∞5 Lucas und ich, ganz nahe?

10.9K 626 65
                                    

Ich hörte gedämpft wie Jake etwas schrie.
Es hörte sich nach "Alle an die Wand!", an und dann spürte ich bereits den Wind, der meine Haare sanft nach hinten blies.
Dann wirbelte mich jemand herum und ich wurde aus der Bahn des Zuges gerissen, aus den Augenwinkeln konnte ich die Anderen entdecken.
Sie standen eng an die Wand gepresst da und stemmten sich mit den Füssen in den unebenen Boden, aus verrotteten braunen Kohlenteile und Steinem, als der erste Wagon an uns vorbei rauschte.
Der Lärm war ohrenbetäubend und ich knallte an die Wand, die Kälte breitete sich in Windeseile auf meinem Rücken breit.
Kurz darauf drückte ein warmer muskulöser Körper gegen meine.
Es war nicht der von Aiden.
Verdammt das war Lucas, ich spürte es sofort.
Doch ich konnte mich nicht bewegen, wenn ich nicht vom Zug zerrissen werden wollte.
Und ich fühlte genau wie Aidens Blick sich in mich hinein bohrte.
"Festhalten Jessy."
Murmelte Lucas und ich versuchte es, doch der Wind schien versuchen mich mitzureissen, während es an der Wand einfach nicht genug halt gab.
Ich drohte ab zu rutschen und mein Herz schlug Feuer durch meine Adern, die immer ein Vorzeichen der gelähmten Angst bedeuteten. Die hatte ich eigentlich abgeschafft aber irgendwie wohl doch nicht.
"Ich hab keinen Halt.."
Flüsterte ich leise, und eher zu mir um mir klar zu werden was das hiess, während der Zug noch immer in Windeseile an uns vorbei ratterte.
Zum Glück war sein Tempo nicht so schnell, denn sonst hätte uns das Festhalten nichts genützt und wir wären alle unter die Räder gekommen.
Im nächsten Moment spürte ich Lucas vor mir.
Kräftige Arme wurden neben meinen Kopf gestützt und er verharrte bloss wenige Zentimeter vor meinem Gesicht.
Der Wind zerzauste seine Haare und das lockere Shirt flatterte, doch er bewegte sich keinen Milimeter von der Stelle.
Seine eisblauen Augen hatten mich fixiert, liessen den Blick nicht von mir schweifen und verhakten sich tief in mir.
Ich sah ihn bloss mit grossen Augen an, nicht imstande mich zu bewegen, so nahe war er mir.
Aber auch deswegen weil er mich mit seinem Körper komplett von der Zugluft abschirmte, und enorme Kraft aufwand, um nicht mit geschleudert zu werden. Ich konnte die Verspannung in seinem
Körper sehen, doch es half mir wirklich, denn in dem kleinen Raum den er noch zwischen uns liess, konnte ich endlich wieder einatmen.
Und ich war trotzdem nicht imstande wo anders hinzusehen als in seine Augen.
Sein Gesicht war angespannt, mein Herz pochte schnell und mein Atem ging flach.
Dann rauschte das Ende des Zuges vorbei und Augenblicklich entspannte sich seine Körperhaltung etwas , doch er verharrte in der Stellung, ich noch immer an die Wand gedrückt und von seinen Augen gefesselt. Er schien selbst nicht recht zu wissen was er tun sollte.
"D..danke."
Flüsterte ich und ohrfeigte mich innerlich selbst dass ich nicht versuchte mich zu befreien.
Sein Gesicht blieb starr.
Wahrscheinlich lebte er dieses Leben schon so lange, dass er schneller alles abschalten konnte, wenn die Gefahr gebannt war.
"Mach das nicht nochmal Jessy, es hat mir Angst gemacht."
Hauchte er an mein Ohr, ich war ihm dankbar dass er nicht nachfragte was mich geritten hatte. Denn ich wusste es selber nicht.
Und irgendwie auch wütend auf ihn weil er genau wusste dass er mir nicht so nahe kommen durfte.
Auch wenn ich wusste dass ich genauso schuldig war da ich ihm nicht weg stiess.
Sollte ich aber.
Es musste wohl alles zu viel gewesen sein, aber nun hatte ich das Gefühl als hätte der Zug all meine Sorgen und Erinnerungen mit sich gerissen.
Trug sie nun weit weg von mir und liess mich zurück, mit neuer Kraft.
"Finger weg von meiner Freundin."
Knurrte dann eine dunkle raue Stimme hinter ihm und riss ihn von mir zurück.
Unsanft und gröber als ich es zulassen konnte.
"Er hat mich gerettet Aiden..ich wäre fast abgerutscht."
Rechtfertigte ich mich und konnte nicht glauben dass ich wirklich Lucas vor ihm in Schutz nahm.
Kurz verharrte Aiden so, denn er war kein
unfairer Mensch, das wusste ich.
Doch seine Abneigung gegen Lucas musste tief sitzen.
"Mir egal. Er fasst dich nicht an. Ende."
Ich mochte es eigentlich wenn er so herrisch sprach, aber das waren unsere kleinen Streitpunkte.
Ich konnte sehr wohl selbst entscheiden wer mir wie nahe kam.
Er musste mir das nicht vorschreiben.
Ein Stück weit gehörte ich ihm ja, aber ich war auch ein eigener Mensch mit eigenen Entscheidungen.
"Ich hab deiner Freundin gerade den hübschen Arsch gerettet Aiden, hast du nicht Besseres zu tun?"
Genervt fuhr sich Lucas durch die schwarzen Haare und ich biss mir auf die Lippe. Irgendwie hatte er recht. Aber die Bemerkung zu meinem Po hätte nicht sein müssen.
"Was sagst du da? Wag es noch einmal sowas zu sagen und ich lasse dich hier unten verrotten!"
Knurrte Aiden und machte einen Schritt nach vorne.
Sogleich schritt ich ein, sowas konnte ich jetzt nicht zulassen.
"Es reicht Aiden okay! Er hat mir nur geholfen. Seinetwegen bin ich nicht unter die Räder gekommen!"
Er starrte weiterhin Lucas hinter mir an, seine Augen waren so dunkel geworden. Und es lag nicht am Tunnel.
Ich erkannte ihn kaum wieder, wenn er sich so gab.
"Bitte."
Flüsterte ich leiser und sein Blick wanderte zu mir, wurde wieder sanfter.
"Komm."
Er drehte sich um und ich sah nochmals zurück zu Lucas, der da stehen blieb und die Hände zu Fäusten geballt hatte.
"Danke."
Ich lächelte echt, denn das hatte er verdient, und keine Tracht Prügel.
Dann folgte ich Aiden, auch wenn ein kleiner Teil in mir gerne neben Lucas stehen geblieben wäre.
Aber diesen Teil verbrannte ich sofort und liess ihn im Tunnel zurück.
Aiden zog mich näher zu sich.
Ich schüttelte leicht den Kopf über diese Aktion und sah dann zu den Übrigen.
Sie erholten sich langsam wieder von dem unerwarteten Schrecken und Sam musste einige Kopfnüsse einstecken, doch dann ging es weiter.
Etwas was ich sehr an diesem Leben liebte.
Man blickte nicht zurück.
Manchmal hatte man keine Zeit, manchmal war es gefährlich das zu tun.
Aber meistens half es weiter zu leben.
Und was half es, wenn man den ganzen Tag geschockt darüber diskutierte was vorgefallen war, es machte bloss hysterisch und helfen tat es auch nicht.
Während wir uns langsam wieder in Bewegung setzten, legte Aiden einen Arm um meine Schulter, sobald er in meiner Nähe war, hatte ich das Gefühl dass er aufblühte.
Stolz und allseits bereit jeden Blick auf mich zurück zu verfolgen und klar zu machen dass ich ihm gehörte.
Es störte mich nicht, auch wenn ich sowieso nie jemand anderen ausser ihn haben wollte.
Nicht einmal Lucas, dem mein Freund Blicke zuwarfen die selbst eine Eiskönigin gefrieren lassen würden.
Dann wurde das Ende des Tunnels heller und bald mündete es in eine hellere aber verlassene Station.
Durch gläserne Fenster, fiel fahles Licht hinein und überall lag eine Dichte Staubschicht auf den Säulen.
Das Terrain erstreckte sich über fünzig Meter weit und ein weisser, von Dreck überdeckter Strich zeigte den Übergang zu den Schienen an, von denen wir die Halle betraten.
Ich hatte recht gehabt.
Das hier war perfekt.
Es gab viele Anhöhen in den Mauern, alte Kisten und zum Teil sogar noch umgekippte und kaputte Gepäck Stücke.
Knut pfiff leise durch die Zähne und nickte anerkennend mit dem Kopf.
Er sprang mit Leichtigkeit über die Anhöhe und verliess das Schienengelände.
Aiden stellt sich grinsend neben mich und hielt mir die Hand hin. Das vorher schien schon fast wieder vergessen zu sein.
"Mylady."
Ich kicherte leise und nahm seine Hand, das allbekannte Kribbeln setzte sogleich ein.
Ich hob den Fuss um hinauf zu steigen, als er mich mit dem Freien Arm hoch hob und mich auf dem Terrain absetzte, bevor er mit einem Satz folgte.
So gehts auch.
Ich konnte bereits einige Mitglieder sehen.
Sie lümmelten herum und lehnten an der Wand.
Viele kannte ich gar nicht, aber sie gehörten zu uns, freiwillige.
Und es kamen noch mehr durch die Tunnels.
Sie verteilten sich um uns, als die Leute an der Wand uns entdeckten, richteten sie sich sofort auf.
Ich musste zugeben mir gefiel das Gefühl.
Eine Machtposition zu haben, all diese Leute, das waren noch wenige, da wir mehr auch nicht angefordert hatten, sahen zu uns.
Sie hatten tiefen Respekt und sie liebten es dazu zu gehören.
Etwas Besonderes zu sein.
Eine Gang zu leiten war nicht einfach.
Man tat es nicht mit puren Drohungen oder Gleichgültigkeit.
Man musste den Mitgliedern etwas geben woran sie sich fest halten konnten, man musste umsorgen.
Man musste ein Vorbild sein, jemand dem sie nacheifern wollten.
Aber man musste auch jemand sein, bei dem sie genau wussten dass man die Zügel in der Hand hatte.
Wenn man Leute richtig behandelte, aber ich wusste wie unmenschlich es war, eigentlich so menschliche Schwächen aus zu nutzen, taten sie fast alles ohne zu hinterfragen.
Selbst ein normaler Bürger, der noch nie einer Fliege etwas zu leide tat, hatte solch eine Seite in sich.
Wenn eine Autoritätsperson die Verantwortung für alles was er tat auf sich nahm, und es ihm deutlich befahl, lag es in seiner Natur, weiter zu machen.
Egal mit was.
Dann musste man nicht mehr viel tun, sie hörten meistens nicht einfach so damit auf.
Denn wenn sie die Sache weiter ausführten, rechtfertigten sie ihr Handeln damit, da es bloss das Gehorchen eines Befehles war.
Denn wenn man anhalten würde, musste es einen Grund dafür geben und das würde wiederum Zweifel am eigenen Handeln aufwerfen.
Sie würden dann beginnen ein zu sehen was es vielleicht für ein Fehler war, denn sie hatten es so lange getan.
Also redeten sie sich ein, bloss Befehle ausgeführt zu haben.
Sie hatten nichts zu dem eigentlichen Ziel beigetragen, sie waren bloss die Arbeiter dazu.
Die meisten begannen erst dann zu zweifeln, wenn zwei Autoritätspersonen in Uneinigkeiten fielen.
Denn das schwächte die Macht, die von ihnen aus ging und band die Leute nicht länger an den Respekt und den Gehorsam.
Bei uns lief es zwar anders, aber mir war auch bewusst dass viele anders reagieren würden, wenn der innere Kreis zerstritten auftreten würde.
Deshalb mussten wir uns immer einig sein, um ihnen einen starken und entschlossenen Auftritt zu vermitteln.
Deshalb war es auch so schwierig, mit Suchten bei Drogen auf zu hören.
Oder bei einer Gang aus zu steigen.
Es würden einem erst dann all seine Fehler hart und rücksichtslos vor Augen geführt.
Also machte man weiter.
Und genau deshalb hatten wir auch bloss eine begrenzte Anzahl an freiwilligen kommen lassen.
Ich stellte mich näher an Aiden und liess den Blick über die, fast ausschliesslich, Jungs schweifen.
Nicht ganz alle waren so muskulös, wir regelten die Aufnahme in die Gang zwar, aber von uns bestimmte, "Unterhändler" sahen sich die Anträger an, bevor sie uns ihre Meinung weiter sagten.
Und sobald einer zu den Black Angels gehörte, galt er offiziell als Familie.
Das war es auch was es anders machte.
Wenn man die Gemeinschaft als Familie darstellte verknüpfte man so viele Dinge damit.
So blieben sie auch untereinander loyal, was wir erreichen wollten.
Als wir jegliche Aufmerksamkeit hatten und der Zufluss an bewaffneten Mitgliedern aufgehört hatte, begann Aiden.
Seine Stimme hatte wie immer die Perfekte Mischung aus Dominanz und Respekt, sodass sie sich willkommen fühlten.
"In der E-Mail standen die Umstände unseres Auftrags.
Es ist heikel, mit der Regierung ist nicht zu spassen, wir müssen auf alles vorbereitet sein, und selbstverständlich entwickeln wir noch einen Plan.
Aber aus diesem Grund werden auch nur die Besten unter euch mit kommen."
Er hielt inne und sah zu mir, einige Regungen gingen durch die Jungs und Mädchen, ihre Augen schweifte umher um die Reaktionen der anderen zu Hilfe zu holen.
"Natürlich seid ihr alle gut, sonst wärt ihr nicht hier.
Aber wir dürfen bloss eine begrenzte Anzahl an offiziellen Helfer mit nehmen, der Rest von euch bekommt einen besonderen Auftrag.
Und zwar die Rückendeckung, ihr alle wisst ja wie viel Vertrauen das braucht."
Die Worte waren ohne grosses Nachdenken über meine Lippen gekommen.
Ich hatte gesehen was der kleinste Zweifel war und hatte reagiert, ihn bei Seite gewischt.
Ich hatte ihnen gezeigt dass sie alle Wichtig waren, und tatsächlich gab es bloss drei der über Hundert Freiwilligen, die doch lieber wieder aussteigen wollten.
Natürlich war das okay, bei uns wurden sie bei einem freiwilligen Auftrag zu nichts gezwungen.
Der Rest der Mannschaft hielt jedoch de Stellung, in keinem der Gesichter konnte ich mehr Zweifel oder Unbehagen lesen.
Sie waren überzeugt.
Also konnte es beginnen.

Street: Fight or Die *beendet*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt