∞ 17 Startkapital "Black Angels"

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Der Rest der Heimfahrt verlief gut. Wobei gut lediglich „ohne Zwischenfälle" bedeutete.
Die ganze Zeit befürchtete ich, dass die Polizei den Bus anhielt und uns doch noch festnahm. Zwar fuhren einige Streifenwagen auf dem Highway an uns vorbei, doch sie beachteten den runtergekommenen Bus gar nicht. Wenn sie nur wüssten wer sich darin befand. Ich musste schluckten. Ich war vielleicht, oder besser gesagt höchstwahrscheinlich eine Polizistenmörderin. Genau wie die anderen. Das klang surreal aber war leider die Wahrheit. Ich starrte aus dem Fenster an Lucas vorbei.
Der blaue Himmel zischte an uns vorbei. Bald war Hochsommer, das war die schönste Zeit des Jahres.
„Was siehst du?"
Lucas neigte sich etwas vor und strich sich die schwarzen Haare zurück. Er roch gut.
„Nichts", winkte ich ab und bemühte mich, nicht zu auffällig einzuatmen.
„Du bist so still, sicher dass es nichts gibt, was dich beschäftigt?"
Hakte Lucas vorsichtig nach und musterte mich aus seinen Wasserblauen Augen. Dabei hatte er die markanten Lippen zu einem Lächeln verzogen.
Simon hatte sich, nachdem mir Lucas Platz gemacht hatte, beleidigt verdrückt. Und dad war mir auch ganz recht, denn so konnte ich offener mit dem Typen neben mir sprechen.
„Um ehrlich zu sein, beschäftigt mich der Vorfall im
Krankenhaus sehr."
Spuckte ich es aus. Lucas bedeutete mir, leiser zu Flüstern. Dann näherte sich sein Kopf meinem. Verwirrt und überfordert starrte ich ihn an. Mir war nicht klar, was er damit beabsichtigt hatte, bis er anfing zu sprechen. Achso, er wollte nur, dass uns niemand hörte.
„Ich kann mir vorstellen dass es für dich ein Schock war, das alles erleben zu müssen. Aber ich sage dir, besser du verteidigst dich, als kampflos aufzugeben."
Ich kaute auf meiner Lippe rum. „Bei dir klingt das so endgültig. Als wäre es die einzige Lösung, Gewalt mit Gewalt zu bekämpfen."
Er schnaubte leise und verächtlich.
„Ich wünschte ich könnte deinem Idealismus eine Chance geben, aber Träumen ist nur etwas für reiche Leute. In unserem Leben sollten wir immer der Realität in die Augen sehen."
Er legte seine Hand auf meine.
„Weil wenn wir das tun, können wir nicht mehr überraschr werden. Weil wir bereits mit allem gerechnet haben."
Ich schüttelte resigniert den Kopf.
„Aber ist das Leben so lebenswert? Gegenüber allen zu jedem Zeitpunkt misstrauisch zu sein? So kann man doch nicht richtig leben."
Ich versuchte zu ignorieren, dass sein Daumen sanft über meinen Handrücken strich.
Ich wusste schlicht nicht, wie ich darauf reagieren sollte. Ich wusste ja, dass Lucas mir gefiel und ich nicht abgeneigt war. Aber da fehlte dieses Kribbeln, diese Anspannung in meinem Innern, wenn ich ihn sah. Dieses hypnotisierende Gefühl hätte ich nämlich nur bei Aiden. Und das musste doch irgendwas bedeuten.
Trotzdem, ich wollte meine Hand nicht wegziehen, wenn ich nicht wusste wie Lucas dann reagieren würde. Ich mochte ihn zu sehr, um ihn zu verlieren.
„Wir misstrauen ja nicht jedem. Wir vertrauen unserer Gang, unserer Familie. Das gibt einem genug Kraft, um es mit der ganzen Welt aufzunehmen."
Er zwinkerte und versuchte wohl, das ernste Gespräch etwas aufzulockern. Gelang so mittelmässig.
„Denkst du, sie werden uns finden? Immerhin sucht die Polizei ja sicher nach den Schuldigen für die Verfolgungsjagd?"
Lucas zuckte die Schultern.
„Das ist das Risiko, ja. Man kann sich nie sicher sein. Aber ich denke nicht, dass uns Gefahr droht."
Ich verzog das Gesicht.
„Ah nein? Die Justiz ist doch eigentlich immer ziemlich ausdauernd. Sie findet einem immer."
Lucas schüttelte den Kopf und eine lange Haarsträhne fiel ihm über die Wange, kitzelte seine Lippe.
„Das versuchen sie uns zumindest in den Filmen weiss zu machen. In Wahrheit sind die Bullen völlig überlastet. Die Rate der Verbrechensaufklärung ist nicht halb so hoch, wie die behaupten."
Ich war nicht überzeugt, aber Lucas lebte schon länger in den Bronx als ich, er würde schon einiges mitbekommen haben, wenn er so überzeugt davon sprach.
„Hm, und mit diesem täglichen Risiko wollt ihr alle jetzt einfach leben?"
Er sah mich seufzend an.
„Was willst du sonst tun? Dich stellen und deine Freiheit freiwillig aufgeben?"
Ganz bestimmt nicht. Ich senkte den Blick, weil ich darauf keine Antwort wusste.
Es war ein Teufelskreis. Und ich befand mich mitten drin. Dann kam mir ein anderer Gedanke.
„Kann ich dich was fragen? Was persönliches."
Er lehnte sich entspannt zurück.
„Kommt drauf an."
Ich drehte mich auf dem Sitz mehr zu ihm. Er legte den Kopf etwas schief um mich besser im Blick zu haben.
„Spucks aus, Jessy."
Meinte er und grinste schief.
„Die Narbe, die du auf der Brust hast. Woher hast du die?"
Er reagierte nicht und sah mich nur weiter an. In seinem Blick war ein Wirrwarr an Gefühlen zu sehen. Dann atmete er langsam aus.
„Deine Blicke sind wohl überall was", witzelte er, doch es klang gar nicht spassig. Eher missmutig.
Ich sagte nichts und gab ihm die Zeit die er brauchte.
„Die Narbe ist von meinem Vater."
Hatte ich es mir doch gedacht.
„Er war echt schlimm. Ich hatte einiges abbekommen, aber das Meiste blieb an meinem Bruder hängen."
Er spielte mit dem metallenen Ring an seiner Hand und wandte den Blick von mir ab.
„An diesem Abend hatte ich scheisse gebaut, keine Ahnung mehr was es war. Es kam oft vor, dass ich Mist baute. Doch dieses mal hatte er mich erwischt. Er war betrunken und hat sich ein Küchenmesser geschnappt."
Meine Augen weiteten sich und ich legte mir langsam die Hand vor den Mund.
„Das ist...ja schrecklich."
Flüsterte ich und seine Züge verhärteten sich.
„Er hätte mich getötet. Doch mein Bruder warf sich noch im letzten Moment dazwischen und so ritzte das Messer nur meine Haut und etwas Fleisch auf. Das war das letzte Mal, dass mein Bruder nach Hause gekommen war."
Ich runzelte die Stirn.
„Wie meinst du das?"
Fragte ich vorsichtig.
„Er war alt und stark genug, um sich unserem Vater entgegen zu stellen. Er hat ihn als Rache so krass verhauen, dass er ohnmächtig wurde. Dann hat er mich ins Spital gefahren und angekündigt, auszuziehen."
Er holte tief und zitternd Luft.
„Das tat er auch. Danach sah ich ihn nur noch wenige male, wenn er vorbei kam um mich zu sehen und sicher zu stellen, dass ich keine neuen blauen Flecken hatte. Und irgendwann war er einfach weg."
Er verzog schmerzhaft die Lippen.
Es war schrecklich, den eigenen Eltern nicht vertrauen zu können. Das waren doch eben die Personen, die einen blind lieben sollten. Und wenn sie es nicht taten, wen hatte man denn noch? Lucas hatte seinen Bruder gehabt. Ich verstand, wieso er sich so sehr an die Vorstellung klammerte, dass er noch lebte.
„Es tut mir leid."
Sagte ich leise und drückte seine Hand leicht. Er straffte die Schultern.
„Muss es nicht. Ich werde ihn schon noch finden. Ich weiss, dass er noch lebt."
Ich nickte nur. Ich hoffte es von ganzem Herzen.
Lucas war ein guter Typ. Vielleicht war es ganz gut, wenn ich mich mehr auf ihn konzentrierte statt auf Aiden, der meine Gefühle nicht erwiderte. Nicht dass ich sie ihm jemals gestanden hätte. Hell no.

Street: Fight or Die *beendet*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt