∞13 Auf ihn folgt...

21.8K 1.4K 200
                                    

"Lucas, wie bist du aus deiner Zelle raus gekommen?"
Meine Stimme wurde hysterischer, obwohl ich mir das Gegenteil vorgenommen hatte, hatte ich dennoch mehr Angst vor den Konsequenzen als gedacht, vor allem weil ich nun vielleicht eine Verantwortung in mir trug die beinahe nicht zumutbar war.
Er musste die leichte Panik in meiner Stimme bemerkt haben, denn er hob zögernd die etwas aufgeschürfte Hand, in Richtung meines Armes, hielt dann aber inne, er wusste dass ich nicht vergessen hatte wieso ich hier sass.
dass er uns noch immer verraten hatte, auch wenn es für seinen Bruder war.
"Ich habe einen Deal mit Malcolm geschlossen, nichts grosses, aber ich musste dich sehen."
Sagte er leise und selbst seine Stimme klang rauer, strapazierter, er hatte nicht denselben Aufenthalt wie ich genossen.
Das merkte ich schon daran wie er das weiche Bett richtig fest krallte.
"Wieso?"
Flüsterte ich und konnte nur sein etwas eingefallenes Gesicht betrachten, es bedeutete so viel, hier etwas bekanntes zu sehen.
Ich konnte nicht beschreiben was das Leben hier mit mir machte, aber es hatte mich kurzzeitig verändert, sodass sich alles in mir auf die Erinnerungen konzentrierte, auf etwas was ich kannte oder mir etwas bedeutete.
Meine Gedanken waren nicht mehr rein, sie waren nicht mehr wirklich von mir, sie waren von einem Mädchen dass einsam geworden war.
Dass alleine versuchte gegen eine Regierung an zu kommen und nicht daran zu zerbrechen, dass nun vielleicht die grösste Schwäche der ganzen Gang bildete.
Sie waren anders.
Es zählten nun andere Dinge, andere Dinge waren wichtig.
Ich vergass was er getan hatte, es war nicht mehr wichtig, nur die menschliche Nähe die ich mochte machte sich bemerkbar.
Ich brauchte Nähe, ich brauchte sie mehr denn je, auch wenn mein Hirn zu dieser Zeit noch klar sagte, wer und wer nicht.
"Du hast es auch gehört oder?"
Brachte ich heraus, doch meine Stimme war viel zu brüchig als dass ich die Worte ganz aussprechen konnte.
Doch er hatte schon verstanden und nicke, worauf ihm eine schwarze Strähne in die Stirn fiel.
Und wieder spielte mir mein zerbrochenes Ich einen Streich.
Ich sah nicht mehr Lucas von mir, ich sah nur eine Person die dieselbe Geste machte wie die die ich liebte, deren Nähe ich so vermisste.
Beinahe hypnotisiert strich ich sie ihm aus der Stirn, was sich so gut wie noch nie anfühlte, richtig auch wenn ich tief in mir wusste wer hier wirklich sass.
Aber es war nicht relevant, wir beide verzehrten uns nach etwas Nähe des Anderen.
Sein Blick fixierte meinen fest und ich öffnete leicht den Mund.
"Sag nichts."
Sagte er, er wusste dass ich mich entschuldigen wollte, denn ein wenig Verstand war mir noch geblieben, gerade so viel um zu sehen dass ich verrückt zu werden schien, dass mein Körper anders spielte und dass ich mich bereits diesem Leben angepasst hatte, und deshlab anders reagierte.
Also nickte ich schwach und spürte wie mir Tränen in die Augen stiegen, schon wieder diese Tränen die bereits meine Wangen auf geschürft hatten, so fühlte es sich auf jeden Fall an.
Als er es sah konnte ich diesen erschrockenen Gesichtsausdruck gar nicht genug in mich aufsaugen, diese menschliche Regung die mir fehlte lud sich langsam wieder auf, die Einsamkeit fühlte dass es ihre Gelegenheit war, mich weiterhin am Leben zu erhalten.
Also liess ich es zu, als er mich erst fragend ansah und dann in den Arm nahm.
Es war mir egal dass es Lucas war, dass wir solchen Ärger bekommen würden oder dass ich im Gefängnis sass.
Nun wollte ich bloss die Wärme, die Nähe die von ihm aus ging und das beruhigende Atmen von ivm an meinem Ohr, während ich das Gesicht an seiner Schulter vergrub.
Um uns herum war es noch immer ziemlich düster, die Lampen reichten nur schwach hier nach oben und die im Gang schienen defekt zu sein.
"Shh, Jessy beruhig dich, es wird alles gut."
Er redete nicht mit Überzeugung, als wäre auch ihm bereits der Kämpfergeist entzogen, aber es beruhigte mich, die sanfte Stimme und wie er langsam über meine Seite strich.
Dann schob er mich langsam zurück, mein Kopf war bereits so durcheinander dass ich das Gefühl hatte auf Drogen zu sein, so fühlte es sich also an, verrückt zu werden.
Ich sah nur ihn, das unglaubliche Gefühl der Leere um mich herum.
"Wird es nicht, ich..ich kann nicht mehr."
Brachte ich hervor, es war das erste Mal dass ich mir das eingestand hier drinnen.
Es war immer so gewesen dass ich es nicht sagte, denn dann konnte es auch nicht wahr werden, doch nun war es zu deutlich als noch dagegen an zu kämpfen.
Mein Kopf schaltete ab, ich nahm nichts mehr richtig war, es war schlimmer als Depressionen, ich wurde zu Dingen getrieben die ich nicht einmal mehr als schlecht ansah, auch wenn mein inneres mich anbrüllte es nicht zu tun.
Ich sah dass es ihm auch so ging, wir konnten nicht miteinander reden aus Angst das bisschen Bähe und Vergrauen durch das Geschehene aus zu löschen.
Und wir neide krallten uns daran fest, also gab es nur einen weg.
Langsam hob er den Finger und strich mir mit der Fingerkuppe beinahe wie eine Feder die Tränen weg.
Als er die Hand zurück zog schnellte ich vor und hielt sie fest, umklammerte sie mit meinen Händen und bereits da wusste ich es.
Ich konnte nicht mehr, von irgendwo musste ich Kraft schöpfen um das durch zu halten.
Mein Körper tat die Entscheidung für mich, er liess es sich richtig anfühlen.
Nicht falsch, unmenschlich der Person der meine Liebe galt gegenüber.
Er schaltete auf Überleben aus und das war meine einzige Chance nicht an der Klippe zu zerschellen.
Er sah langsam auf die Hand und dann zu mir, während ich den Kopf etwas hob.
Mittlerweile war er näher gerutscht, sein Knie berührte warm meinen Oberschenkel als er sich mehr zu mir drehte.
"Nicht näher."
Brachte ich hervor und ich wusste dass er es versuchte, genau wie ich, doch wir kamen nicht gegen das Gefängnis an, nicht gegen das was es mit uns gemacht hatte.
"Ich kann nicht anders."
Murmelte er und sein Gesicht näherte sich meinem, während er langsam eine Hand an meine Wange legte, was mir plötzlich so viel mehr Wärme verschaffte.
Ich sog den Blick in seinen Augen ein, wir verhungerten seelisch beide, wir durften nicht brechen aber es war so schwierig ohne Nähe.
Es war erbärmlich nach nicht einmal einer Woche, aber ich hatte viel Erfahren und viel Durchgemacht.
Eigentlich sollte ich ihm eine Ohrfeige geben und mir auch, allein für den Gedanken.
Aber ich konnte ihn nicht mit klarem Blick ansehen, er war nicht mehr ein Freund oder Verräter.
Er war einfach nur mich das Einzige was es im Moment für mich gab.
Als er sanft mit dem Finger über meine Schläfe fuhr schloss ich die Augen und atmete langsam aus, bedacht jedes bisschen Kraft was ich fand in mich auf zu saugen.
Als ich die Augen wieder öffnete sah ich seinen besorgten Blick, doch ich lechzte danach, nach jeder Regung in seinem Gesicht.
"Ich..."
Begann er, seine Stimme rau, wir wussten beide was darin ganz deutlich heraus zu hören war, es war das Gleiche wie schon immer, alles was er nie zu gegeben hatte, weil er unsere Freundschaft nicht hatte zerstören wollen.
Nun trat es an die Oberfläche und ich konnte nicht anders als es so schnell wie möglich bei mir zu haben.
Ich konnte meine Gedanken nicht nutzen, ich konnte diese Worte nicht stoppen, es ging nicht und ich hatte das Gefühl zu explodieren wenn diese Leere in mir nicht gestillt wurde.
Jetzt wo alles noch schlimmer geworden war, brauchte ich es.
Ich legte seine Hand an meine Wange und sah ihn an.
"Tu es."
Es waren vielleicht die falschesten Wörter die ich je gesagt hatte, die für die ich mich am meisten schämte, aber ich wusste dass ich es brauchte.
Kurz flackerte sein Blick auf, ich wusste auch dass er darauf schon lange gewartet hatte.
Und bald würde ich mich dafür doppelt so mies fühlen.
Langsam näherten sich seine Lippen meinen und ich konnte spüren wie sie leicht, beinahe unwohl darüber strichen, sodass ich die Augen schloss.
Dann fühlte ich ihn, den Kuss.
Leicht, und sofort durchströmte mich eine Welle an Kraft und Liebe.
Wir spürten beide wie wir uns gegenseitig nach oben zogen, wir beide hatten wir langsam das Gefühl als könnten wir aufrechter sitzten, als er sich näher an mich drückte, als ich einen Körper aus Fleisch und Blut neben mir spüren konnte.
Doch es schmerzte auch, mit jeder Sekunde in der ich erwiederte oder durch seine Haare strich wurde mir klarer was wir taten, die Kraft kehrte zurück und es begann weh zu tun.
Je länger ich darin versank desto falscher fühlte es sich an, bis ich mich schliesslich atemlos löste.
Es war ein Kuss gewesen den ich nie wieder vergessen würde.
Und zwar nicht weil er aus Liebe war, genau deshalb behielt ich ihn im Gedächtnis, ich hatte nicht das gefühlt was ich bei Aiden tat, dennoch war es das Gefühl einer Rettung gewesen.
Ich hatte niemals gedacht das sich imstande war so etws zu tun, doch nun war es passiert und egal wie geschockt ich nun war, als sich mein Hirn wieder einschaltete, es war gewesen um mich vor dem zersplittern zu bewahren.
Ich fühlte mich sofort unglaublich schuldig, sowohl Lucas als auch Aiden gegenüber, den ich niemals betrügen wollte, den ich über alles liebte doch den ich vielleicht nie wieder anfassen konnte.
Ich sah dass Lucas es erriet als er sich langsam von mir zurück zog, erst dann zog ich meine, in sein Shirt gekrallte Hand zurück und sah ihn an.
Er war nicht zufrieden endlich mal das Mädchen bekommen zu haben, er war wie ich wieder mit neuer Kraft versehen.
Er bereute es nicht aber er verstand mich, und alles schien sich zu lösen.
Die Spannung zwischen uns die schon so lange herrschte verschwand und die Wut auf seinen Verrat war wie weg gewischt.
Es herrschte eine Art Friede zwischen uns den in nach dem was wir getan hatten und in dieser Lage nicht erwartet hätte.
Aber er schien zu wissen was dieser Kuss bedeutet hatte, er schien mich zu verstehen, alles zu verstehen.
Dafür war ich ihm so unendlich dankbar.
"Sag nichts, ich weiss schon."
Er lächelte sanft, es war schon lange her seit ich ihn das letzte Mal so hatte lächeln sehen.
Es war auf dem orangen Autodach gewesen, bevor das alles angefangen hatte.
Es schmerzte daran zu denken also liess ich es, stattdessen versuchte ich ein zu sehen dass ich es nicht aus Liebe getan hatte.
Aber dennoch fühlte ich mich schuldig.
"Er wird nichts erfahren, es bedeutete nichts, es ist vergessen."
Lucas nickte, ich glaubte zu wissen dass er bloss seine innere Verletztheit überspielte, doch ich war froh darüber.
Ich wollte zu Aiden ehrlich sein, doch das war etwas was ich garantiert niemals jemandem erzählen würde, denn das hier war nicht ich gewesen, und das wusste Lucas auch.
Trotz der Schuldgefühle die sich langsam mit all den anderen Wirren Gefühlssträngen in meinem Inneren vermischten, kehrte eine Ruhe ein, wir sassen einfach da.
Keiner von uns wollte an die nächsten Minuten denken, denn die konnten alles wieder kaputt machen.
Und das taten sie auch.
Die Ruhe war mit einem Schlag vorbei und auch die Wärme sackte in sich zusammen, meine Augen schossen zu der Zellentüre, als diese erneut quietschte, mittlerweile war das mein Zeichen alle Alarmstufen auf zu fahren.
Heute hatte ich keine Ruhe, was auch immer das für ein Tag war, wenn ich draussen war wollte ich ihn für immer aus allen Kalendern streichen. Nicht nur um meine Fehler zu vertuschen.
Und dieses Mal war es nicht eine schöne Überraschung, viel mehr war es das pure Böse was zu mir hinein treten wollte.
Dylan stand da, eine der rostigen Gitterstäbe in der Hand und die Türe offen gehalten, ein Wächter stand reglos hinter ihm und sah sich um, ob er ihn bestochen hatte wusste ich nicht, aber hier war es durchaus möglich, wenn sowieso nie etwas wirklich an den Tag kam, was hier drinnen wirklich ablief.
Und den Gefangenen glaubte sowieso niemandem, doch all die Menschenrechte die selbst für uns hier gelten sollten wurden manchmal ignoriert.
Lucas spannte sich an aber versuchte für mich ruhig zu bleiben, ich wusste aber längst was Menschen fühlten und de Nervosität war auf mich übergegangen.
Mit einem Ruck war die Angst wieder da, begleitet von dem Hass, der über allem stand, alles was Dylan getan hatte und nun tauchte er hier wieder auf?
Wo ich am verletzlichsten und schwächsten war?
Voller Sorge sah mich Lucas an, es interessierte ihn anscheinend nicht was sein kleiner Besuch für Folgen für ihn haben würde, bevor er mir sanft eine Strähne aus dem Gesicht strich, was ich leider gequält genoss und mir in die Augen sah, während er sich dann langsam erhob und an Dylan vorbei aus der Zelle schritt, während dieser ihn kurz überrumpelt ansah, danach aber ein hämisches Grinsen sich ausbreitete.
Jeder Schritt war klar und stolz, ihre Verachtung war in jeder Bewegung zu sehen, sie war so stark.
Als der Wächter ihn aber nach einem Nicken von Dylan weg führte gefror es in mir, ich hatte die Stumme Unterhaltung gesehen, was er nun mit Lucas machen würde wäre alles andere als was ich mir ausmalen wollte.
Doch Lucas sah mich nochmals an, diese Augen waren für mich nie wieder zu vergessen, dieser kurze Funke der mir sein Inneres zeigte und danach die Kälte, als wolle er mir zeigen wie er abschaltete.
Danach würdigte er mich keines Blickes und verschwand, gefolgt von dem Wächter, es wurde mir bewusst dass er es mir so leichter machen wollte ihn gehen zu lassen.
Danach war die letzte Wärmequelle dahin, er war weg und ich zuckte zusammen als ein Rums ertönte.
Die Türe fiel ins Schloss und der schlimmste Alptraum den ich mir vorstellen konnte wurde wahr.
Ich sass hier und konnte mich nicht wehren, ich war gefangen in einem Raum mit ihm.
Dem Menschen den ich am meisten auf dieser Welt hasste.

Street: Fight or Die *beendet*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt