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A I D E N
Nach einer gefühlten Ewigkeit kamen wir in Bayern an. Wir hatten es kurz nach 19:00 Uhr, und hatten im Endeffekt doch länger als 10 Stunden gebraucht. Stau und so.
Als ich den Bus verließ atmete ich erleichtert aus. Das hielt ja keiner aus. Es war überraschend Kalt und ich versteckte mein Gesicht schnell in meiner Kapuze. Ich folgte der Menge einfach und trat schließlich erleichtert in den warmen Eingangsbereich eines sehr großen, fast schon Hotel ähnlichem Aparthauses. Die Lehrer warteten bis alle angekommen waren, ehe einer anfing den Ablauf der nächsten Tage zu erklären.
Soweit ich das alles verstanden hatte, würden wir einfach gesagt jeden Tag eine andere Scheiße machen. Ich könnte kotzen.
Ich hasste Sport über alles. Ich konnte einfach nicht verstehen wie Leute sowas freiwillig machen.
„Nun kommen wir zur Zimmereinteilung. Wir werden euch auf 6er Zimmer aufteilen, natürlich aus beiden Klassen gemischt."
Mit 5 anderen Leuten im gleichen Zimmer schlafen? Niemals funktioniert das. Ich konnte es nicht mal mit einer anderen Person im Raum, Grace war da immer eine absolute Ausnahme.
Der Lehrer laß die Namen von einer Liste und gab dann den Leuten den jeweiligen Schlüssel.
„Zimmer 12, aus der A Fabian, Gabriel, René, und aus der B Max, Aiden und Julian"
Ich seufzte, erhob mich aus meiner Russenhocke und ging in Richtung meiner Mitbewohner für die nächsten 3 Tage.
Wenigsten war René unter ihnen. Bei ihm war ich mir sicher er würde keinen Stress machen.
Als wir im Zimmer ankamen, beschlagnahmten die anderen sofort die Betten für sich und ich nahm mir das, dass übrig blieb, das untere eines Stockbettes. Mir war es vollkommen egal wo ich schlief, denn ich würde es eh nicht lange tun. Während dieser Fabian, der anscheinend einer von Renés Freunden war, ein Gespräch anfing, hielt ich mich schnell raus und ging ans Fenster. Ich öffnete es und sah mich nach Feuermeldern im Raum um. Zum Glück keine. Ich lehnte mich mit dem Oberkörper aus dem Fenster und zündete eine Kippe an.
Die Blicke meiner Mitbewohner ignoriere ich gänzlich, ich brauchte das jetzt. Ich drehte mich um und warf René einen willst-du-auch-Blick zu. Dieser verstand sofort, doch deutete mit den Augen auf diesen Fabian der mit einem aus meiner Klasse redete.
Ich nickte verstehend. Das war vermutlich einer der Freunde die es nicht wussten.
Ich akzeptierte seine Entscheidung und wendete mich wieder dem Fenster zu.

Da es schon Abends war, stand für heute nichts mehr auf dem Plan. Ich saß mit Kopfhörern im Schneidersitz auf meinem Bett und beobachtete das Tun der anderen. Sie saßen alle auf dem Boden und unterhielten sich über was weiß ich. Ich zog meinen Hoodie aufgrund der Raumtemperatur aus, und ging erneut ans Fenster. Ich konnte die Blicke förmlich auf mir spüren und kurze Zeit später hörte ich auch schon einen Kommentar.
„Schon wieder? Geht das jetzt die ganze Zeit so und du verschmutzt dauerhaft die Luft mit deinen ekligen Zigaretten?" ich drehte mich während ich eine anzündete um und schaute den Verantwortlichen an.
Dieser Fabian hatte anscheinend wirklich ein großes Problem mit Rauchen.
„Was interessierts dich? Außerdem rauch ich sowieso draußen"
Fabian setzte gerade zu einer Erwiderung an, als René ihm zuvorkam.
„Er hat recht, das merkst du gar nicht, also was juckts dich?"
Fabian schenkte seinem Kollegen einen überraschten und ungläubigen Blick.
„Wie kannst du das so chillig sehen, er raucht im Zimmer. Rauchen generell ist schon eklig genug." ich verdrehte die Augen.
„Ich rauch doch auch und du hast es noch nie bemerkt." meinte René dann genervt. Fabians Reaktion zu urteilen wusste er es wirklich nicht und die Stimmung zwischen den beiden blieb den ganzen restlichen Abend angespannt.

Als es dann schlafen gehen hieß, und die anderen im Bad schon fertig waren, schnappte ich mir unauffällig mein Zeug, einerseits zum Duschen, andererseits zum drücken.
Ich bemerkte schon vor einer Weile, dass ich zittrig und nervös wurde, doch erst jetzt öffnete sich die Gelegenheit was zu nehmen.
Ich verschloss also die Tür des nicht allzu geräumigen Bades, und lehnte mich drinnen ans Waschbecken. Schnell vollführte ich den üblichen Prozess des Erhitzens, band meinen Arm mit einem Gürtel ab, und setzte kurz darauf die Nadel an. Ich stöhnte kurz leise erleichtert auf als die eigentlich fast tödliche Flüssigkeit durch meine Vene strömt. Ich musste mich fast am Waschbecken abstützen um nicht umzufliegen. Ich zog die Spritze zum wiederholten Mal zu spät aus meinem Arm, schmiss sie dann aber weg. Nach kurzem Überlegen wickelte ich sie in Klopapier ein, nur um sicher zu gehen.
Danach ging ich duschen, genoss das warme beinahe heiße Wasser, das über meine Haut strömte. Die Wassertemperatur beim Duschen konnte für mich gar nicht heiß genug sein. Selbst wenn es fast meine Haut verbrannte, wäre es für mich wahrscheinlich noch angenehm.
Mit noch nassen Haaren und nur in eine Jogginghose und Socken gekleidet, verließ ich schließlich das Bad und ging leise zu meinem Bett. Nur weil ich nicht schlief musste ich die anderen ja nicht davon abhalten.
Ich nahm mir aus Langeweile mein Handy und Kopfhörer zur Hand, und so verbrachte ich die nächsten zwei Stunden auf TikTok.
Diese App zieht einen wirklich in einen Bann. Ein Blick auf die Uhr ließ mich wissen, dass es erst 01:13 Uhr war.
Da ich keinerlei Müdigkeit verspürte, legte ich mich mit den Kopfhörern ins Bett und starrte die Decke an. Oder bessergesagt den Lattenrost des Bettes ober mir.
Nach einer gefühlten Ewigkeit des Starrens nahm ich eine Bewegung im Augenwinkel wahr. Der Schatten bewegte sich Richtung des kleinen Balkon, und erst als sich einer der beiden schwarzen Vorhänge leicht zu Seite zog konnte ich René erkennen. Ich hatte zwar keinen Plan was er da tat, aber es war definitiv besser als hier einfach nur zu liegen. Also nahm ich einen Kopfhörer heraus, stand auf, zog mir ein T-shirt über und ging zu ihm nach draußen.
Stellte sich heraus, dass er eine Rauchen wollte, und ich schloss mich ihm schnell an.
„Kannst du auch nicht schlafen?" kommentierte er meine Aktion.
„Mhm" meinte ich mit der Kippe zwischen den Lippen und ich bückte mich etwas um sie anzuzünden.
Ich begutachtete seine Mimik ausführlich.
Er wirkte ebenfalls nicht müde.
„Ich hab jetzt schon kein Bock mehr auf die scheiße" murmelte er, vermutlich mehr zu sich selbst als zu mir.
„Feeling that" stimmte ich ihm zu, woraufhin er seinen Kopf zu mir drehte.
Auch er studierte mich nun.
Bei meinen Armen blieb er hängen.
„Die sind voll geil" und deutete mit seinem Kopf auf die Tattoos.
„Danke" meinte ich nur. Es tat gut auch mal was positives über die Dinger zu hören. Sonst bekomm ich meistens komische Blicke.
„Tat's sehr weh?"
Ich überlegte kurz.
„Manche gar nicht, manche schon ziemlich" er nickte verstehend.
„Aber man muss auch dazu sagen ich war bei so gut wie allem auf was"
Er schmunzelte leicht.
„Du nimmst oft was oder" fragte er dann.
Ich nickte. „Ich bin selten komplett nüchtern"
„Das merk ich haha. Jetzt gerade?"
Ich schüttelte leicht lächelnd den Kopf.
„Ne, Heroin" obwohl die Wirkung schon fast wieder verblasst ist.
Er nickte wieder.
„Darf ich fragen wie oft du das nimmst, oder ist das zu persönlich? Musst nicht antworten wenn nicht willst, bin nur neugierig."
Ich winkte ab. Der Fakt das er sogar nachfragt machte ihn noch ein Stück sympathischer. „Alles gut. Aber ich würd sagen täglich oder sowas"
Er nickte erneut und widmete sich seiner Zigarette.
Ich nahm mir eine neue aus meiner Schachtel.
„Und du? Was nimmst du" jetzt war ich auch neugierig. René seufzte.
„Hauptsächlich Oxycodon, aber hab schon viel probiert. Hatte aber teilweise schlechte Erfahrungen. Zum Beispiel mit LSD. Kranker Horror Trip"
„Boa hatte ich auch. Mein Beileid" meinte ich halb lachend. Mit LSD hatte auch ich schlechte Erinnerungen. Der schlimmste Trip den ich jemals hatte. Einmal und nie wieder nahm ich mir damals vor, und habe mich bis heute daran gehalten.
Wir rauchten daraufhin einfach weiter. Ohne großes Gerede, einfach rauchen.
„Ich glaub ich versuch jetzt zu schlafen, es ist schon nach 3" verkündete René schließlich und drückte seine somit letzte Zigarette aus.
„Mhm, ich rauch die noch schnell fertig" meinte ich und drehte mich wieder um.
„Danke Aiden"
„Für?"
„Für das alles eben. Tat gut mit jemandem komplett ehrlich reden zu können und zu wissen es wird kein anderer hören. Lass das mal wiederholen." somit ging er, darauf bedacht so wenig Lärm wie möglich zu machen, durch die Tür in unser Zimmer.
Bei diesen Worten musste ich lächeln.
Auch ich hatte unser Gespräch sehr genossen. Der Fakt das sich René anscheinend bei mir wohl fühlt, löste positive Gefühle aus. Hätte ich viele Freunde, wäre ich mit Sicherheit so ein Therapiefreund. Ich höre gerne anderen Menschen zu, meiner Meinung nach ist es wichtig mit jemandem über gewisse Probleme zu reden. Nun war eben René mein Opfer. Ich will für andere die Rolle spielen, die ich nicht wirklich hatte. Jemandem zum Reden.
Vielleicht hätte mich jemand davon abgehalten mit den ganzen Drogen anzufangen.
Ich hoffe René bleibt bei seinen Oxys und kommt irgendwann davon weg.
Ich hoffe er macht nicht die gleichen Fehler wie ich.

Broken apartWo Geschichten leben. Entdecke jetzt