43

25 1 0
                                    

G R A C E
„Grace warte bitte noch kurz" meine Lehrerin hielt mich auf als ich die Klasse verlassen und in meine Freiheit gehen wollte. Leicht genervt ging ich also zurück.
„Ja?"
Die Frau schaute mich unsicher an.
„Hast du Kontakt zu Aiden?"
Ich schaute sie verdattert an.
„Bitte was?" fragte ich ebenso verwirrt noch einmal nach, nicht das ich mich verhört habe.
„Ich mache mir etwas Sorgen um ihn. Er war schon fast ein Monat nicht mehr in der Schule und seine Mutter kann ich auch nicht erreichen. Hast du etwas von ihm gehört?"
Random aber ok.
„Nein tut mir leid. Wir haben keinen Kontakt mehr." ich hoffte die Sache wäre somit erledigt, doch leider nicht.
„Weißt du wo er wohnt?"
Ich schaute sie mit einem leicht verstörten Blick an. Was hatte sie denn vor?
,,Ja aber wieso wollen sie das wissen?"
Aiden ist nicht einmal mehr in ihrer Klasse.
„Wie gesagt ich mache mir einfach Sorgen. Wäre es möglich das du morgen mit mir nach ihm siehst?"
Ich schluckte. Eigentlich wollte ich das nicht. Mit Aiden hatte ich abgeschlossen, und vor allem, warum konnte ich ihr nicht einfach die Adresse sagen und sie geht alleine?
„Während des Schultages, sprich dir würden Stunden entfallen."
Besticht die mich gerade?
Ich überlegte, morgen Nachmittag waren wirklich blöde Stunden die keiner braucht.
Schließlich gab ich nach und willigte ein. Wir vereinbarten das ich mir Begleitung suchen durfte, sie schien zu erahnen das ich nicht alleine sein wollte.
Ich entschied mich für Ava, da sie schon mal bei ihm war. Ich wollte auf keinen Fall das Blaire oder sonst jemand von Aidens Wohnort wusste, der dieses Wissen eventuell ausnützen würde.

Am nächsten Tag konnte ich Ava zum Glück dazu überreden mich zu begleiten, obwohl auch sie nicht allzu begeistert war. Nach der 4. Stunde trafen wir uns mit unserer Klassenlehrerin.
„Ich bin euch etwas schuldig, vielen Dank"
meine die Frau als wir in den richtigen Bus einstiegen.
„Nein nein, alles gut" winkte Ava höflich ab.
„Wie lange warst du schon nicht mehr bei ihm?" meinte sie dann an mich gerichtet.
„Seit den Weihnachtsferien" antwortete ich ihr, ohne sie anzusehen. Mein Blick ging gerade aus aus dem Fenster.
Ich hatte zugegebenermaßen etwas Angst. Wie würde er reagieren? Sicher aggressiv oder abgefuckt.
Würde ich aber auch sein wenn jemand der dich auf einmal alleine gelassen hat nach Monaten mit deiner Lehrerin auftaucht.
Ich seufzte.
Schließlich stiegen wir irgendwann aus dem Bus aus und Ava und ich gingen vor.
Unsere Lehrerin schaute sich neugierig um, wir drei passten nicht wirklich in das Bild der Landschaft. Man sah ihr auch an, dass sie sich nicht wirklich wohl fühlte. Taten wir alle nicht.
Nach einer Weile Fußweg standen wir vor dem besagten Wohnblock.
„Hier?" fragte unsere Begleiterin. Ich nickte.
Es kamen Erinnerungen hoch. Die Zeit die ich hier verbracht hatte, war alles in allem eigentlich sehr schön.
Manchmal vermisste ich ihn.
Gerade als ich die Tür aufmachen wollte, wurde mir diese Arbeit abgenommen da sie jemand von innen öffnete.
Etwas verblüfft stand ich dann vor einem Mitte zwanzig altem Mann, welchen ich sogar kannte. -Damir, Aidens und früher auch mein Nachbar. Ich hatte nie wirklich viel mit ihm zu tun, aber man hat halt auf dem Gang ein bisschen gequatscht oder so, eigentlich ein netter Kerl.
„Grace was machst du denn hier? Gehst du zu Aiden?" er wirkte mindestens genauso überrascht wie ich. Er holte sich gerade eine Zigarette aus einer Schachtel, zündete sie schließlich an.
Ich nickte zögernd und meinte „lange nicht gesehen"
„Das kannst du laut sagen, aber was hast du mit Aiden angestellt?"
Mir sprangen die Fragezeichen wahrscheinlich förmlich aus den Augen und warf Ava einen hilfesuchenden Blick zu, diese zuckte aber nur mit den Schultern.
„Wie meinst du das?" fragte ich deshalb nach.
„Seit du weg bist ist er voll anders. Viel depressiver als sonst. Vor allem nachdem er diesen Entzug gemacht hat"
„Er hat einen Entzug gemacht? Von was?" meinte ich fast schon schockiert, das hätte ich nämlich nie für möglich gehalten.
„Ach das wusstest du nicht? So weit ich weiß nur Heroin, von meiner Wohnung aus hat sich das ganze angehört als würde er zu Tode gefoltert werden, zumindest die ersten Tage. Er kam sogar im Nachhinein zu mir und hat sich entschuldigt"
Ich schaute ihn ehrlich überrascht an. So etwas hätte ich überhaupt nicht erwartet.
„Ja wie auch immer, war schön mit dir zu quatschen aber ich muss jetzt echt weiter bin sowieso schon spät dran. Man sieht sich" er warf seine aufgerauchte Kippe auf den Boden und setzte dann seinen Weg fort.
Langsam machte ich mir auch etwas Sorgen um Aiden. Mit einem kurzen Blick auf meine zwei Begleiter betrat ich dann den Wohnkomplex. Ich hatte ein ganz ganz ungutes Gefühl bei der Sache und so beeilte ich mich etwas die Treppenstufen zu erklimmen. Vor seiner Haustüre nahm ich einen tiefen Atemzug und klingelte schließlich. Keine Reaktion. Ich klingelte erneut. Wieder keine Reaktion. Ich warf mich mit etwas Kraft gegen die Tür und öffnete sie letztendlich auf diesen Weg.
Auf Ava's überraschten Blick antwortete ich mit „Das Schloss funktioniert schon seit Ewigkeiten nicht mehr richtig."
Meine Lehrerin dankte mir im Vorbeigehen und übernahm die Führung, Ava dicht hinter ihr. Ich ließ die beiden vor und ging als letzte rein. Ehe ich überhaupt irgendwo hingehen konnte, hörte ich einen spitzen Schrei meiner Lehrerin, gefolgt von einem Keuchen welches Ava zuzuordnen war. In Gedanken fragte ich mich noch was die beiden bitte gesehen haben, doch dann sah ich es auch.
Besser gesagt ihn.
Aiden.
Auf dem Boden liegend, oberkörperfrei, mit unnatürlich blasser Haut.
Ich schlug mir aus Reflex die Hand vor den Mund und musste mich zusammenreißen nicht auch zu schreien.
Um ihn herum konnte ich auf den ersten Blick einen Löffel, ein Feuerzeug, eine leere Dose Pillen, reste eines weißen Pulvers, eine spritze und eine Art Kotze auf dem Boden, wobei diese eigentlich beinahe vollständig aus Blut bestand.
In seine unmittelbare Umgebung wies alles auf eine Sache hin.
Er hat sich eine Überdosis geschossen. Ich taumelte ein paar Schritte zurück und setzte mich auf die Bank, meine Lehrerin rief einen Krankenwagen und Ava verließ die Wohnung. Die Frau versuchte irgendwie erste Hilfe zu leisten, aber jeder hätte erkannt, dass hier keine Hoffnung mehr besteht. Ich war komplett erstarrt und konnte keinen rechten Gedanken fassen.
Aiden ist tot?
Das ist alles meine Schuld...
Im Augenwinkel sprang mir dann ein Blatt Papier auf, welches das einzige auf dem ganzen Tisch war. Der Rest lag auf dem Boden oder der Bank.
Demnach nahm ich aus Neugier das Stück in die Hand. Als ich es auffaltete, stellte es sich als einen Brief heraus. An mich.
Aiden hat einen Brief geschrieben.
Ich las das Schriftstück, je weiter ich kam desto schwerer wurde es meine Tränen zurückzuhalten und als ich fertig gelesen hatte, war ich am Weinen wie noch nie zuvor.
Mir liefen Wasserfälle aus den Augen und ich warf mich zu Aiden auf den Boden, zog seinen eiskalten Körper an mich. Ich legte meine Stirn auf seine und bettelte ihn an wieder aufzuwachen.
Es tat mir so furchtbar leid, ich bereue so gegangen zu sein.
Zuerst versuchten mich die Sanitäter, die mittlerweile eingetroffen sind und Aiden irgendwie wieder ins Leben holen wollen, zu beruhigen, und später meine Eltern als diese auch von irgendwem gerufen wurden.
Doch keiner konnte mich besänftigen.
Ich schrie als es die Leute von der Rettung aufgaben und Aiden als tot erklären, und bettelte sie an ihn wieder zurück zu bringen.
„Grace reiß dich zusammen, er ist tot" meinte mein Vater dann und packte mich an beiden Armen, schaute mir tief in die Augen.
Ich wurde still, doch weinte weiter, nur dieses Mal ohne einen Mucks von mir zu geben. Den Brief nahm ich mit als ich schließlich nach hause gebracht wurde, klammerte mich regelrecht daran.
Ich habe einen furchtbaren Fehler begangen.
Das ist mir jetzt auf die harte Tour bewusst geworden.

‚Wenn du nicht Grace Hovard bist, lies das hier nicht.
Grace, wenn du das liest, bin ich (hoffentlich) nicht mehr in dieser Welt. Ich wette du hast viele Fragen, berechtigt, und ich finde du hast ein Recht darauf zu erfahren was mich so weit getrieben hat. Ich denke du kannst dir denken dass du eine mehr oder weniger große Rolle in meiner Entscheidung gespielt hast, aber um das klar zu stellen, du bist nicht schuld. Gib dir also nicht die Schuld für das was passiert ist. Es war letztendlich meine Entscheidung. Ich weiß nicht ob du's mitbekommende hast, aber kürzlich sind Alex und Sky bei einem Unfall gestorben. Das hat auch eine große Rolle gespielt.
Jetzt aber mal was anderes, ich hab keine Ahnung wie ein Testament normalerweise aussieht oder aussehen soll, aber sieh das jetzt einfach mal als eines. Da du meine letzte lebende Freundin bist, kannst du mein ganzes Zeug haben, obwohl ich bezweifle das dich irgendetwas davon interessiert.
Vor allem die Cross von Lukas, nimm mindestens das Ding mit. Mir ist egal ob du sie verkaufst, aber wäre schade um das Ding wenns keinen Nutzen mehr hat.
Jetzt nochmal Themawechsel, ich will dir noch paar wichtige Dinge sagen.
Erstens bitte bitte bitte lern aus meinen Fehlern. Du hast dein ganzes Leben vor dir, verschwende es nicht auf Drogen. Ich war einfach nur dumm und dachte sie würden mir helfen, haben sie offensichtlich nicht. Genieß dein Leben, mach alle Dinge die du machen willst. Du sollst nichts bereuen.
Zweitens wenns mal bergab geht such dir Hilfe. Ich mein das ernst. Such dir irgendwen zum Reden, jemanden dem du vertrauen kannst. Ich hab alles jahrelang in mich reingefressen und man sieht ja wohin es mich gebracht hat.
Das Dritte ist jetzt ein bisschen ernster aber das ist meine letzte Chance.
Ich habe dich geliebt. Ich war immer zu feig es dir in Person zu sagen und bin es jetzt eigentlich immer noch aber wie gesagt. Das ist meine letzte Chance. Ich habe dich geliebt und tue es immer noch. Wenn du also jemals das Gefühl hast jeder ist gegen dich, denk daran das es immer noch einen Idiot gibt der dich von oben beobachtet und immer unterstützt.
Ganz zum Schluss jetzt etwas das du dir merken sollst. Begegne anderen Menschen mit einem Lächeln, egal wer sie sind. Die Menschen haben noch nicht verstanden dass nicht alle Leute etwas für ihre Situation können, also urteile vielleicht nicht sofort über jemanden den du nicht kennst.
Menschen sind nämlich nicht ohne Grund so wie sie sind, sie wurden dazu gemacht.
Aiden'

-End-

Broken apartWo Geschichten leben. Entdecke jetzt