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A I D E N
Die Heimfahrt war, wie zu erwarten, der Horror. Wir hatten insgesamt 2 Stunden damit verbracht im Stau zu stehen und kamen dementsprechend auch später an. Ich saß relativ weit hinten im Bus, neben einem Typ aus der Parallelklasse. Und dieser Junge redete in einer Tour. Mit mir, mit denen vor uns, hinter uns, neben uns, er stand sogar auf um mit seinem Gelaber andere weiter vorne zu nerven. Ich ignorierte ihn eigentlich größtenteils und hörte ihm gar nicht zu, auf Grund der lauten Musik meiner Kopfhörer. René musste mit einem anderen Bus fahren, deshalb konnte ich auch nicht neben ihm sitzen. Mit ihm ging ich immer eine hinter der Tankstelle rauchen und wir teilten unsere Gefühle der ganzen Sache gegenüber
-kein Bock
-nervige Leute
-die Fähigkeit während Fahrten zu schlafen lag uns beide nicht.
Meiner Meinung nach haben diese Leute ein Talent welches ich nicht besitze. Generell Leute die sofort einschlafen wenn sie sich hinlegen.
Warum kann ich das nicht?
Ich will auch.
Auf jeden Fall war die Fahrt und generell die Klassenfahrt untertags keine Sache an die ich mich gerne zurückerinnern werde. Die Nächte waren ganz nice. Abgesehen von dem Gefühl ständig beobachtet zu werden und pro Nacht nicht mal 2 Stunden schlaf zu bekommen.

Komplett niedergeschlagen sperrte ich meine Wohnungstür auf. Es war 8 Uhr abends. Wir waren erst vorhin in Berlin angekommen und ich hatte mich direkt verzogen. Jetzt war ich endlich zuhause. Ich schlüpfte aus meinen Schuhen, ging durch den Flur in die Küche, und ließ mich dort auf einen Stuhl fallen.
Ich stütze meinen Kopf in beide Hände ab und schloss für einen kurzen Moment die Augen. Als ich sie wieder öffnete, sprang mir ein kleiner Stapel Zettel und Briefe ins Auge die auf dem Tisch lagen. Da sie noch nicht da waren als ich ging, muss Alex wohl hier gewesen sein muss. Ich riss mich zusammen und ging das Zeug durch. Währenddessen rauchte ich ein paar Zigaretten.
Es waren größtenteils Rechnungen von letztem Monat. Ich hatte mich schon gewundert wo die abgeblieben sind.
Je mehr es wurden, desto größer wurde meine Verzweiflung. Meine Miete hatte sich schon wieder ein kleines Stück erhöht.
Wie sollte ich das alles bezahlen?
Aus Frust setzte ich mir erst mal n'Schuss.
Danach schrieb ich Alex das ich wieder zuhause sei und wir morgen vielleicht was machen könnten. Ich hatte absolut keine Lust auf Schule und werde einfach schwänzen.
Kurze Zeit später kam die Antwort,
>Fixx lass zu dir oder zu mir<
Ich lächelte. War ich froh ihn zu haben.

Am nächsten Morgen schlief ich für meine Verhältnisse lang, und generell die Nacht viel. Ich wachte erst nach halb 10 auf. Das erste was ich tat war mir schnell eine Line zu ziehen, da ich kurz vorm Kotzen stand.
Doch danach blieb ich liegen, wollte nicht aufstehen. Einige Zeit später klingelte mein Handy. Energielos drehte ich mich um, und als ich mein Handy in die Hand nahm, sah ich erstens wer mich anrief,
-Alex, und zweitens wie spät es war, -nach Mittag. Ich legte mich auf die Seite und nahm den Anruf entgegen.
„Alex?" meine Stimme war obwohl ich schon sein einer Weile wach bin immer noch etwas rau und tiefer als sonst.
„Yoo Aiden, wie siehts aus? Bock was zu machen?"
„Ich würde gerne, komm aber schon seit über zwei Stunden nicht aus meinem Bett raus"
Auf der anderen Seite hörte man Lachen.
„Bin in 10 min bei dir" somit legte mein Gesprächspartner auf.
Ich lächelte und überließ meinen Kopf der Schwerkraft und dem Kissen darunter.

Es verging nicht viel mehr als seine angegebene Zeit bis ich hörte wie die Tür aufgeschlossen wurde. Die Geräusche wiesen darauf hin, dass Alex seine Schuhe auszog und dann die Schritte auf mein Zimmer richtete. Die Tür wurde aufgemacht und Licht flutete den Raum, da meine Rollläden ja immer noch unten waren.
„Aiiiideeen" trällerte Alex gut gelaunt wie immer.
Ich ließ nur ein dumpfes ‚Hm' hören.
Ich hob meinen Kopf etwas aus dem Kissen hervor und beobachtete wie Alex zuerst die Rollläden rauf zog, und sich dann auf den Boden vor mein Bett setzte, mit seine Arme sowie seinen Kopf auf den Rand der Matratze liegend.
Er schaute mich einfach an.
Und ich schaute einfach nur zurück, müde und träge.
„Komm wir rauchen eine" meinte er und stand auf. Er streckte mir seine Hand hin und zog mich auf. Langsam stand ich auf und schlurfte ihm nach in die Küche. Die Jogginghose die ich mit Socken und Boxershorts gerade als einziges Kleidungsstück trug, genügten mir und ich machte mir nicht die Mühe mich umzuziehen.
In der Küche nahm ich mir meine Schachtel Zigaretten und das Feuer welche auf dem Tisch lagen.
Ich machte das Fenster auf und setzte mich
auf die Fensterbank, mit dem Rücken zur Wand, Alex ging zuerst an meinen Kühlschrank, holte zwei Red Bull heraus, und gesellte sich danach zu mir auf die Fensterbank. Eine der zwei Dosen reichte er mir mit den Worten
„Soviel zu Gesunde Ernährung. Mittagessen für heute"
Ich schmunzelte und zündete mir die erste an. Eine kurze Stille folgte, welche Alex aber kurz darauf brach.
„Bro Aiden pass mal bisschen mit deinen Nadeln auf" er deutete auf die blau und lilafarbenen Flecken auf meinem Arm.
„Vergiss es immer" meinte ich schulterzuckend.
„Wie kann man denn eine Spritze im Arm vergessen" lachte er sarkastisch. An seiner Art und seinen Augen erkannte ich, dass er diese Aussage nicht ernst meinte. Dennoch beantwortet ich sie.
„Weiß auch nicht haha, schätze die Erleichterung und der Rausch sind schuld"
„Pass einfach auf dich auf ok?"
Ich lächelte ihn an.
„Mach ich, du aber auch"
„Ich doch immer, ich weiß gar nicht was du meinst" daraufhin mussten wir beide lachen.
„So, jetzt erzähl, wie war deine Klassenfahrt"
Ich stöhnte genervt.
„Einfach nur anstrengend" maulte ich.
Ich erzählte ihm alles was vorgefallen war, und auch von den nächtlichen Talks von René und mir.
„Dieser René ist mir sympathisch, bring den doch mal mit, könnte doch ganz lustig werden." meinte Alex.
„Jaja, ich schau mal"
Ich schaute mir den hellen, mit ein paar Wolken bedeckten Himmel an, und dachte nach.
„Hey aber jetzt mal was anderes, warum bist du heute so deprimiert?"
Ich schaute ihn verwirrt an.
„Wie meinst du das?"
„Na du kommst Ewigkeiten nicht aus dem Bett, du hast null Hunger, und bist die ganze Zeit schon träge"
Ich überlegte.
„Keine Ahnung, in letzter Zeit kommt einfach wieder ein Tief"
Er nickte verstehend.
„Wenn du reden willst, immer gern. Aber da du Aiden bist, bezweifle ich stark das du Bock drauf hast"
Sollte ich wirklich einfach so drauf los reden?
„Actually, ich glaub ich verlier die Kontrolle"
Alex wirkte überrascht das ich wirklich was sage, um ehrlich zu sein konnte ich es selbst nicht glauben.
„Über was genau?"
Ich seufzte.
„Über alles. Meine Sucht, meine Gedanken, mein Essverhalten einfach über mein komplettes Leben"
Alex sah mich ernst an.
„Was meinst du mit Essverhalten?" seine Augen huschen automatisch an meinem nacktem Oberkörper hinab.
Reflexartig verschränkte ich die Arme vor meinem Bauch.
„Aiden, hast du Probleme damit?"
Ich schaute ihn entschuldigend an.
„Vielleicht"
„Was für welche"
Ich schaute wieder weg.
„Ich ess' halt fast nichts."
Alex fragte weiter nach, ich konnte es ihm aber nicht verübeln.
„Und warum?"
Ich dachte nach, ja warum eigentlich? Irgendwo war ich ja auch unzufrieden mit meinem Körper, aber der Hauptgrund war vermutlich ein ganz anderer.
Ich konnte es nicht im Magen behalten.
Sobald ich viel auf einmal aß, kam es Minuten später wieder hoch. Warum wusste ich nicht. Und deshalb machte ich es mir selber einfachen und aß einfach von vornherein nicht viel.
„Wenn's zu viel ist, kotz ich es gleich danach ungewollt wieder aus"
Das war ein gutes Stück der Wahrheit.
Oft hatte ich natürlich schon auf Mahlzeiten verzichtet weil ich nicht wollte das ich zunahm. Ich wog ca. 65 kg, meiner Meinung nach zu viel. Aber solche Gedanken hatte doch bestimmt jeder schon mal.
„Ich glaub das hat was mit dem Heroin zu tun" meinte Alex.
„Du hast vorher deine Sucht erwähnt, wird's denn immer schlimmer?"
Ich nickte.
„Wie lange kommst du ohne aus?"
Ich konzentriere mich und versuchte einen Durchschnitt zu finden.
„knapp einen ganzen Tag, aber eher weniger"
Alex schaute besorgt.
„Aiden wie lange hast du vor das durchzuziehen?"
Ich schaute ihn verzweifelt an.
„Keine Ahnung, so lang es geht, schätze ich. Ich kann aber nicht aufhören"
„Willst du aufhören?"
Ich starrte ihn an. Allein der Gedanke an einen Entzug ließ Panik in mir aufsteigen.
„Ich kann nicht" brachte ich furchtsam hervor.
„Wenn du willst kannst du"
Ich schüttelte den Kopf.
„Aiden wenn du wirklich nen Entzug durchziehen willst helf' ich dir"
Ich schaute ihn immer noch fast panisch an. Das würde ich niemals schaffen.
Vorher brachte ich mich wahrscheinlich doch noch um.
„Wie viel H hast du noch?" fragte Alex und zog mich aus meinem Selbstzweifel.
„Nicht mehr viel, muss bald neues holen."
„Komm wir machen's so, du verbrauchst den Rest und ab dann versuchen wir's ok?"
Ich nickte widerwillig.
Das werde ich niemals schaffen.

Broken apartWo Geschichten leben. Entdecke jetzt