∞40 Ein Abschlussball ohne Regeln

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Meine Nervosität stieg und ich drückte Aidens Hand fester, während ich die Augen auf den Rektor gerichtet hatte.
Die Lehrer der Abschlussklassen hatten sich hinter ihm aufgestellt, jeder einige zusammengerollte Diplome in der Hand.
Eines davon würde meines sein. Ein irres Gefühl.
Meine Zehen schmerzten in den Hohen Schuhen und ich bewegte mich unwohl in ihnen. Meine Finger waren klamm.
"Nun denn, beginnen wir mit dem Klassenbesten, euch gratuliere ich besonders zu dieser tollen Leistung."
Der Rektor begann einige Namen auf zu zählen, und die Schüler klatschten brav, während der Genannte nach vorne kam, sein Diplom abholte und dem Lehrern der Reihe nach die Hand schüttelte.
Natürlich gehörten ich und die anderen nicht dazu.
Dann machte der Rektor weiter, bis an die zwanzig Namen hatte er schon vorgelesen.
"Aiden Parker."
Aiden neben mir spannte sich kurz an, bevor ich ihn nach vorne stiess und laut mit klatschte.
Die Menge machte ihm bereitwillig Platz, so wie immer. Und die Mädels verfielen gleich Reihenweise in Tragträumereien. Tja Pech meine Lieben, er gehörte mir.
Aiden bekam das Diplom in die Hand überreicht und schüttelte dann mit seinem typischen charmanten Lächeln die Hand der Lehrer, die natürlich alle total verzückt auf meinen Freund starrten. Vor allem die weiblichen. Wieso musste er auch bloss auf alle weiblichen Wesen diese Wirkung haben. Das war manchmal echt lästig.
Als er auf der anderen Seite des Podestes wieder hinunter stieg, und sich der Nächste auf den Weg machte, zwinkerte er mir zu.
Triumphierend hielt er das Diplom in die Höhe und die Jungs hinter mir begannen laut zu grölen und streckten ihrerseits ihre eigenen Diplome in die Höhe.
Darauf hin hielt das Treiben kurz inne und der Rektor sah leicht verstört zu uns, bevor er die Namen weiter hinunter leierte.
Ich klatschte Beifall bei Leonie und jubelte bei Jake. Sie alle besassen nur ihr Pergament, dass sie in die Freiheit entliess. Nur ich nicht.
Zusätzlich dazu dass ich genauso oft gefehlt hatte wie die anderen, war ich auch bloss eine Semester Hälfte in diese Schule gegangen, was es für mich schwieriger machte, in den Erinnerungen der Lehrer zu bleiben.
"Jessica Black."
Ich schloss kurz die Augen als mein Name fiel und mir wurde heiss und wieder kalt.
Show time.
Jetzt bloss keinen Fehler machen, ich war eine einfache Schülerin die ihren Abschluss machte.
Mehr nicht, es gab keinen Grund zur Sorge.
Zögernd setzte ich mich in Bewegung und wich den Körpern aus, die dabei waren, mir Platz zu machen.
Meine Schritte widerhallten viel zu laut in meinem Kopf und ich hatte das Gefühl jeden Moment um zu drehen und aus dem Saal zu stürmen.
Ich würde auffliegen, ich würde es nicht schaffen.
Doch dann riss ich mich zusammen.
Ich hatte lebensbedrohliche Situationen überlebt und jetzt konnte ich nicht schlapp machen, bei einer einfachen Diplomfeier.
Sie würden es nicht erkennen, wenn ich ihnen nichts zum erkennen gab.
Ich richtete mich gerade auf und hob den Kopf, sehr wohl bewusst dass einige der Blicke an mir hingen. Schon fast meinte ich Aidens ungehaltenes Schnauben zu hören, und das zauberte mir ein Lächeln auf die Lippen.
Vielleicht war es nicht echt, aber es kam authentisch rüber und das war alles was zählte.
Gespielt strahlend gab ich dem zufriedenen Rektor die Hand und stieg dann die Stufe zu den Lehrern hinauf, während meine Schuhe hallende Töne auf dem Holz hinterliessen.
Der erste Lehrer, ein etwas jüngerer Mann drückte mir lächelnd die Pergament Rolle in die Hand, über deren gelblichen Papier eine rote Schlaufen gebunden war.
"Gratulation."
Ich nickte lächelnd, doch seine Worte bekam ich nicht wirklich mit, ich sah bloss wie sich seine Lippen bewegten.
Als ich die nächste Hand zu fassen bekam, spürte ich den festen Druck nicht einmal, den ein etwas älterer Herr ausübte.
Ich sah ihn bloss mit dem eingefrorenen Lächeln an, und sah kurz etwas anderes als Freude in seinen Augen aufblitzen, doch dann hatte ich schon zum nächsten gewechselt.
Ich schüttelte drei weitere Hände, und drei Mal bemerkte niemand dass ich hier so gut wie nie in die Schule gegangen war.
Ich sah ihnen in die Augen, lächelte, nickte ihnen zu und drehte mich dann zum Nächsten.
Ich sah schon die kleine Treppe, die mich aus der Gefahrenzone führen würde, mein Lauf durch den Test von Lehrern war soweit erfolgreich.
Ich nahm die ausgestreckte Hand einer Frau. Sie war die Letzte bevor ich mich in die Sicherheit der Schülermenge retten konnte.
Ich behielt dasselbe Lächeln im Gesicht, doch ihr Ausdruck in den Augen veränderte sich mehr als der der übrigen Lehrer.
Sie runzelte die Stirn und hielt meine Hand fest.
Ich spürte wie es mir kalt über den Rücken lief, während sie nachdenklich meinen Namen murmelte.
Mein Lächeln erlosch nicht, doch wenn man genau hinsah konnte man meine Haltung erkennen, die nun alles andere als entspannt war.
Alles in mir suchte nach einem Weg mich hier aus dieser Klemme raus zu holen, und ihre Hand, die meine noch immer umklammert hielt, verursachte Panik in mir.
„Du kommst mir irgendwie bekannt vor...ich glaube ich habe dich irgendwo schonmal gesehen."
Das Gefühl gegen meinen eigentlichen Willen länger als nötig fest gehalten zu werden, löste in mir den Reflex aus, mich auf Angriff zu programmieren, und ich hielt meinen Körper mit aller Gewalt zurück, während sich mein Arm anspannte bis die Sehnen hervor traten.
Neben mir drängte der nächste Schüler, und ich musste jetzt etwas tun, wenn ich nicht wollte dass das hier Aufmerksamkeit auf sich zog. Keine Ahnung woher mich die Frau zu kennen glaubte, aber sie tat es ganz bestimmt nicht.
Innerlich klopfte mein Herz zum zerspringen, ich war so kurz davor, jetzt durfte nichts schief gehen.
Meine Augen wanderten nach unten, und für einen Augenblick spielte ich mit dem Gedanken, mich los zu reissen und einfach zu rennen.
Doch dann fiel mein Blick auf einen farbigen Fleck unter ihrer Bluse, am Handgelenk.
Der Schüler neben mir räusperte sich, während die Frau keine Anstalten machte mich los zu lassen und noch immer fieberhaft zu überlegen schien.
Ich wusste dass ich sie dazu hätte bringen könnte, mich los zu lassen. Aber stattdessen zwang ich meine ausgetrocknete kehle zum Einatmen und Sprechen.
"Ihr Zeichnungsunterricht war übrigens wahnsinnig interessant."
Breit lächelnd sah ich sie an, auch wenn ich mich selbst gerade wunderte, wie ich das hin bekam, wenn ich doch eigentlich am liebsten ihre Hand brechen würde.
Ich wartete auf ihre Reaktion und war kurz vor dem Verzweifeln, doch dann hellte sich ihre Miene auf und sie lächelte kühl. Aber sie lächelte.
„Ah, dann muss es wohl der Unterricht gewesen sein, ja. Vielen Dank."
Sie liess meine Hand los und ich zog sie schneller zurück als beabsichtigt, und drehte mich um, bevor sie es sich womöglich noch anders überlegen konnte.
Eilig stieg ich die Stufen hinunter und hetzte zu Aiden, erst als er beruhigend einen Arm um mich legte beruhigte ich mich.
"Du hast es geschafft Kätzchen. Wir sind raus aus diesem Loch!"
Ich lächelte und langsam gab mein Körper die Alarmstufe auf, während noch die letzten Schüler ihre Diplome entgegen nahmen.
Dieses Papier benötigten wir zwar nicht für unser jetziges Leben, doch es war dennoch wichtig. Man konnte nie wissen, vielleicht würden wir irgendwann einen ehrlichen Berufsweg einschlagen. Auch wenn ich es schwer bezweifelte.
Ich hielt die Rolle fest und sah nochmals zu der Lehrerin.
Ich hatte nicht mit hundert prozentiger Sicherheit wissen können, ob der Farbklecks wirklich aus dem Kunstunterricht war, doch anscheinend hatte ich es dennoch ins Schwarze getroffen.
Ich hatte tatsächlich einmal in meinem Leben einfach Glück gehabt.

Street: Fight or Die *beendet*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt