∞ 29 Ich liebe dich

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Es blieb mir kaum Zeit, mich zu orientieren. Alles was mir auffiel, war, dass die Sonne bereits schräg am Himmel stand. Es war also Morgen. Wir waren
Mindestens sechs Stunden in diesem Bunker festgehalten worden. Wer weiss, was in dieser Zeit vielleicht alles passiert war.
„Los! Schnell, wir müssen von der Wiese runter, bevor uns noch jemand sieht!"
Jake rannte los, mich zog er hinter sich her. Bei jedem Schritt und jeder Vibration, die meinen Körper erfasste, schmerzte meine Schulter.
Das Gesicht schmerzlich verzogen, versuchte ich, mit dem Tempo der beiden Jungs mitzuhalten. Doch das war gar nicht so einfach.
„In den Wald und so weit weg von der Strasse wie möglich! Dann sind Ihre Chancen, uns zu finden geringer!"
Als wir endlich den Wald erreichten und ich knirschendes Laub und kleine Äste unter meinen Sohlen spürte, konnte ich fast nicht mehr. Mir war schwindelig und meine Schulter schmerzte höllisch.
„Komm Jessy, nur noch etwas tiefer, sie dürfen uns nicht entdecken!"
Spornte mich Jake an und ihm zuliebe strengte ich mich an.
Meine Beine fühlten sich wie Blei an, als wir weiter rannten und meine Lungen schienen Feuer gefangen zu haben. Das Blut pulsierte in meinem Kopf und ich konnte es hören wie einen Trommelwirbel.
Dann stolperte ich und hielt taumelnd inne.
Uns umgab nun Wald, wohin man auch blickte. Das grüne Blätterdach hatte sich schützend über uns geschlossen, nur einige Sonnenstrahlen erreichten den dicht bewachsenen Boden. Gestrüpp verfing sich zwischen meinen Beinen.
„Scheisse, sie kann so nicht mehr rennen."
Rief Jake Aiden zu. In Null Komma nichts stand er neben mir.
Mit diesen waldgrünen Augen musterte er mich. „Deine Naht ist aufgegangen. Es blutet wieder."
Ah ja? Das hatte ich gar nicht bemerkt. Doch als ich hinsah, bemerkte ich auch das rote Blut, das langsam immer mehr weisse Stoffteile verschlang und rot färbte.
„Ich weiss nicht, ob ich noch lange mithalten kann."
Keuchte ich und sah die beiden missmutig an.
„Es tut mir leid."
Jake umarmte mich vorsichtig.
„Wag es nicht, dich zu entschuldigen, Schwesterherz. Wir sind schliesslich der Grund dafür, wieso dir das angetan wurde. Ich hatte es versucht, doch du bist trotz allem hineingezogen worden."
Er umfasste mein Gesicht mit den Händen.
„Dann laufen wir eben in deinem Tempo weiter."
Ich schüttelte den Kopf.
„Nein. Das lasse ich nicht zu. Wenn sie und erwischen, war alles umsonst. Ihr seid fitter als ich, rennt weiter bis ihr einen Weg raus aus dem Wald findet und gelangt irgendwie nach Hause. Die anderen müssen wissen, dass wir frei sind."
„Sicher lasse ich dich hier nicht einfach zurück!"
Protestierte mein Bruder und verzog die Lippen.
Dann war plötzlich Aiden neben mir und stützte mich, als ich leicht nach links kippte. Ich liess es zu.
„Sie hat recht. Renn du voraus, Jake. Informiere so schnell wie möglich die anderen. Ich bleibe hier mir Jessy und wir folgen dir so schnell wir können."
Sprachlos blickte ich Aiden von der Seite an, doch er ignorierte es und richtete seine schönen Augen auf Jake. Ich sah; dass mein Bruder nicht überzeugt war. Aber wir konnten es nunmal nicht riskieren, alle drei wieder geschnappt zu werden, nur weil ich zu langsam war.
Das musste er auch einsehen.
„Na gut. Aber du beschützt sie. Versprochen?"
Aiden nickte ernst. „Versprochen."
Jake küsste mich auf die Wange.
„Ich komme dich holen. Und danach rächen wir uns bei Angel."
Ich nickte schwach lächelnd. Dann drehte sich mein Bruder um und rannte wieder los. Er war schnell, bald verschwand sein Rücken zwischen den Baumstämmen und dem Dickicht um herum. Als ich ihn völlig aus dem Blick verloren hatte, seufzte ich und trottete los.
Ich zwang mich, immer schön ein Bein vor das andere zu ziehen.
Aiden ging neben mir. Wir schwiegen eine Weile. Ich war unglaublich wütend auf ihn. Und ich war verwirrt.
Schliesslich hielt ich das zwitschern der Vögel und das knacksen der Äste um uns nicht mehr aus.
„Wieso hast du das getan?"
Fuhr ich ihn an und er hob die Brauen.
„Was, dich nicht allein zurück gelassen wie ein Arschloch?"
Ich schüttelte den Kopf.
„Nein. Wieso hast du ihn erschossen."
Er schwieg eine Weile und starrte nur geradeaus, während ich ihn genau von der Seite beobachtete. Sein Kiefer war angespannt, seine breiten Schultern gestrafft.
„Weil er ein Feind war."
Ich verzog die Lippen.
„Und das war alles?"
Wieder Schweigen. Dann atmete er langsam ein.
„Nein. Ich wollte nicht, dass du stirbst."
Ich nickte.
„Ist dir vielleicht mal die Idee gekommen, dass ich das nicht wollte?"
Er sah mich gespielt belustigt an. Auch wenn ich sah, dass er nur versuchte, seine Unsicherheit zu überspielen. Und Aiden war nie unsicher.
„Du hattest also die feste Absicht, da drin abzukratzen?"
Ich blitzte ihn erbost an. Wieder kam mir der Mann in den Sinn, der gestorben war bei dem kläglichen Versuch, uns zu helfen. Wir würden auch ihn rächen.
„Nein. Das meinte ich nicht. Ich wollte nicht, dass du dein eigenes Leben für mich riskierst."
Aiden zuckte die Schultern.
„Das ist mir egal."
„Du bist so bescheuert."
„Mag sein."
Jetzt blickte er mir direkt in die Augen. Sie funkelten schaurig stark.
„Aha."
Dann fuhr er sich durch die Haare und blickte hinauf in die Baumkronen.
„Ich habe nicht nachgedacht, als ich es getan habe."
„Aber du wusstest, dass da ein Typ mit nem Messer auf dich losgeht, oder?"
Er nickte.
„Ja. Aber ich konnte nur daran denken, den Typen abzuknallen, der dir weh tun wollte."
Mein Herz begann Sprünge in meiner Luft zu absolvieren, die Turnierreif waren.
Ich spürte auch die Hitze in meinem Gesicht. Hoffentlich bemerkte er es nicht.
Ich sah, wie Aiden drum und dran war, sich wieder zu verschliessen. Doch dieses mal würde ich es nicht zulassen.
Dieses Mal würde ich alles auf eine Karte setzen. Nachdem was wir heute Nacht passiert war wusste ich einfach, dass wir viel zu wenig Zeit hatten, Spielchen zu spielen.
„Ich bin damals nur weg gerannt, weil ich Angst hatte. Angst vor dem, was ich gefühlt hatte, als ich dich geküsst habe."
Entfuhr es mir und Aiden blieb stehen.
„Was?"
Ich nickte und lief weiter, in der Hoffnung, so mein rotes Gesicht vor ihm verstecken zu können.
„Ja. Ich hatte danach mit dir darüber reden wollen, aber da hast du schon Elli angeschleppt gehbat."
„Deshalb warst du so rasend vor Wut."
Ich biss die Zähne zusammen.
„Teilweise. Es liegt aber auch etwas daran, dass sie einfach eine Bitch ist."
Ich konnte ihn leise lachen hören.
„Weisst du was, Jessy?"
Ich schüttelte den Kopf. Er joggte neben mir.
„Ich habe mir Elli nur geangelt, weil ich es uns so leichter machen wollte. Ich dachte, so würdest du dich nicht von mir bedrängt fühlen."
Ich lachte trocken auf.
„Naja und ich habe dich einfach für ein ziemliches Arschloch gehalten."
Gestand ich und er murmelte irgendetwas unverständliches.
„Ich war ziemlich verwirrt, als du so eifersüchtig reagiert hast. Aber dann habe ich es kapiert."
Ich getraute mich, ihn anzusehen und blickte direkt in funkelnde Augen. Er hatte die Lippen zu einem unwiderstehlichen Lächeln verzogen.
„Wieso?"
Misstrauisch bog ich mit der gesunden Hand einen Ast zur Seite, der in der Luft vor mir baumelte. Ich konnte nur hoffen, irgendwann aus dem Wald herauszufinden.
„Weil du mich magst. Und zwar ziemlich fest."
Ich schnappte nach Luft und spürte sofort wieder diese Hitze, die mich von Kopf bis Fuss erfasste.
„Gar nicht...das musst du ja gerade sagen!"
Ging ich zum Gegenangriff über.
„Du hast mir im Bus von Long Island einen Korb gegeben, mich dann geküsst, danach mit einer anderen geschlafen, und jetzt hast du dein Leben für mich riskiert!"
Ich war völlig ausser Puste, so sehr raste mein Herz in meiner Brust. Jetzt war alles offen. Wir waren endlich ehrlich miteinander und ich hatte Angst davor, was nun passieren würde.
„Wieso hast du das alles getan? Ha?"
In meiner Stimme schwang leichte Verzweiflung mit. Ich verstand es wirklich nicht.
Aiden kniff kurz die Augen zusammen und schien sich innerlich zu winden.
Dann hielt er mich am Arm fest und zog mich zurück zu sich.
Er presste seine Stirn gegen meine und legte seine Hände auf meinen Rücken.
Ich war unfähig, mich zu bewegen und starrte ihn nur an. Er war mir so nahe.
„Weil ich dich verdammt nochmal liebe, Kätzchen."
Hauchte er mit rauer Stimme. Alles in mir zog sich zusammen und ich öffnete den Mund, ohne dass ein Ton herauskam.
„Deshalb. Weil ich trotz aller Anstrengung meine Gefühle für dich nicht verdrängen kann."
Er sah mir direkt in die Augen. Das erste Mal, seit wir uns kannten, hatte ich das Gefühl, dass er wirklich aufrichtig zu mir war. Und es war berauschend. Diese Worte aus seinem Mund zu hören, es war als würde die Welt um mich in neuem Glanz erstrahlen.
Langsam breitete sich ein unaufhaltbares Lächeln auf meinen Lippen aus.
Aiden blinzelte misstrauisch.
„Was?"
Ich freute mich so sehr, dass ich am liebsten an Ort und Stelle herum gehüpft wäre.
„Ich habe mich auch in dich verliebt, du Trottel."
Flüsterte ich und nach einem Moment des Erstaunens breitete sich ein freches Grinsen auf seinem Gesicht aus.
„Das wusste ich."
Ich schlug ihn auf die Schulter.
„Halt doch die Klappe."
„Tue ich, wenn du mich küsst."
Das liess ich mir nicht zweimal sagen. Ich senkte meine Lippen auf seine und genoss die Blitze, die durch meinen Körper zuckten. Als er seine Lippen bewegte und mich mit den Händen näher an seinen Körper drückte, hörte meine Schulter auf zu schmerzen. Ich hatte das Gefühl, zu schweben. Endlich war zwischen uns alles geklärt. Wir hatten uns endlich eingestehen können, was wir fühlten und es war gut. Sogar sehr gut.
Als Aiden sich von mir lösten, wirkte er äusserst zufrieden.
„Weisst du, etwas gutes hat die ganze Scheisse, die wir durchgemacht haben, doch."
Ich war noch immer damit beschäftigt, meine Hormone und Gefühle wieder unter Kontrolle zu bringen.
„Achja? Und was?"
Sein Gesicht war vor meinem und ich spürte seinen Atem auf meinen Lippen.
„Ab jetzt kann ich dich küssen, wann immer ich will."
Ich lächelte und fuhr ihm über die Wange.
„Das habe ich aber nie gesagt."
„Es ist aber so. Weil du jetzt mir gehörst."
Ich schnaubte.
„Ich gehöre niemandem Aiden."
Er legte den Kopf schief.
„Na gut. Aber du gehörst jetzt zu mir."
Eine wohlige Wärme durchströmte meinen Körper uns ich spürte den kalten Windzug auf meinem zu grossen Teilen nackten Oberkörper nicht mehr.
„Ja. Das fände ich schön."
Flüsterte ich und er küsste mich nochmals kurz.
„Jap. Fühlt sich gut an."
Ich kam aus dem Strahlen gar nicht mehr heraus. Und das obwohl wir immer noch in Gefahr schwebten.
„Wir müssen weiter."
Hauchte ich und er nickte entschlossen.
„So schnell wie möglich raus aus dem Wald."
Er nahm meine Hand und schob seine Finger zwischen meine. Es fühlte sich irgendwie so richtig an.
Ich starrte ihn an und er grinste leicht, den Kopf schief gelegt.
„Was? Nicht gedacht, dass ich so ekelhaft kitschig sein kann?"
Ich konnte nur lächeln.
„Ich liebe es."

Street: Fight or Die *beendet*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt