∞ 15 Vom Töten

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Jill fuhr wie ein verrückter, während Fabio auf seinem Handy den anderen eine Nachricht schickte.
Ich hatte nicht einmal die Zeit mich zu fragen, wie er überhaupt Tippen konnte, bei dem was um uns herum passierte.
Ich wusste nicht, ob sie das schonmal gemacht hatten, aber sie sahen verdammt eingespielt aus.
Jeder hatte seine Rolle und Jeder arbeitete effizient.
Selbst wenn es nur eine kleine Aufgabe war.
Wir überquerten einige Strassen, wir flogen über den Asphalt, das Heulen der Autos hinter uns dröhnte in meinem Kopf. Ich achtete darauf Aidens Kopf und meinen Körper so tief wie möglich ins Auto zu drücken.
Um nicht verletzt zu werden, aber auch um unerkannt zu bleiben.
Kurz darauf brausten uns zwei Geländewagen entgegen. Geisterfahrer. Ich wusste sofort, dass es unsere Jungs waren. Nur sie würden sich getrauen, sowas abzuziehen.
Eine Autodach-Luke wurde geöffnet und Knut stemmte sich heraus.
Er hielt eine Pistole in der Hand uns sah wütend aus.
Sehr sogar. Zudem trug er ein dunkles Tuch um Mund und Nase. Das liess ihn echt unheimlich erscheinen.
Sein Gesicht war etwas rot und er richtete die Waffe auf die Wagen hinter uns.
Ich wusste, dass er nicht zögern würde. Ich sah es in seinem Gesicht.
Kurz fuhr es mir kalt über den Rücken. Es würde vielleicht Tote geben. Und ich würde das mitansehen müssen. War ich schon bereit, diese Last zu tragen?
Falsche Frage.
Niemand war dafür gemacht, jemandem das Leben zu nehmen oder dabei zuzusehen. Man war nicht bereit, man tat es einfach.
Genauso wie man wusste, dass Drogen gefährlich waren, und sie trotzdem einnahm.
Ich durfte nicht nachdenken, ich durfte mein Gewissen, meine menschlichen Gefühle nicht zulassen. In diesem Moment musste ich zu jemand anderem werden, um zu überleben.
Jill fuhr fuhr jetzt so schnell, dass ich vom Fahrtwind in den Sitz gedrückt wurde und mein Kopf mir die Entscheidung abnahm und den Schalter umlegte.
Mehrfache Schüsse ertönten und ein Auto der Polizei geriet ins Schleudern.
Es drehte sich und Rauch qualm aus den Reifen, während sich einer der beiden Bullen aus dem Wagen warf und sich auf der Strasse abrollte.
Das Auto driftete nach Links ab und krachte in das zweite Fahrzeug rein, welches sich noch in voller Fahrt befand.
Es knallte, als sie zusammen stiessen. Unglaublich laut. Die Scheiben zersprangen, ein Polizist wurde halb aus dem Auto geschleudert und schrie laut auf.
Beide überschlugen sich mehrfach und das Knallen auf der Strasse war laut zu hören.
Dann wurden sie schlitternd gestoppt und setzten sich in Brand. Entgegen der allgemeinen Erwartungen explodierten Autos nicht, sie brannten einfach aus. Ich spürte die Hitzewelle bis zu mir, das blaue Feuer stob aus den Wagen und reckte sich dann weiter oben hellorange züngelnd in den Himmel. Es war alles von Feuer bedeckt.
Die ramponierten Autos rutschten noch einige schiefe Meter und kamen schliesslich brennend und schlitternd am Rande der Strasse zum Stehen.
Ich riss die Augen auf, das war gerade echt passiert. Ich wusste nicht, ob sich alle Polizisten wie der erste in Sicherheit hatten bringen können. Die Fahrer waren jetzt vielleicht Tot oder verletzt.
Und wir fuhren einfach weiter.
Lebten weiter.
Mein Blick blieb an den brennenden Überresten hängen.
Kurz dachte ich an die Familien, die ihre Ehemänner und Väter nicht mehr wieder sahen, und ich fühlte mich schrecklich.
Wir hatten sie ihnen genommen, nie wieder konnten sie ihre Liebsten in die Arme schliessen.
Meine Mauer drohte zu brechen, doch dann erinnerte ich mich an Früher.
Mir war bewusst dass meine Rache, die ich mir damals schwor falsch war. Ich konnte meinen Hass auf wenige nicht auf alle Polizisten dieser Welt ausweiten. Die meisten unter ihnen machten wahrscheinlich bloss ihren Job.
Doch so war es mit Menschen. Wir verhielten uns oft irrational.
Die Autos der Zivilisten waren alle zur Seite gewichen, und nur noch wir rauschten über den Asphalt. Einige waren sogar ausgestiegen um zu helfen.
Ich richtete mich auf. Das letzte der drei Fahrzeuge verfolgten uns immer noch und hatte nun ebenfalls das Feuer eröffnet.
Scheiss auf unentdeckt bleiben, meine Freunde brauchten Hilfe. Meine Familie brauchte sie.
Die beiden Geländewagen machten eine Scharfe Kurve und drehten sich um sich selbst, bevor sie uns hinterherfuhren.
Da waren wir also, links und rechts von den Wagen flankiert, hinter uns die Cops und vor uns eine Kreuzung.
Wir fuhren zu schnell, als das wir noch anhalten konnten, das Auto würde nicht schnell genug bremsen können. Soweit kannte ich mit mit solchen Schrottkarren aus.
Ich wusste was ich tun musste, als ich das Hupen des Zuges hörte, der noch weiter weg war, jedoch mit qualmenden Kamin auf uns zuraste und dessen Zischende Räder man von weitem hörte.
Wenn wir nicht wollten dass uns die Autos einholten war jetzt die Gelegenheit. Denn dieser Zug war unser Joker raus aus diesem Chaos.
Ich drehte mich auf dem Rücksitz um und richtete die Waffe von Aiden auf die Räder des Autos hinter uns.
Es wurde ruhig um mich, nur noch das klopfen meines Herzens und das rauschen des Blutes in meinem Kopf war zu hören.
Meine Hände hörten auf zu zittern, mein Atem wurde langsamer.
Alles war verlangsamt.
Die Jungs und die Bullen in den blauen Schutzanzügen, die aus allen Rohren aufeinander ballerten.
Es gab nur noch mich und den Wagen.
Wieso dieser eine Schuss von mir so wichtig war?
Würde ich treffen, dann würde das Auto anhalten müssen, wenn es sich nicht überschlagen wollte.
Wir hätten dann genug Zeit, um über die Schienen zu fahren, bevor der Zug, uns überfuhr.
Falls ich es nicht schaffen konnte, würden wir weiterhin dem Kugelhagel ausgesetzt sein und vielleicht sogar sterben. Oder alle im Gefängnis landen.
Die anderen bemerkten es nicht, sie waren viel zu konzentriert, darauf, sich nicht treffen zu lassen.
Ich hielt den Blick auf den Mann hinter der Scheibe gerichtet. Er könnte auch verletzt werden.
Es war eine Entscheidung, die mehr als nur meine Rache oder moralischen Vorsätze betraf.
Es ging hier um alle, die in dem Wagen sassen.
Um Leonie, Jake , Aiden, Lucas und Jill und all die anderen hinter und.
Ich sollte nicht schiessen, vielleicht für den Tod eines Menschen verantwortlich zu sein, hatte ich mir noch nie vorgestellt.
Aber diese Beamten würden nicht zögern, alle von uns zu töten wenn es sein musste.
Sie würden uns auch nicht verschonen um das Leben ihrer Freunde und ihr eigenes auf zu geben.
Ich schloss kurz die Augen, jetzt oder nie, nicht nachdenken, nicht fühlen, einfach schiessen.
Mein Finger lag am Abzug.
Er war kalt und schwer, als könnte ich die Last die mit ihm verbunden war spüren.
Dann drückte ich ab.
Die Kugel schoss, wie in Zeitlupe aus dem Rohr, welches leicht zurückzuckte, und flog.
Ich folgte ihr mit den Augen, und hielt die Luft an.
Sie segelte, im Hintergrund die Häuser, die vereinzelten grünen Bäume und die blauen Sirenen, deren Schein die Strasse färbte.
Sie verschwand im Reifen, doch das Auto fuhr weiter.
"Nein," flüsterte ich.
Wie hypnotisiert fixierte ich den Wagen hinter uns. Sie würden uns kriegen. Ja, das würden sie. Ausser sie erschossen uns zuerst.
Doch in diesem Moment schlitterte der Polizeiwagen zur Seite und rammte die Strassenlaternen.
Das Auto bäumte sich daran auf wie ein ausgebrochenes Reitpferd und der vordere Teil des Wagens war völlig zerquetscht. Zusammen gedrückt vom Aufprall aus voller Fahrt.
Ich hatte sowas noch nie gemacht, aber bevor ich realisierte was gerade passierte, reagierte der Teil in mir, der bloss aufs Überleben gedrillt war.
"Gib gas!"
Schrie ich zu Jill, meine Stimme klang schrill und er kitzelte das letzte bisschen Power aus dem Auto.
Es stob kein Feuer aus dem Auspuff, trotzdem rasten wir los. Eine unmenschliche Geschwindigkeit. Der rote Zug war bereits deutlich zu sehen.
Er pfiff und man konnte Menschen sehen, die mit geöffneten Mündern den Kopf aus den Fenster gestreckt hatten.
Ich sah ihn direkt auf uns zu fahren.
Wir fuhren auf die Schienen zu und durchbrachen, die sich senkenden Absperrungen. Überall splitterte Holz durch die Luft.
Kurz dachte ich, dass es nicht gereicht hatte.
Denn ich sah direkt in die leuchtenden Scheinwerfer der massigen Maschine.
Aber dann flogen wir haarscharf, alle drei Autos, an der Stossstange des Zuges vorbei.
Wir landeten mit einem Ruck und fuhren weiter.
Der Zug brauste durch. Wir waren sicher. Wir hatten sie abgehängt.
Als er schliesslich vollständig vorbei gerattert war, hatten wir bereits die nächste Kreuzung erreicht. Es waren keine Streifenwagen mehr zu sehen.
Ich atmete auf, noch immer fassungslos und voller Adrenalin über das, was gerade eben passiert war.
Knut, der noch immer auf dem Dach des Wagens lehnte, streckte die Arme in die Höhe und schrie.
"Hasta la vista Baby!"
Die anderen lachten halb panisch halb fassungslos auf und wir fuhren zurück zum Strand, jedoch auf verzweigten Umwegen, sodass es länger dauerte. Dazwischen wechselten wir das Auto. Die Jungs schoben es in den Fluss, wo es langsam und gluckernd unterging.
Erst jetzt, als wir langsam auf den Parkplatz am Meer fuhren, wurde es mir bewusst.
Die anderen hatten gelacht. Sie wirkten alle erleichtert. Ob sie an die Menschenleben dachten, die unsere Aktion womöglich gefordert hatte, wusste ich nicht und auch nicht, ob sie etwas davon bereuten.
Ich hatte gerade vielleicht gerade einen Menschen getötet. Mindestens.
Ein Leben ausgelöscht.
Von der Bildfläche gewischt.
Ich stellte es mir immer wahnsinnig vor, schlimm.
Doch so war es nicht, es schien als wäre es bloss eine Kugel gewesen, die eben aus meiner Waffe kam, als hätte ich noch immer nicht bemerkt dass es echt war.
Es war seltsam.
Ich hatte keine Schuldgefühle, wie in den Filmen.
Es war leere in mir.
Diese Polizisten hatten Jake bedroht.
Und Aiden. Und die anderen Jungs.
Ich hatte nur meine Familie beschützt.
Es war vielleicht eine Ausrede, doch worauf basierten die Kriege auf dieser Welt?
Jeder, der freiwillig teil nahm rückte es sich so zurecht, dass er irgendwie damit leben konnte, ohne sich selbst zu hassen.
Doch es veränderte mich.
In diesem Moment als ich abgedrückt hatte, hatte sich etwas in mir verändert. Und das machte mir Angst.
Aber ich hatte meine Familie, die Menschen die mir wichtig waren beschützt. Ich war noch bei Jake und es gab nichts Wichtigeres.

Street: Fight or Die *beendet*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt