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A I D E N
Mittlerweile war es Entzug-Tag Nummer 4 und es ist die Hölle auf Erden. Den ganzen Tag hatte ich keine Energie, sobald ein kleines bisschen Nahrung meinen Magen nur berührte, kotze ich es wieder aus, und Panikattacken hatte ich gefühlt auch in paar Stunden Abstände. Dazu kamen extreme Kopfschmerzen, Hitzewallungen, gleich danach ein Kältegefühl, und meine geliebte Schlafstörung ist natürlich auch noch da. Am schlimmsten waren bis jetzt aber definitiv die ersten drei Tage, da brannte mein kompletter Körper als stände ich unter Feuer. Ich hatte Heulattacken und musste mich zusammenreißen vor Schmerzen nicht zu schreien. Als wäre das alles noch nicht genug, war da auch noch das kleine zweite Ich. Die Dinge die ich ungewollt dachte, lösten nicht selten Panikattacken aus, und der permanent existierende Gedanke in meinem Hinterkopf mich einfach umzubringen gefiel mir immer mehr. Alex wollte mich immer zum Essen bringen, doch ich wollte nicht. Wie auch jetzt.
„Ich will nicht" meinte ich stur.
„Aber warum nicht? Du musst was essen sonst klappst du komplett zusammen"
„Weil ich es sowieso wieder auskotz', was bringt es sich zu essen wenn es nicht im Magen bleibt"
„Wenigstens ein bisschen"
Ich verschränkte die Arme vor der Brust und schaute ihn trotzig an. Man könnte meinen ich bin ein Kleinkind. Als Alex mich dann bettelnd ansah, schnaubte ich genervt und willigte schließlich ein.
Alex lächelte mich breit an und stand auf. Er wärmte etwas von dem Essen auf, das Sky uns vorhin gebracht hatte, und schob es mir auf einem Teller mit Besteck hin. Zuerst starrte ich es gefühlte Ewigkeiten nur an, doch dann nahm ich zögerlich einen Bissen. Es schmeckte gut, doch ich hatte keinerlei Hunger, obwohl ich seit gestern in der Früh nichts mehr gegessen habe. Nach ein paar Bissen schob ich es Alex auch wieder zurück. Er schaute mich zwar mit diesem Hundeblick an, doch er schien zu verstehen dass das mein Limit war, und ließ es schließlich bleiben. Stattdessen nahm ich mir aber eine Schachtel Kippen und rauchte eine. Das war sicher schon die 9. wenn nicht 10. Schachtel innerhalb dieser 4 Tage.
Unterm Tisch fing mein Bein wieder an zu wippen, und erneut zog ich es mit dem anderen an meine Brust an. Wie lang ging dieser Scheiß hier eigentlich noch weiter? Erschöpft legte ich meinen Kopf auf meinen Knien ab und schloss die Augen. Ich war müde, schrecklich müde. Doch ich konnte nicht schlafen. Mein Körper ließ nicht zu, dass ich einschlief. Laut Alex hatte ich vermutlich irgendetwas das sich 'Insomnie' nennt. Keine Ahnung was der Typ sich da zusammen gegoogelt hat, aber anscheinend ist das eine krankhafte Schlafstörung. Die Symptome stimmen zwar mit meinen überein, doch eine Selbstdiagnose ist nie vertrauenswürdig, vor allem nicht wenn Alex sie macht.
Ich fischte aus Langeweile mein Handy aus der Hosentasche und checkte meine Nachrichten. Die letzten Tage hatte ich es kaum in der Hand, soll ja bekanntlich nicht sehr fördernd bei Kopfschmerzen sein.
Wie zu erwarten war, hatte ich fast keine Nachrichten. Nur von René ein paar.
Am Mittwoch hatte er gefragt ob es mir gut geht, da er erfragt hätte ich sei krank. Ein paar Stunden später war ein ,Aiden?' zu sehen.
Daraufhin fragte er am Donnerstag wie es mir ging.
Am Freitag hieß es ich solle ihm schreiben sobald es mir besser ging.
Es ging mir zwar nicht unbedingt besser, doch ich schrieb ihm zurück.
‚Yo sry das ich nichts geantwortet hab, mir gehts echt beschissen haha'
Nach dieser kurzen Aktivität, legte ich mein Handy auch schon wieder weg. Ich zündete mir noch eine Kippe an und legte mein Kinn auf mein Knie. Und da kam es.
Das plötzliche Verlangen Heroin zu nehmen. Ich versuchte krampfhaft an etwas anderes zu denken, doch alles in meinem Kopf drehte sich gerade um das weiße Pulver. Alex schien zu bemerken das etwas nicht stimmte, denn er fragte was los sei.
„Ich brauch was" war meine Antwort. Ich schaute ihn verzweifelt an.
„Nein Aiden brauchst du nicht"
„Bitte Alex" bettelte ich fast schon. Innerhalb von wenigen Sekunden staute sich Panik in mir auf, kurz danach folgte die Panikattacke. Ich hatte das Gefühl ich bekäme keine Luft mehr, würde ersticken. Alles engte mich ein, mein Herz drohte aus der Brust zu springen so wild klopfte es.
Das ganze hielt für eine weitere Viertelstunde an, dann verschwand es von allein, doch das Verlangen blieb.
Auch die Tage danach verabschiedete es sich nicht.

Eine Woche nachdem ich den Entzug gestartet hatte, schickte mich Alex wieder in die Schule. Er meinte es wäre auffällig wenn ich noch länger fehlen würde, zumal ich eigentlich auch nie krank bin, und er hatte recht.
Heute war dieser Tag.
Mir ging's immer noch wirklich scheiße, und so sah ich auch aus. Ich hätte mir niemals eine Steigerung meiner Augenringe vorstellen können, doch offensichtlich ist es möglich. Durch den ganzen Stress und das wenig bis gar nicht Schlafen weiteten sich die Dinger immer weiter aus und zogen sich immer mehr in die Länge. Man könnte wirklich meinen meine Augenhöhlen scheinen durch meine Haut hindurch.
Ich stand im Bad und als ich in den Spiegel sah, wurde mir die Tatsache das mein Erscheinungsbild einfach nur abstoßend ist, wieder schmerzhaft bewusst.
Ich zog mich aus, da ich duschen gehen wollte, auch den Blick auf meinen restlichen Körper vermied ich. Alles was dort war, sind Haut, Knochen und ein paar nur noch leicht rötliche Punkte im Bereich meiner Armbeuge, vielleicht auch noch ein paar blaue Flecken.
Ich ging duschen und ließ meinen Körper danach schnell in Oversize-Klamotten verschwinden.
Eine Jeans, einen Hoodie, darüber ein T-shirt und vor der Haustür noch eine Beanie und Schuhe.
„Aiden pass auf dich auf ok? Mach keine scheiße ich kann nicht mehr aufpassen was und wie viel du nimmst."
Ich schaute ihn amüsiert an.
Wie er sich sogar Sorgen macht.
„Was darf ich?" stellte ich somit eine berechtigte Frage.
„Xans gehen, Oxys eigentlich auch aber nimm da lieber Xans. Hast du welche?"
Ich schüttelte nach kurzem Überlegen den Kopf und er verschwand schnell in der Küche. Kurz darauf schmiss er mir einen Blister Alprazolam, eine Schachtel Zigaretten und ein Feuer zu. Ich lächelte ihn dankbar an und ließ es ihn auch wissen.
„Danke Alex"
„Kein Ding, aufpassen und keine Scheiß bauen verstanden?"
Nach einem kurzen Nicken meinerseits drehte ich mich um und verließ die Wohnung nach einer Woche wieder das erste mal.
Auf dem Weg nach unten befreite ich schon eine Kippe aus ihrer Schachtel und zündete sie an sobald ich draußen war. Meine Kopfhörer kamen auch zum Einsatz und ich ging im gemütlichen Schritttempo zu der Bushaltestelle, rauchte in der Zwischenzeit solange weiter bis der Bus kam.

In der Schule verhielt ich mich wie immer, unauffällig und nichtstuend. Zwischen der ersten und zweiten Stunde schmiss ich mir eine Pille, und 30 Minuten , hatte sich mein Inneres etwas beruhigt. Bis zur vierten Stunde lief alles glatt, doch danach kam wieder das Verlangen. Das Verlangen nach Heroin.
Ich hatte aber noch zwei Stunden zu überbrücken. Deshalb musste ich in dieser bescheuerten Klasse sitzen und versuchen mir nichts anmerken zu lassen. Mein Bein wippte wieder unermüdlich und meine Aufmerksamkeit und Konzentration waren auch komplett dahin.
Keine Ahnung wie, aber irgendwie überlebte ich den restlichen Schultag auch noch, was jedoch von einer kurzen Raucherpause zwischen den Stunden unterstützt wurde.
Als ich dann endlich entlassen wurde, hielt mich draußen René auf.
„Yo Aiden, wie gehts dir?"
Ich schwenkte den Kopf hin und her.
„Geht so"
René musterte mich kritisch.
„Bist du sicher das du wieder gesund bist? Sieht nämlich nicht danach aus"
Ich schmunzelte leicht.
„Seh ich wirklich so schlimm aus?" fragte ich lachend.
„Ne geht schon."
Daraufhin folgt wieder Stille.
„Du machst n'Entzug oder"
Woher wusste er das den jetzt schon wieder?
Dennoch nickte ich.
„Stark Bro, zieh durch ok?"
Damit klopfte er mir auf die Schulter und ging seines Weges.
Auch ich ging meinen und zündete mir unterm Gehen eine Kippe an.

Broken apartWo Geschichten leben. Entdecke jetzt