."
Ich wusste nicht wie oft ich ihm das nun schon gesagt hatte. Dass er durchhalten solle und dass alles besser wurde. Doch nichts davon war passiert.
Schwach und stöhnend  schüttelte er den Kopf.
„Ich kann nicht mehr. Ich will nicht mehr Jessy."
Hauchte er und ich biss mir auf die Lippen.
„Sag das nicht! Hört auf!"
Er grinste mich an, wie an dem Tag an welchem wir noch fröhlich geplaudert hatten.
„Lass mich endlich schlafen Jessica. Ich bin so müde."
Murmelte er.
Rasselnd atmete er aus.
Er drückte meine Hand.
„Versprich es. Versprich es dass du es ihr sagst."
Ich schluchzte und nickte.
„Ich verspreche es."
Er nickte und sah mich nochmals an.
„Ich sehr sie wieder."
Dann hörte er auf zu atmen. Einfach so.
Seine Hand erschlaffte.
Panik kroch sofort in mir hoch und ich schreckte auf.
"Nein!"Den Mund zu einem stummen Schrei verzerrt, rüttelte ich an ihm.
Doch er reagierte nicht mehr.
Er wart tot.
"Markus bitte, nein."
Mein Körper schüttelte sich und ich wehrte mich, als Jake mich von ihm wegzog.
"Nein! Er ist nicht tot!"
Ich schrie es immer wieder, wurde an die starke Brust meines Bruders gedrückt, der mir über die Haare strich und mein Gesicht an seine Schulter drückte, damit ich nicht zurück sah.
„Er ist tot Jessy."
Sagte er dann mit starker Stimme, doch ich glaubte es immer noch nicht.
Er war vor wenigen Sekunden noch bei mir gewesen. Jetzt durfte er nicht einfach weg sein.
Es tat so weh.
„Nein. Nein."
Ich schrie meine Trauer und die Schmerzen heraus, so laut ich nur konnte.
Zu wissen dass ich schuld an seinem Tod war und zu wissen, dass er mich nie wieder anlachen würde, mit seinen verschmitzten blauen Augen. Er war zu jung gewesen, um solch einen Tod zu sterben.
Ich schluchzte laut auf, und kroch wieder zu Markus.
Ich stiess Jake weg. Und Lucas, als er mich beruhigend umarmte. Obwohl das sonst immer half.
"Lasst mich! Markus!"
Es zerriss mich. Und dann fuhr es plötzlich in mich wie ein Blitz. Ich erstarrte zu einer völlig reglosen Statue.
Ich war schon einmal so neben einer Person gesessen. Meinem Dad. Auch ihn hatte ich nicht retten können.
Er hatte genauso dagelegen. Tot und mit starrem Blick. In die Ferne sah er, als würde ihn dort etwas erwarten. Doch er war nicht mehr Dad gewesen.
Ich konnte kaum atmen, der Schmerz lähmte meine Glieder. Ich konnte ihn nur ansehen. Den Jungen für dessen Tod ich verantwortlich war.
Jemand umarmte mich. Aiden.
Ich liess es zu.
"Komm Kätzchen, lass ihn schlafen. Er war ein guter Freund. Für immer."
Langsam löste er meine Finger von Markus Hemd und drückte mich an sich.
Ich konnte nicht mehr. Ich liess es zu. Liess mich von ihm wegzerren.
Ich vergrub weinend meinen Kopf an seiner Brust und er umschloss mich mit seinen starken Armen.
Wir sassen so da, umringt von den anderen. Es war totenstill.
Ich spürte ihre Hände an meinen Schultern und wie sie die letzten Worte für ihren Freund sprachen.
Alle waren da. Einige verletzt und blutend, doch sie waren da. Und wir würden Markus niemals vergessen.
Er würde bei uns sein, in unserenHerzen. Ein weiterer Platz in dem meinen, für einen Toten.
Und er war nicht umsonst gestorben. Sein Name würde nicht vergessen werden und was noch viel wichtiger war, er war mein Freund.
Ja, Er war mein Freund.
Für immer.
Und ich würde mich für ihn rächen.

Street: Fight or Die *beendet*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt