Manchmal nicht mehr als ein Flüstern

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Der Abend davor, mein Anfang vom Ende

Naja, eigentlich liegt es keine 24 Stunden zurück. Ein ganz normaler Tag, so normal es halt für uns geworden ist auf Tour jeden Abend für mehrere Tausend Menschen zu spielen.

Von der Bühne aus erkennt man keine Gesichter, nur Farben und die Lichter von unzähligen Handykameras.

Die Geräuschkulisse lässt sich vielleicht am ehesten mit einem Bahnhof voller Menschen, mit Musik und dröhnenden Bässen beschreiben. Nur, dass die Menschen bei uns nicht auf den mal wieder lächerlich lange verspäteten Zug warten, sondern ihre Hemmungen verlieren. Im positiven Sinne.

Über diesen Gesichtslosen Mengen bin ich alleine, gemeinsam einsam mit dir und ich bin glücklich, wenn ich sehe wie die bunten Lichter in deinen Augen zu vielen tanzenden Punkten zerbrechen.

Du lachst und springst und egal was du denkst, du singst super. Hab ich dir schonmal gesagt wie frei ich mich fühle wenn ich mit dir lachen kann? No homo, aber Vincent Stein sieht am schönsten aus, wenn er auf der Bühne abgeht.

Und du hast erst jetzt bemerkt, dass dein Bro kein Hässlon vor dem Herrn ist?

Verärgert schüttle ich den Kopf. Wie kann es eigentlich sein, dass meine eigene Schizophrenie zu blöd ist zu kapieren, dass das erst der Anfang ist? Der erste Akt wenn man so will, ohne den blickt man doch nicht durch!

Sortiere du erstmal deinen Kopf, Junge! Du weißt doch selbst nicht, was du denken sollst, wie sollen wir da noch irgendwas rallen? Wenn hier einer nicht ganz sauber ist, dann ja wohl du, immerhin sind wir nur in deinem Unterbewusstsein!

Kurz bin ich davor zu fragen, wer ‚Wir' ist, da bohren sich schon meine Zähne tief in meine Zunge. Zum Glück. Das letzte mal als ich an diesem Punkt war, stand ich kurz davor...einfach alles zu beenden.

Ich fliehe lieber wieder ganz schnell zurück nach gestern. Die Stunde nach dem Konzert, gestrandet in diesem total abgeranzten leerstehenden Zug, irgendwo im Nirgendwo auf einem eingewachsenen Abstellgleis. Ein Geheimtipp, laut dem Typ aus der örtlichen Security. Vincent wollte Lostplace vor dem Objektiv, Vincent bekommt Lostplace vors Objektiv. Natürlich bin ich mitgekommen. Irgendwer muss ja auf ihn aufpassen, er vergisst ganz gerne mal die Zeit wenn er fotografiert und auf der Suche nach neuen Bildkompositorischen Meisterwerken ist. Außerdem hab ich eh nach einem ungestörten Ort zum Kiffen gesucht, also win-win: Vincent seine Fotos und den ein oder anderen Schnaps, ich den Rest vom Alk und mein holländisches Gold.

Hätte ich nicht hoch und heilig versprochen es auf Tour ruhig anzugehen und nichts Chemisches zu konsumieren, hätte ich noch mehr zum drauf freuen gehabt, aber besser ist es. Wahrscheinlich.

Ja, bist ja so schon genug abgestürzt, wa?

Fresse.

Verhaltenes kichern aus meinem wirren Hirn begleitet alte Polstermöbel der deutschen Bahn, zerrissen, teilweise abgefackelt. Die Wände sind besprayt, getagged und übertagged, die Farbschicht ist mittlerweile so dick, dass sie abblättert.

Ich habe mich auf einen der herausgerissenen Sitze fallen lassen und erstmal das „Basteln" angefangen. Vincent ist schon fleißig am Knipsen, ich kann immer mal wieder sein Chucks von oben in den Wagon hängen sehen oder die Linse der Kamera. Ich zweifle nicht daran dass er es mal wieder schaffen wird mich in ein positives Licht zu rücken, ich lass ihn mit seiner Kamera einfach machen. So wie immer.

Ich lass ihn erstmal in Ruhe vom Konzert runterkommen, der wird schnell genug wieder herkommen und seine gesamte Aufmerksamkeit auf mich fokussieren. Spätestens wenn ich den Alk auspacke und den zweiten Joint an habe, sitzt er neben mir, auf dem umgedrehten Limokasten und schnorrt sich was feines von mir.

Deine CollegejackeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt