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A I D E N
Die nächsten Tage waren eine reine Qual.
Neben den ganzen Ausflügen und was weiß ich alles untertags, musste ich wirklich jede einzelne Sekunde mit diesen ganzen Leuten verbringen, was komplett meinen Kopf fickte.
Meine Mentale Gesundheit ging komplett den Bach runter und mir ging's so schlecht wie lange nicht mehr. Dazu kam, dass ich fast nie rauchen konnte, was ich in so einer Situation viel öfter als ohnehin schon getan hätte. René hatte wie auch immer bemerkt das etwas nicht stimmte, und fing an sich an mich statt seine Freunde zu hängen.
Vermutlich dachte er ich würde mich umbringen wenn er mich alleine ließ. Die letzten Nächte verbrachten wir mit heftigen Deeptalks, größtenteils von seiner Seite. Er erzählte mir über seine Familie, dass sein Vater Alkoholiker sei, und er zuerst mit seiner Mutter und seinen zwei jüngeren Zwillingsbrüdern gelebt hatte. Als seine Mutter aber seine Oxycodon Sucht mitbekam, schickte sie ihn zu seinem Vater. Der war auch manchmal gewalttätig, und René fing mit dem Rauchen an um sich etwas mehr abzulenken. Keiner von seinen Freunden wussten von seiner Familiensituation, und Fabian hatte so gut wie jedem erzählt das er raucht. Die Reaktion war von vielen Seiten die gleiche, „was, warum machst du so'n scheiß" „weißt wie schlecht das ist" „was los mit dir" usw. Keiner konnte ihn wirklich verstehen.
René hatte mir anvertraut, dass ihm das alles ziemlich zu schaffen machte, da er von Natur aus ein eher Unsicherer und introvertierter Mensch sei.
Heute hatten wir es Mittwoch, genauer gesagt schon Abends.
Noch genauer war es 21:43 Uhr.
Morgen würden wir die Heimreise antreten.
Meine Zimmergenossen quatschten wieder auf dem Boden sitzend, und zwar durchgehend. Ich hielt mich wie immer raus doch René saß mitten drin, und seinem Blick nach zu urteilen, fühlte er sich nicht gerade wohl.
Und zum Wiederholten Mal bat mich sein help-me-Blick um eine Rettung. Schließlich fiel mir auch eine mögliche ein.
„Yo René, wie siehts mit deinem Piercing Wunsch aus?" die Stimmen der anderen verstummten und warteten gespannt auf die weiterführende Konversation.
René warf mir einen dankbaren Blick zu.
„Boa ich weiß nicht, hättest du da oder?"
Ich nickte.
„Komm zieh durch, was hält dich zurück?"
Er fuhr sich mit der Hand durch die Haare und lächelte leicht.
„Weiß auch nicht, wann würdest du machen?"
„Wenn du willst jetzt sofort"
Er überlegte.
„Aber welches soll ich machen?"
Ich schaute mir sein Gesicht an und analysierte die möglichen Optionen.
„Ich glaube Snake Bites wären sick"
Mein Gegenüber überlegte erneut.
„Whou, whou, whou, René. Du willst dir von ihm, jetzt, ein Piercing stechen lassen?"
Warf Fabian ein und schaute seinen Kollegen entgeistert an. Die Worte ‚ihm' und ‚jetzt' betonte er nochmal extra.
„Also, genau genommen sind es sogar 2" warf ich ein, der Blick der auf diesen Kommentar folgte, könnte Töten. Ich musste schmunzeln, wie leicht man manche Leute doch provozieren konnte.
„Warum sollte ich nicht? Bei Aiden bekomm ichs mega billig, und er weiß was er tut"
„Also, wie viel willst du dafür?" mit diesen Worten richtete er seinen Kopf in meine Richtung.
„So 20€ wären nett"
„Fix, lass gleich machen"
Daraufhin stand ich auf und kramte mein Piercingzeug aus meiner Tasche.
„Setz dich auf mein Bett, im Bad ist bisschen wenig Platz" wies ich meinen Kunden an.
René setzte sich hin und die anderen vier beobachteten das ganze vom Boden aus.
„Ok wart kurz, ich muss nochmal die größten Nerven in dieser Area googlen" meinte ich und tippte meine Suche ein.
„Kein Stress Bro"
„Fängt ja gut an wenn du googlen musst, wo und wo du nicht stechen sollst" dieser Fabian machte sich irgendwie immer unsympathischer. Was hat der den gedacht? Das ich das alles Studiert habe? Ganz sicher nicht. Google ist und bleibt mein bester Freund.
„Ich schaute zwischen Renés Gesicht und meinem Handy hin und her und legte es schließlich mit den Worten „wird schon passen" weg.
Ich schnappte mir das Desinfektionsmittel, desinfizierte meine Nadel, den Schmuck, die Zange und gab ihm so eine Mundspülung die ich bei meinem Lippenring auch benutzt hatte, und das Desinfektionsmittel, sodass er es bei sich anzuwenden konnte. Ich zog mir diese schwarzen Handschuhe an, und machte mich daran zwei möglichst symmetrische Punkte aufzuzeichnen.
Ich ging vor ihm in die Hocke, und begutachtete mein bisheriges Werk.
„Schau's dir mal an" meinte ich und drücke ihm mein Handy mit der Kamera geöffnet in die Hand. René schaute es sich genau an ehe er mich weitermachen ließ.
„Wird schon passen, mach einfach" er grinste mich an. Ich grinste zurück, wir hatten definitiv die gleiche Energy.
„Ok lass deinen Mund komplett Locker und schau am besten irgendwo hinter mich. Aber nicht auf die da, wenn du lachen musst wird's schwierig." Er nickte und richtete seinen Blick über meine Schulter.
Ich platzierte meine Zange an dem vorher eingezeichnetem Punkt.
„Ich zählt bis drei ok?"
Ein Nicken war die Antwort.
„Eins, zwei" während ich bereits die Zweite Zahl aussprach, machte ich schnell und stach durch die Haut. René zuckte etwas, vermutlich aufgrund der unerwarteten Aktion. Ich zog so schnell ich konnte den Stecker durch die Wunde.
„Ich mach direkt den zweiten" informierte ich den Jungen vor mir. Dieser Nickte erneut nur als Antwort und ließ mich meine Arbeit machen. Kurze Zeit später war auch das zweite geschafft.
„Fertig. Lass die Stecker ne Weile drin, wenns halbwegs verheilt ist kannst du auf Ringe wechseln." meinte ich als ich mich aufrichtete und drückte ihm wieder mein Handy in die Hand. Seine Augen weiteten sich etwas als er das Ergebnis sah.
„Wie geil, danke Bro" René stand auf und schien mir meine zehn Euro zu suchen.
Währenddessen ging ich zum Fenster um erstmal eine zu rauchen. Ich kramte in meinen Hosentaschen, fand aber nur die Zigaretten selbst. Hab ich jetzt ernsthaft schon wieder mein Feuer verloren? Ich wusste nicht wie es möglich war, denn ich verlor eigentlich nie Sachen, aber wenn, dann immer mein Feuerzeug.
„Yo René, hast du-" weiter kam ich nicht, da er mich mit dem Wort „Fang" unterbrach.
Schon kam ein Feuerzeug auf mich zugeflogen.
„Danke" nuschelte ich kurz darauf mit einer Kippe im Mund.
„Kein Ding" er kam zu mir und hielt mir die etwas zerknitterten 20€ hin.
Unsere anderen vier Mitbewohner waren wieder am reden, beachteten uns nicht wirklich, war mir eh recht.
„Pass bisschen auf mit drauf schlafen und so weiter ok? Desinfiziers' paar mal, wenn du nichts hast nimm Alkohol, der funktioniert meiner Meinung sowieso fast besser." wies ich René an und deutete dabei auf seinen Mundbereich.
Er nickte „geht klar" und lehnte sich mit den Ellbogen an die Fensterbank.
„Morgen gehts endlich zurück"
Ich nickte „Endlich" wiederholte ich ihn.
„Boa gar kein Bock auf diese ewig lange Fahrt"
„Erinner mich bloß nicht dran" ich hatte sowas von keine Lust wieder so lange in einem Bus zu sitzen.
„Wir rauchen wieder zusammen ok? Zu zweit is geiler als allein"
Ich lächelte, wo er recht hat, hat er recht.
„Klar" gab ich als Antwort.
Daraufhin folgte eine kurze Stille. Wir waren beide in Gedanken versunken, bis René diese Stille brach.
„Yo Aiden, hast du noch Oxys da? Meine sind leer."
„Brauchst du jetzt?"
Er nickte entschuldigend. Ich stieß mich etwas vom Fenster ab, holte ihm drei Pillen und reichte sie ihm.
„Tut mir echt mega leid das ich so oft frag, ich geb sie dir mal bei Gelegenheit zurück"
„Chill alles gut" Ich lächelte ihn leicht an.
Unser Gespräch ging noch eine ganze Weile weiter und irgendwann verlagerten wir es nach draußen auf den Balkon, da die anderen nicht umbedingt alles mitbekommen mussten.
Als es dann langsam halb 1 wurde, musste ich es kurz unterbrechen um mir einen Schuss zu setzten. René ging mit ins Bad um sich eine Line zu legen. Er beobachtete meine Bewegungen und mein Vorgehen mit Interesse und Neugier.
Gerade als die Nadel meine Haut wieder verließ, kam eine Frage seinerseits.
„Wie fühlt man sich auf H?"
Ich schaute ihn ein Weilchen an bevor ich die Antwort gab.
„Alles was dich bedrückt ist auf einmal weg. Es ist beruhigend"
René schaute mit einem Nicken weg.
Ich konnte mir ungefähr vorstellen was in seinem Kopf vorging.
„René"
Er sah mich aus dem Augenwinkel an.
„Versprich es mir"
Er schaute verwirrt drein.
„Was versprechen?"
„Dass du, egal was passiert, niemals damit anfängst"
Er wirkte ertappt und schaute mich unsicher an.
„Es hat mir alles zerstört, mach nicht dieselben Fehler wie ich"
Er ließ nur ein ‚Mhm' hören.
Ich befürchte das meine Worte nicht ausreichen würden um ihn davon abzuhalten.
Das kann eigentlich nichts und niemand, allein René selbst.

Broken apartWo Geschichten leben. Entdecke jetzt