Ansichtsfrage

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...oder auch nicht?


Wer denkt, dass Nervenheilanstalten dafür da sind, um ihre Insassen zu heilen, der irrt sich. Sie sind dazu da, um den Rest der Welt vor uns zu schützen.

Diese Therapie, also das was man hier so nennt, ist Kindergarten, Grundschule im besten Fall. Das bringt doch alles nichts...

„Herr Kopplin, bitte stellen sie sich vor, dass dieses Schachbrett ihr Leben ist, ihr Umfeld, Berlin, ein ganz persönlicher Bereich, ganz wie sie es nennen wollen." Frau Dr. Klafe ist einer von der Sorte Mensch, de ich nicht zuordnen kann. So gar nicht. Sie ist zu freundlich und aufgeschlossen, ohne auch nur den Hauch eines Zweifels zu lassen, es nicht genau so zu meinen wie sie es sagt. Trotzdem haben ihre stechend grau-grünen Augen eine schärfe, wie die eines Adlers. Ihr Blick löst ein ungutes Gefühl in mir aus, sie hat jede meiner Bewegungen ganz genau im Auge und das auch noch ohne verbissen oder angestrengt zu wirken.

Umso absurder wirkt es, als diese aufmerksame, kontrollierte Frau eine fast schon lächerlich große Box mit Schleich Tieren auf den Tisch. Na dann, endgültig Willkommen im Kindergarten, halleluja.

„Ich möchte, dass sie sich eine der Figuren aus dieser Kiste aussuchen und auf dem Feld vor sich positionieren. Denken sie dabei an sich selbst, dass was sie Ausmacht, ihre Schwächen, etwas auf das sie stolz sind..." Sie redet weiter, aber ich wühle schon in der Kiste. Ich will das Theater einfach nur hinter mich bringen und dann zurück auf mein Zimmer. Ja, freiwillig zurück in den kleinen Raum in dem nur ein Bett und ein Schreibtisch steht. Das Zimmer, vor dessen Fenstern Gitterstäbe sind, eines wo man die Fenster zwar kippen, aber nicht in den Spalt greifen kann. Die denken wirklich, ich könnte versuchen mich Umzubringen...

Weit gefehlt. Dafür bist du zu schwach und zu egoistisch.

Fresse.

Ich sehe die Frau an, wenn ich jetzt irgendwas auf das Feld da Stelle, dann merkt sie das ich nicht ehrlich bin. Ich muss das richtig machen, das heißt aber nicht, dass ich nicht lügen darf.

Meine Finger finden intuitiv den kleinen Luchs, den ich schon von außen in der Kiste erkannt habe. Sandfarbenes Fell mit fast schon orangen Nuancen, ein paar dunkelbraune flecken, eine eindrucksvolle Augenzeichnung und die charakteristischen Pinselohren. Er ist hübsch. Ich stelle ihn vor mir auf das Schachfeld, nicht ganz mittig, aber auch nicht am Rand, so dass er von mir wegschleicht, so dass ich zwischen seinen Ohren hindurch das restliche Spielfeld einsehen kann.

„Sehr gut. Wenn sie jetzt an ihr Umfeld denken, wen sehen sie da? Fangen wir mit jemandem an den wir beide kennen, damit ich mich ein Bild von ihrem Psychiater machen kann. Wo sehen sie Dr. Eklund in ihrem Leben? Wie stehen sie zu ihm?" Ich verdrehe die Augen, mache aber was sie sagt. Wenn das bedeutet, dass ich hier eher früher als später rauskomme, dann ist es mir das Theater wert.

Ein Graureiher mit majestätisch anmutender Haltung findet Platz einige Felder von meinem Luchs entfernt. Weit genug weg um eine professionelle Distanz zu wahren, nah genug um alles im Auge zu haben. Der Reiher sieht mit wachem, unerschrockenem Blick auf ihn hinab. Die dünnen, langen beine und sein Schnabel, der ein bisschen so aussieht, als würde er wissend lächeln erinnern entfernt an Eklund.

Das Rascheln von Papier lässt mich aufblicken. Frau Doktor macht sich Notizen, weil sie denkt, sie würde nun etwas über mich wissen, dass niemand sonst, nicht einmal ich selber weiß. Bullshit.

„Wenn sie nun weitere Figuren, für ihre Familie, Freunde und Wegbegleiter..." Ich höre ihr schon nicht mehr zu. Als erstes fische ich einen Hai aus der Kiste heraus, für Vincent. Sein Lieblingstier. Es ist zwar kein Hammerhai, aber der Gedanke zählt. Er findet auf dem weißen Feld rechts neben mir Platz, so wie es sein sollte...

Deine CollegejackeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt