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G R A C E
Ich schaute etwas gelangweilt aus dem Fenster unseres Autos. Neben mir saß Jonas, vor mir mein Vater. Wir fuhren gerade von der Schule nachhause. Die Sonne neigte sich nun dem Ende ihrer Laufbahn zu, obwohl wir es eigentlich schon kurz nach 5 hatten. Mitte März, was bedeutete die Tage wurden wieder länger. Innerlich stieg Freude auf, wenn ich an die warmen langen Sommernächte denke die langsam aber sicher kommen werden. Die kalten Temperaturen des Winters konnten sich meinetwegen gerne verabschieden, die will doch sowieso keiner.
Später würden noch ein paar Freundinnen vorbeikommen, da wir für anstehende Tests und Arbeiten lernen wollten.
Erst als das Auto zum stehen kam, bemerkte ich das wir bereits zuhause angekommen waren. Mit guter Laune stieg ich aus, und betrat zusammen mit meinen beiden Begleitern das Haus. Sie führten schon die ganze Zeit ein Gespräch über ein mir unbekanntes Thema.
„Habt ihr Hunger?" hörte man Andrea aus der Küche rufen.
„Ja ich schon" gab ich die Antwort während ich meine Schuhe und Jacke auszog. Ich schlich in die Küche um zu sehen was dort zubereitet wird. An den Sachen die Herum standen würde ich schätzen Curry.
Ich liebe Curry.
„Es kommen nachher noch ein paar Freundinnen vorbei, zum lernen" informierte ich die Frau.
„Kein Problem, aber hättest du vorher was gesagt hätte ich mehr gekocht" ich schmunzelte.
Andrea war eine gute Frau. Ich hatte mich mittlerweile mit dem Fakt abgefunden, das meine Mutter nicht mehr da sein wird.
Klar vermisste ich sie, ich konnte aber nicht ewig um sie trauern.
Jonas gesellte sich wenig später dazu und wir warteten auf unser Essen.
„Wie läufts in der Schule?" fragte Andrea schließlich als sie uns zwei Teller mit Curry hinstellte. Ich hatte recht.
„Eigentlich voll gut, wir haben heute einen Mathe Test zurückbekommen." meinte ich und fing aufgrund der Hitze vorsichtig an zu essen. „Und, wie siehts aus?"
Jonas schaute stolz drein „Haben beide eine 2" ich lachte kurz bei seinem Gesichtsausdruck, doch ich war auch stolz auf mich selbst. Ich habe meine Noten innerhalb ein paar Monate stark verbessert, es lag also wirklich an Aiden das ich so schlecht wurde.
„Gut gemacht ihr beiden" meinte mein Vater hinter mir und klopfte uns zeitgleich auf die Schulter.

Eine gute Stunde später kamen dann Blaire, Maya und Larissa rüber und wir gingen alle auf mein Zimmer. Ich schloss als letzte die Tür und die anderen verteilten sich auf dem Boden und meinem Bett. Ich selbst setzte mich auf meinen Schreibtisch-Stuhl.
„Habt ihr jetzt Bock zu lernen?" fragte Maya dann in die Runde. Wir schüttelten alle gleichzeitig den Kopf und lachten darüber.
„Lass etwas später lernen ok?"
Somit quatschten wir erstmal eine weile. Blaire erzählte von einem anscheinend super süßen Jungen den sie in der Stadt gesehen hat, und hoffte das sie ihn wieder traf.
„Boa habt ihr Aiden heute gesehen?"
„Nein warum" ich schaute gespannt zu Maya welche die Frage gestellt hatte.
„Sein Hals ist jetzt einfach zur Hälfte schwarz" ich schaute sie verwirrt an. Bitte was?
„Was meinst du" fragte ich und an den Blicken der anderen beiden konnte ich erkennen das ich nicht die einzige war die es nicht verstand. Maya scrollte auf ihrem Handy herum.
„Er hatte doch letzte Woche dieses komische Tattoo am Hals, auf der anderen Seite ist jetzt einfach nur schwarz" meinte sie und drehte nun ihr Handy zu uns um. Darauf war ein Bild von Aiden zusehen, welches wahrscheinlich heimlich gemacht wurde. Und tatsächlich, die rechte Seite seines Halses war einfach bis zum Kieferknochen komplett schwarz. Fast schon erschrocken schaute ich das Foto an. Wie konnte man sich sowas machen lassen? Wie konnte jemand das schön finden? Einfache Tattoos lasse ich mir noch einleuchten, doch das ist ja einfach nur schwarz. Und vor allem muss das doch höllisch wehtun. Aiden war ja immer ein Fan von Tattoos, ich frage mich wie viele er mittlerweile hatte. Sicher viele. Ein paar sind ja schön und gut, aber man kann alles übertreiben.
„Ihr könnt mir doch nicht sagen dass ihr das schön findet, das ist doch furchtbar" fragte dann Maya.
„Boa nein das ist doch richtig hässlich" stimmte Blaire ihr zu. Schon wieder hatte ich das Gefühl ihn verteidigen zu müssen, doch ich musste ihnen gleichzeitig recht geben, denn es war wirklich nicht schön.
„Seine Sache, aber ist nicht so schön" gab ich zu.
„Aiden ist generell Geschmackssache was das Aussehen angeht" lenkte Larissa ein.
„Wie meinst du das?" fragte ich nach.
„Ja er sieht doch schon bisschen komisch aus oder nicht? Ich meine die ganzen Tattoos, die Piercings, seine Kleidung. Die Haare sind ja jetzt auch schon wieder anders. Dieses Schwarz und weiß erinnert mich voll an diese eine aus 101 Dalmatiner, wie hieß die noch gleich?"
„Cruella De Vil?" fragte ich lachend.
„Ja genau die!" ich schmunzelte etwas bei dem Gedanken Aiden als Cruella.
Doch ich konnte Larissas Problem nicht verstehen, meiner Meinung nach war Aiden hübsch, wenn auch voller Tattoos, wobei mir diese weniger lieb sind.
„Ja sieht halt aus wie n'Junkie" meinte Blaire.
Ich seufzte leise. Es machte mich verrückt das Leute immer urteilen bevor sie jemanden kennen. Der Fakt das Aiden ein Junkie ist, kann nicht bestritten werden, das ist einfach so. Aber er kann wirklich nett sein. Sie diskutierten noch eine Weile weiter über Aiden, wobei ich stets im Hintergrund blieb und meine Meinung nicht äußerte. Die Drei verstanden glaub ich nicht wie schwer es Aiden eigentlich wirklich hat und sehen nur seine Probleme und nicht den Grund dafür. Die Menschheit ist einfach zu oberflächlich um solche Dinge zu realisieren.
Irgendwann hatten wir doch noch angefangen zu lernen und uns sogar wirklich ins Zeug gelegt. Wie bereits erwähnt, seit ich wieder zuhause wohne bemühe ich mich wieder und legte Wert auf meine schulischen Leistungen. Aber nicht nur ich, sondern auch mein Vater. Wenn ich nicht mindestens eine 3 nachhause bringe kann ich mir wieder eine Ansage anhören von wegen ich muss mich auf die Arbeitswelt vorbereiten und so weiter. Doch da ich selbst auch so streng mit mir bin macht mir das nichts aus.

Nach einiger Zeit verabschiedete ich dann meine Gäste auch wieder. Es war noch recht früh, kurz nach 8. ich ging in mein Zimmer und setzte mich dort auf mein Bett. Ich nahm mir meine Kopfhörer und hörte etwas Musik. Eine Sache die definitiv immer noch gleich blieb, sind die Songs in meiner Playlist. Ich hörte immer noch viel Lil Peep, wobei sich meine Freunde häufig darüber lustig machten. Sie betitelten auch ihn als Junkie, und wie ich denn solche Musik hören könnte. Ich ignorierte solche Aussagen einfach immer. Sie würden sowieso nicht aufhören, auch wenn ich sie darum bitten würde.

Ich scrollte durch TikTok, versuchte irgendwie die Zeit tot zu schlagen. Ich verspürte kein bisschen Müdigkeit, obwohl es schon halb 1 war. Normalerweise schlief ich um diese Zeit schon lange. Langsam ging mir auch mein Handy auf die Nerven, weshalb ich es weglegte und in meinen Gedanken versank.
War es wirklich Richtig was ich alles getan habe?
War es Richtig Aiden einfach so alleine zu lassen? Er tat mir nicht gut, also ja oder?
Aber irgendwo war es egoistisch, ich habe eigentlich nur an mich gedacht und keinen einzigen Gedanken daran verschwenden wie er sich fühlen musste. Nun kamen Zweifel auf.
Nein, es war nicht richtig.
Irgendetwas zog mich wieder an mein Handy und ich öffnete den Chat mit ihm. Was ich da mache war schon mehr als dämlich, doch mein Inneres musste ihm jetzt einfach schreiben.
,Hey Aiden'
Mit leichtem Zögern schickte ich diese zwei Wörter schließlich ab. Ich bereute es schon fast die Sekunde danach, doch jetzt war es schon zu spät.
Wie von Aiden zu erwarten war kam keine 5 Minuten später eine Antwort. War ja klar das er noch wach ist.
,Was willst du'
Ich schaute enttäuscht auf die Nachricht, doch ich haute mir gleich darauf auf die Stirn.
Was hast du erwartet Grace? Das er dir mit offenen Armen entgegen läuft?
‚Vielleicht sollten wir alles mal klären'
Schrieb ich retour.
,wenn willst''
,Fang an'
Ich bereute meine Entscheidung ihm zu schreiben immer mehr. Aber irgendwann mussten wir alles ausreden.

Broken apartWo Geschichten leben. Entdecke jetzt