∞43 Ein Engel stirbt

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Mara, schoss es mir durch den Kopf und ich zuckte zusammen.
Schnell drehte ich mich in ihre Richtung. Sie stand etwas weiter von dem Kampfgetümmel weg, vor ihr Angel, die gerade ruckartig ein Messer aus ihrem Bauch zog. Ihre schwarze Mähne flog dabei um sie herum.
Maras Augen waren geweitet und ich konnte sehen, wie kleine Zuckungen ihren Körper übernahmen.
"Nein!" Brüllte ich und eine ungekannte Wut machte sich in mir breit. Ich rannte los, während Angel mich lächelnd ansah, bevor sie wieder unter den Kämpfenden untertauchte und einfach verschwand. Mara liess sie einfach zurück.
Meine Mauer brach und ich stiess mühevoll die Leute zur Seite, bevor ich Mara erreichte.
Ich fiel neben ihr auf die Knie und achtete nicht darauf dass ich sie mir aufschürfte und die Hose aufriss.
"Nein! nein, nein, nein." Wimmerte ich.
Ich hob ihren Kopf auf meine Schoss, hielt die Pistole aber neben mir, falls einer auf uns zu
kommen sollte. Sie schnappte nach Luft und mir stiegen die heissen Tränen in die Augen.
„Du musst durch halten, verstanden? Bitte, bitte."
Flehte ich leise und drückte meine Hände auf die stark blutende Wunde an ihrem Bauch.
Ich wusste, dass in diesem Moment auch andere Black Angels starben. Und es war schrecklich. Ich fühlte für jeden Einzelnen mit. Aber für Mara ganz besonders. Für sie fühlte ich mich verantwortlich, seid Markus gestorben war. Ich hatte es ihm geschuldet, dass wenigstens Mara ihr Leben weiterführen konnte. Und ich hatte versagt.
Sie sah mich schweigend und unter Qualen an und ich konnte Schmerzen in ihren Augen sehen.
"Du kämpfst weiter, hast du mich verstanden? Du überstehst das."
Tränen traten in meine Augen und sie lächelte schwach.
"Danke Jessy. Danke dass du für Markus da warst und auch für mich."
Sie drückte meine Hand und schon sie weg von ihrem Blutgetränkten Shirt.
Ich nickte und meine Unterlippe zitterte unkontrolliert. Ich war nicht imstande, etwas zu sagen.
„Aber du musst mich jetzt gehen lassen."
„Nein, niemals."
Presste ich hervor und hinterliess einen blutigen Handabdruck auf dem Boden der Brücke.
„Bitte, Jessy. Lass mich zu Markus gehen. Ich möchte ihn so gerne wieder sehen."
Hauchte sie.
„Noch nicht jetzt!"
Ich schüttelte heftig den Kopf und rüttelte an ihr, doch sie umfasste sanft meine Hand mit ihren Bleichen Fingern. Es klebte Blut daran. So viel Blut.
Ihr Blick war an mir vorbei in die Ferne gerichtet.
"Ich kann ihn sehen Jessy. Er ist hier, und kommt mich abholen. Ich habe ihn so sehr vermisst. Und jetzt kann ich bei ihm sein."
Ich krümmte mich und hielt ein Schluchzen zurück. Gerne würde ich ihn auch sehen. Mich bei ihm entschuldigen und ein letztes mal umarmen.
Doch ich sah nur Menschen, die sich gegenseitig niederrangen.
„Ich kann jetzt los lassen."
Ihre Augen richteten sich auf einen Punkt hinter mir, während ich laut aufschluchzte.
Sie lächelte. Sie sah glücklich aus und streckte eine Hand aus, bevor sie schlaff nach unten fiel.
Ich schrie auf und krallte die Hände in ihre Arme. Schon wieder starb jemand in meinen Armen.
Dann stand ich wankend auf. Mein Körper bebte und ich hätte am liebsten den ganzen Schmerz aus mir heraus geschrien. Meine Augen wanderten über das Geschehen.
Ein Engel war gerade gestorben.
Nun war es Zeit, dass ein weiterer Starb.
Mein Blick flog umher und alles krampfte sich zusammen. Ich suchte sie. Angel.
Sie hatte es getan weil sie mir Schmerzen zufügen wollte, ich hatte es in ihrem Blick gesehen.
Angel hatte nicht getötet weil sie so überlebte, sondern zum Vergnügen. Zum Zweck.
Sie war schuld an alldem. Sie war schuld.
Und jetzt hatte sie ihr Spiel zu weit getrieben.
Jetzt hatte sie ein Spiel mit mir begonnen, in der Erwartung zu gewinnen, so wie sonst immer.
Doch dieses Mal würde sie zurück bekommen was sie getan hatte.
Ich fühlte die Verantwortung für alle die hinter mir standen, tot oder gepeinigt durch das Mädchen deren Name eine reine Ironie war.
Angel, der Teufel.
Jetzt würde ich sie dort hin stossen, wohin sie gehörte. In die Hölle.
Doch als ich, der Wind durch meine Haare blasend und mir den Geruch nach totem Fleisch in die Nase treibend umher sah, erstarrte ich kurz.
Vorher hatte ich es nicht gesehen, ich war so damit beschäftigt gewesen zu kämpfen und zu überleben. Doch jetzt übermannte mich die Realität.
Der Boden war gespickt mit Körpern und alles war rot.
Die Leute kämpften in vereinzelten Gruppen, viele hatte ich bereits aus den Augen verloren.
Viele der Autos waren übersät mit Leichen und von überall erklangen Schreie und Befehle, Hilferufe.
Unsere Formation, die die Survivors eigentlich hätte umzingeln sollen, hatte sich aufgelöst. Sie waren durchgebrochen. Wir waren daran, zu verlieren.
Wir verloren gerade.
Immer wieder sah ich einen Black Angel unter drei von ihnen verbissen ums Überleben kämpfen. Unsere Gemeinschaft brach auseinander und niemand konnte mehr die Grenzen halten.
Man musste nur noch für sich selbst überleben, und viele taten das nicht.
Mara hatte sich für uns geopfert, und noch für etwas anderes.
Dafür, dass ich das sehen konnte.
Niemand achtete darauf, jeder kämpfte so weit seine Arme reichten, mehr interessierte ihn im Moment nicht. Das war Instinkt.
Aber von hier aus sah ich es.
Und ich wusste, dass wir verlieren würden wenn ich sie so weiter kämpfen liess.
Ich hoffte so sehr, dass es jemand anderes tun würde, doch ich konnte nicht einfach abwarten.
Meine rot gefärbte Hand tastete nach dem Gerät in meiner Tasche und ich zog es mit zitternden Fingern hinaus.
Mein Finger strich über den Roten Knopf und ich knallte einen Survivor einen Schuss direkt in die Brust, der auf mich zustürmte.
Ich starrte den Knopf an und dachte daran, was mit all den Personen passierte, die dieses Gift einatmen würden, wenn es erstmals wirksam wurde. Nicht alle würden mit dem Leben davon kommen. Und zwar wegen mir. Aber würde ich es nicht tun, würden die Survivors uns überrollen und zerstören. So wie Angel es vorausgesagt hatte.
Es war ein Notfall, und ich musste Handeln.
Drücken oder nicht drücken?
Töten oder nicht töten.
Leben oder sterben.
Ich entschied mich fürs Leben. Für das Leben meiner Freunde, meiner Mitkämpfer.
Ich stiess ein Stossgebet aus, dass jeder der Angels ein Tuch dabei hatte.
Dann zog ich mir meines über den Mund und die Nase.
Ich befestigte es. Den Kämpfenden würde wenig Zeit bleiben, ihre eigenen Tücher hervorzuholen, wenn das Gift in der Luft war. Aber sie mussten reagieren. Sie mussten einfach schnell genug sein.
Dann hob ich den Daumen, den Blick richtete ich auf das einzige heil gebliebene Auto, welches hartnäckig von Simon und Sam geschützt wurde, die in einiger Entfernung die Stellung hielten.
Und dann sah ich Angel. Sie näherte sich dem Auto und Sam sowie Simon von hinten. Ungesehen. Sie wollte meine Freunde zu.
Ich lächelte. Ein kaltes Lächeln. Rache.
Für Mara, für Markus, für den verkrüppelten Mann im Bunker, für Aiden und Jake.
"Stirb, du Teufel."
Murmelte ich.
Dann drückte ich auf den Knopf.
Es dauerte eine Sekunde.
Eine Sekunde in der Angel gerade den Wagen erreichte und somit hinter Simon und Sam stand.
Dann flog er durch eine enorme Druckwelle einige Zentimeter in die Luft, und eine Welle aus blauem Feuer umhüllte ihn.
Der Kampf hielt inne und man verharrte in der Position, die man gerade hatte. Die Black Angels zogen sich die Tücher um den Mund und machten einige Schritte zurück.
Es knallte laut und der Tank explodierte, während das Feuer loderte und Scherben in alle Richtungen stoben. Ich wusste nicht, wo sich Aiden oder Jake, geschweige denn Leonie befanden, aber ich hoffte, dass sie sicher waren.
Angel wurde zurück geschleudert und überschlug sich, dann knallte sie auf den Boden. Icv folgte ihr mit dem Blick. Was für eine Ironie. Sie blieb direkt vor Jakes Füssen liegen.
Er hatte sich das Tuch über gezogen und sah kalt auf die sterbende, junge Frau hinunter.
Ich sah, dass Angel irgendetwas sagte und sich krümmte, doch ich wusste nicht was. Ich wandte den Blick ab. Das war ihr Moment, an mir und allen anderen lag es nun, den Joker zu nutzen, bevor das Gas im Wind verblasste.
Ich sah nochmals zu Mara zurück und schluckte den fetten Kloss in meinem Hals hinunter, dann lief ich auf das Getümmel zu.
Die Survivor begannen langsam zu verstehen, was hier lief, als sie uns mit unseren Schutzmasken sahen und die ersten begannen, nach Luft zu schnappen oder zu würgen.
"Jetzt kommen wir euch holen."
Zischte ich und ich fühlte mich dumpf und leer.
Die Survivor brachen in Panik aus. Sie stoben nach Atem ringend auseinander.
Einige flehten um Hilfe, einige griffen nach den Tüchern der Black Angels, andere rollten sich auf dem Boden zusammen oder sackten reglos zusammen.
Ein Mann schnappte stumm schreiend nach meinem Bein und ich stiess ihn weg, sah ihn nicht an.
Wir hatten nun die Oberhand. Wir beherrschten diesen Kampf. Jetzt waren sie es, die drum
Und dran waren, zu verlieren. Ein Grossteil von ihnen krümmte sich unter dem Gift.
Ich wusste dass die Gase zur nur einige wenige Minuten in der Luft ein zu Atmen waren. Viele der Survivors würden danach wieder aus ihrer Ohnmacht aufwachen. Aber nicht alle.
Langsam liessen die Kämpfe nach. Die Black Angels bliebb stehen, bekamen einige Sekunden Zeit um durchzuatmen oder sich verwundet etwas zurück zu ziehen.
Jake nutzte die Gelegenheit, um es zu beenden.
„Was ihr fühlt, was euch gerade die Luftröhre zuschnürt, das ist Gift!"
Schrie er und seine Worte erfüllten den Raum der gesamten Brücke.
„Wir geben euch die Möglichkeit, euch uns anzuschliessen! Tut ihr es nicht, dann sterbt so wie eure Anführerin. Entscheidet euch für sie oder euer Leben!"
Die Männer und Frauen wussten ja nicht, dass die Wirkung des Giftes nicht für immer anhalten würde.
Und sie wussten auch nicht, dass für einige von ihnen ohnehin jede Rettung zu spät kam.
Ich konnte Panik und Todesangst in ihren Augen sehen. Ich zitterte am ganzen Körper. Erst jetzt bemerkte ich, dass ich noch immer krampfhaft den Knopf gedrückt hielt. Ich warf das kleine Gerät weg. Weit weg von mir.
Die Mordlust und die Feindlichkeit uns gegenüber war verschwunden, in dem Moment würden sie alles tun um zu überleben.
Und das nutzte mein Bruder.
"Jeder der zu den Black Angels wechselt hebt nun die Hand und er wird das Gift bald nicht mehr spüren!"
Die Lüge kam ihm unbemerkt über die Lippen, alles an ihm, seine Stimme und seine Körperhaltung deuteten an dass er sich seiner Worte sicher war.
Die ersten Hände schossen zitternd in die Höhe, mittlerweile lagen sie alle gequält auf dem Boden.
Als die ersten Mitglieder sich uns angeschlossen hatten folgten die Übrigen immer schneller und schliesslich hatten alle, die noch in der Verfassung dazu waren, die Hände in die Höhe gerissen.
Und das keine Sekunde zu früh.
Schnell bewegte Jake seine Hände. Die Black Angels pressten ihnen mit dem Gegengift getränkte Tücher an die Lippen und die ersten der Survivors begannen, sich zu entspannen und wieder aufzustehen. Aber sie griffen uns nicht an.
Ich sah umher, nun wo es zu Ende war musste ich wissen wie es den anderen ging.
Viele Mitglieder waren tot, aber viele lebten noch, und die Überlebenden der Survivor füllten uns weiter auf.
Dennoch würde es schlimm für die sein, die zuhause warteten, wenn die Vermissten nicht mehr kommen würden. Ich fühlte mich schuldig für jeden Einzelnen von ihnen. Dennoch hatte es jeder aus freien Stücken getan. Um Teil von etwas grösseres zu sein, um sich zu rächen, für Geld oder um zu denen zu gehören, die bald das Sagen haben würden. Wir würden jeden Einzelnen, der gefallen war ehren. Das nahm ich mir fest vor. Meine Gefühle waren wie betäubt, vielleicht ein Schutzmechanismus.
Denn nun musste ich mich in aller erster Linie auf die Überlebenden konzentrieren.
Ich sah mich hektisch um, während sich schon die ersten Gruppen zusammen schlossen und sich umarmten, ob Trauer oder Glück sah man nicht. Schlaffe Körper oder verwundete Mitglieder wurden hochgehoben.
Ich spürte keine Wunde an meinem Körper, trotzdem war ich voller Blut. Blut von anderen. Ich schritt zwischen den Menschen hindurch, suchte meine Familie, meine Freunde zwischen all den mehr oder weniger bekannten Gesichtern.
Ich sah Aiden neben Jake ausmachen. Ein unglaublich grosser Stein rutschte mir vom Herzen.
Ich konnte Leonie ausmachen,Fabio, Knut und Kenan ebenfalls.
Nur Simon stand schluchzend vor einem Körper, auch Lucas stand etwas weiter weg und starrte auf Sam. Er war tot.
Ich war unglaublich erleichtert das sie noch lebten, und dennoch erfüllte es mich mit Trauer, denn Sam würden wir nie wieder sehen.
Unsere Familie war um ein Mitglied kleiner geworden.
Jeder verabschiedete sich von unserem Freund. Auch ich kniete neben ihm nieder und bedankte mich für alles, was er für uns getan hatte.
Ich bildete es mir nur ein, aber ich dachte dass seine Gesichtszüge friedlicher wurden.
Dann stand ich auf und wir, meine Familie, der innerste Kreis, umarmten uns. Wir mussten einander fühlen. Dass wir noch da waren.
Es tat gut nach all dem Durchgemachten da zu stehen, sich fest zu halten und die anderen neben sich zu spüren.
Wir alle brauchten es um unsere Trauer, unsere Freude und unsere Fassungslosigkeit miteinander zu teilen.
Dann flüsterte Knut.
"Wir haben es geschafft. Die Krone des Untergrunds gehört uns! Leute, wir sind die Black Angels!"
Er hatte recht. Wir waren da wo wir immer sein wollten. An der Spitze.
Es hatte Opfer gefordert. Krasse Opfer, die nicht nötig gewesen wären, gäbe es keine Gangs.
Es würde eine neue Ära für uns beginnen, und wir alle wollten sie mit erleben.
Es war geschafft, das dachte ich mir, und es erfüllte mich mit Erleichterung.
Und dann hörte ich genau dass, was wir von Anfang an hatten vermeiden wollen.
Sirenen.

Street: Fight or Die *beendet*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt