∞19 Leon dreht durch

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Es dauerte noch eine Weile bis wir uns aus dieser Umarmung lösten, einer Umarmung die schon so lange Zeit überfällig gewesen war.
Als Jake mir dann sagte dass sie nun besprechen mussten was zu tun war, hatte ich bloss genickt, ich wollte nicht nach unten gehen und glücklich wirken, aber ich würde es tun weil es ihnen gut tat, und somit auch mir.
Sowas war etwas was gute Anführer taten und ich wollte dasselbe tun. Selbstlos sein, wenigstens einmal.
Aber erst als ich mich wieder bei Aiden nieder liess, der über das ganze Gesicht zu strahlen schien, und die Jungs die in erhitzten Gesprächen über coole Mädchen und Jungennamen steckten, die mir deutlich zeigten wie viel Hoffnung sie geschöpft hatten, sah ich wie schwierig es sein würde.
Auch bemerkte ich Leons Blick.
Diesen Blick den ich in letzter Zeit so oft spürte, er freute sich nicht, ich wusste dass er das seit Lucas Tod nie mehr gemacht hatte, er war immer verschlossener geworden.
Sein Tod war vor allem ihm auch nahe gegangen, die Beiden waren wie Brüder gewesen. Und ich wusste wie er sich fühlte, mir ging es ähnlich.
Ich mochte den Blick nicht, ich spürte einen stillen Vorwurf darin, den ich mir selbst bereits zur Genüge und oft stellte, doch nun versuchte zur Seite zu stossen.
Bald wurden die Gespräche ernster, man begann sich über das Baby zu unterhalten, was es für ein Zeichen für die Gang war, aber auch was es für einen grossen Schwachpunkt darstellte.
Ich sass daneben und schluckte, alles was sie erzählten, die Vorsichtsmassnahmen waren übertrieben, als schwebte ich, oder besser das Baby in mir drin in riesiger Gefahr.
Und ich wollte weder das noch zu viel Aufwand für mich, doch irgendwie schien es ihnen gut zu tun, sich um etwas zu kümmern.
Vor allem Aiden sah entschlossen aus, jede Fliege zu prüfen, bevor sie sich mir auf zwei Meter näherte.
Aber ich wusste auch dass er nicht alles verhindern konnte.
Unser Leben, ein Leben auf das wir uns alle eingelassen hatten, war gefährlich und hatte keine Gesetze wie die Obere Welt.
Vielleicht hatte ich mich im Mittelpunkt der Sicherheit immer wohl gefühlt, aber spätestens seit dem Gefängnis wusste ich dass man niemals vor allen Gefahren davon laufen konnte.
Wir lebten nunmal anders und es war härter, die Menschen mussten härter sein weil ihr Leben das von ihnen forderte.
Weil es sie so geformt hatte, jedenfalls die Überlebenden. Die Anderen waren daran gescheitert, an der Aufgabe sich damit zurecht zu finden.
Ich dachte nach, die ganze Zeit sass ich auf der warmen Couch und roch Aidens einzigartigen Geruch neben mir, während die anderen diskutierten wie man strategisch vorgehen konnte.
Mir wurde jedoch langsam immer klarer, dass ich das kleine Wesen in mir in einer Welt trug, die es nicht verdient hatte.
Es hatte keine Schuld daran, an dem was seine oder Ihre Eltern getan hatten.
Und trotzdem würde es nicht normal aufwachsen, es würde immer eine Seite haben, die zum Untergrund gehörte.
Und diese könnte es niemals ganz los werden. Doch irgendwann musste ich irgendwelche Vorbereitungen treffen, damit es anders aufwachsen konnte als hier. Es sollte alles haben was ich nie hatte und auf keinen Fall in einem Umfeld auf die Welt kommen, indem sich Leute für Macht abschlachteten.
Es würde rein sein und unbeschmutzt. Ich wollte dass sich das niemals ändern würde.
Ich wollte einfach Besseres für das Kind, aber jetzt musste ich in erster Linie die Probleme überstehen, die uns die Regierung und die Reds noch bereiten würden.
Es war ein Machtkampf der schon Generationen lang geführt worden war, ich wollte wie jeder dass er endlich endete.
Aber das ging nur wenn eine Seite aufgab oder verlor.
Und wir waten auf keinen Fall gewillt zu verlieren, das wusste ich genau.
Und die Andere Seite ebenfalls nichts. Also würde der Krieg niemals enden.
Und irgendwann auf die nächste Generation übergehen die ihn weiter austrug und die Last wiederum nach ihrem Tod an Andere abgaben.
"Wir könnten das Baby mit der Kampfansage verknüpfen."
Schlug Knut vor und ich presste die Lippen zusammen, ich wollte nicht als Maskottchen dastehen, und mein Baby für so etwas missbrauchen lassen.
Klar würde es Mut spenden, aber sobald es auf der Welt war würden alle erwarten, dass es uns irgendwann genauso führte wie Aiden und Jake.
"Kommt nicht infrage, dann würden wir es der ganzen Welt verkünden und auf keinen Fall missbrauchen wir meine Freundin für sowas."
Aiden hatte entschieden verneint und somit war das Thema Gott sei Dank vom Tisch.
Schön dass er gespürt hatte was ich fühlte und auch ich war völlig einverstanden mit seiner kleinen Schimpf Tirade.
Ich bemerkte gar nicht dass er sich zu mir umgedreht hatte.
"Kätzchen? Alles okay?"
Aidens sanfte grüne Augen fingen meinen Blick ein und die Zuneigung darin erinnerte mich gar nicht mehr an die Herablassung, die er mir bei unseren ersten Begegnungen immer gezeigt hatte.
Kurz musste ich lächeln, wenn ich darüber nachdachte wo ich jetzt stand, was schon alles passiert war.
Ich wollte vieles anders machen, aber wenn ich es nicht getan hätte, sässe ich jetzt nicht hier.
"Ja, alles gut."
Sagte ich leise und nickte.
Ich wusste dass Aiden einen ausgeprägten Beschützerinstinkt hatte, Jake hatte sogar den noch grösseren.
Aber es war immer wieder zum Anbeissen süss wenn er mich näher zu sich zog und mich prüfend betrachtete, ob ich ja auch weit genug von jeglicher potenzieller Gefahr war.
Nur manchmal wurde es lästig, ich wollte gar nicht wissen wie es noch werden würde. Schlussendlich würde er selbst die Treppe als Feindlich einstufen und mich jedes Mal hoch tragen.
Sowas war ihm absolut zuzutrauen. Er kannte in sowas keine Grenzen.
Es fühlte sich aber trotzdem ein wenig gut an, und ich war froh dass er der Vater war, einer dem ich mein Kind anvertrauen konnte.
Der nicht Trank und es schlagen würde, oder dem wir egal waren.
Ich könnte mir Niemand besseren wünschen, und egal wie viele Steine mir das Leben schon in den Weg gestellt hatte, egal wieviel Leid ich schon getragen hatte, oder bei Anderen hatte sehen müssen, in dieser Sache hatte ich es gut.
Ich wurde geliebt und das war der Schlüssel zum Leben, das war meine Motivation dieses Leben zu leben.
Jeder brauchte eine, und ich war froh dass es bei mir nicht mehr der Hass war, der noch vor kurzem an mir genagt hatte.
Ich bekam nicht richtig mit wie sie auf den Laptops herum tippten, alles was ich sah war die Veränderung der Schatten auf der Wand, wie die Laternen angingen als es stockdunkel war und wie ich unsere Köpfe über dem Sofa aufragen sehen konnte.
Ich lehnte den Kopf an Aidens Schulter und fühlte kurz darauf seinen Arm um meine Hüfte, sodass ich einfach so verharrte.
Ich hatte Angst dass ich irgendwann noch Jemanden verlieren würde.
Mein Leben war gespickt mit Verlusten, grausamen, die das Leben forderte, für dass ich mich vor einem Jahr nun auch entschieden hatte.
Aber es war schlimm in ständiger Angst zu leben, in jedem Moment könnte Jemand sterben den ich liebte.
So etwas machte uns verrückt, jeden Black Angel, denn wenn wir uns selbst in Gefahr brachten, war das unsere Entscheidung.
Aber wenn man deswegen unsere Familien für uns büssen liess, ich glaubte zu wissen dass es unser aller Schwachstelle war.
Liebe und Familie.
Die schönsten und wichtigsten Dinge waren gleichzeitig die Schlimmsten.
Wieder spürt ich Leons Blick, er kam mir verschlossen vor, so zurückgezogen, doch irgendwie auch versessen darauf, mir die Schuld daran zu geben.
An Lucas Tod.
Es fühlte sich noch immer merkwürdig an das auszusprechen, denn ich hatte noch immer die Erwartung, nein die Hoffnung, dass er durch diese Türe laufen würde, gut gelaunt und mit strahlenden Augen.
Doch so würde ich ihn nie wieder sehen.
Genauso wenig wie meinen Wärter, Mace.
Wie er mir geholfen hatte, mich zusammen mit Malcolm vor so viel Leid bewahrt dass sonst jedem zugefügt wurde.
Das Bild ging mir nicht mehr aus dem Kopf, we die Geschwister da lagen und sich ihr Blut auf ewig vermischte. Wie sich zwei verlorene Seelen wiedergefunden hatten und nun zusammen ruhten. So wie es von Anfang an hätte sein müssen.
Kurz sah ich Jake und mich da liegen, es wäre möglich gewesen, es hätte Jeden treffen können, doch das Leben hatte die Brüder als Tribut gefordert.
Langsam hob ich den Blick und sofort wandte Leon seinen ab.
Etwas niedergeschlagen betrachtete ich ihn, wie er mit gekrümmten Rücken in dem Sessel sass und auf seine, auf den Knien verschränkten, Hände starrte, als müsste er sie verbrennen. Dafür dass er nichts hatte tun können.
Ich spürte dasselbe, ich hatte auch versagt. Wegen dieser einen Kugel war Lucas nun tot und Dylan dieses Schwein lebte noch immer und war davon gekommen.
Leon brauchte Jemandem, dem er die Schuld geben konnte, das wusste ich nur zu gut.
Ich hasste die Bullen bis heute, weil ich ihnen die Schuld am Tod meiner Eltern geben konnte.
Aber es gab einen Unterschied.
Bei mir waren es wirklich die Gesetzeshüter gewesen, aber ich hatte Lucas nicht getötet, auch wenn es mir manchmal so vorkam.
Trotzdem würde Leon es mir nicht verzeihen, was auch immer in ihm vorging, es vergiftete ihn und machte Ihn Stumpf, gegenüber aller Vernunft.
Egal ob er eigentlich mein Bester Freund war.
Ab und zu schnappte ich Wortfetzen auf, davon wie wertvoll wir waren, das Kleine und ich.
Es war ein schönes Gefühl wenn sich hunderte von Leuten für einen interessierten, aber es war nicht das was einem mit Freude erfüllte.
Man fühlte die Macht über eine Armee, aber den Grossteil kannte ich nichtmal.
Wir waren eine Familie, das war der Grund wieso sie es taten, so bereitwillig mit ihrem Leben für uns einstehen.
Wir kannten nur diese Möglichkeit, wie man zusammen hielt.
Bald war das ernste Gespräch vorbei und die Jugendlichen in den verantwortungsvollen Männer kamen wieder zum Vorschein.
Sie witzelten, zogen sich gegenseitig auf oder fingen spassige Prügeleien an. Trotzdem fühlte ich eine gewisse Schwere bei ihnen.
Leonie schlief neben Jake, der ihren Kopf auf seinem Schoss hatte und ich sass einfach da und sah zu, sog die gute Stimmung wie Nahrung in mich ein.
Ich lächelte einfach, weil ich wusste wie gut es ihnen und vor allem Aiden tat.
Mir war ganz und gar nicht danach, aber so wirkte ich etwas verträumt, so wie ich es mir vorstellte, dass ich ansonsten am ehesten so gewirkt hätte.
Dann stiess Leon mit einem wütenden Gesicht den Sessel zurück und sprang auf.
Die Holzbeine knallten gegen die Wand und kurz wurde es ruhig, während ich kurz und unmerklich zusammen zuckte.
Sofort lag meine Hand auf dem ziemlich normalen Bauch, das tat ich in letzter Zeit öfters, als könnte ich damit erreichen dass das Kleine nichts davon mitbekam, was draussen lief.
Wortlos aber mit einer Aura von Wut die auf mich und die anderen zu wallte, verliess er das Wohnzimmer und kurz darauf hörte ich die Türe zur Küche knallen.
Kurz biss ich auf meiner Lippe herum, zögernd.
Aber dann stand ich doch auf, und sah zu den anderen.
"Ich geh zu ihm."
Aiden hielt noch immer meine Hand und liess sie erst langsam los als ich mir einen Weg durch die ausgestreckten Beine der Jungs schlängelte.
Dass ich den Tisch nicht umstiess war eine Meisterleistung, und beruhigt nickten die Jungs wieder, bevor sie sich ihren Gesprächen widmeten.
Ich tappte durch den dunkeln Gang und sah die Türe vor mir, hinter mir war das dämmrige Licht der gemütlichen Stube und vor mir ein zutiefst gebrochener Junge.
Ich wollte ihm helfen, ich wusste nicht wie aber irgendwie würde ich es schaffen.
Zum zweiten Mal an diesem Abend drückte ich die Klinke hinunter, doch dieses Mal mit einem anderen Gefühl als bei Jake.
Ich schloss die Türe leise hinter mir und sah dann hoch.

Street: Fight or Die *beendet*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt