Deine Collegejacke

Panikorchester

Erster Satz aus der dritten Sinfonie: Eifersucht und Angst

„Wie geht es dir Dag?" Zum dritten mal höre ich diese fünf Wörter und zum dritten mal habe ich keine bessere Antwort als ein Schulterzucken. Dr. Eklund sieht mich noch immer so unbestimmt und doch durchdringend an und tippt leise mit den Fingern gegen sein Klemmbrett. „Weißt du, in all den Jahren die wir uns jetzt kennen, hast du oft geschwiegen. Vor Langweile, vor Wut oder wenn du traurig bist. Aber auch vor Verzweiflung oder Verwirrung." Ja. In der Regel sag ich gar nichts zu ihm wenn ich sauer bin, weil er einer von diesen Psychologen ist, die es hinbekommen jedes Wort das man spricht so zu verdrehen, das es gegen einen steht. Und wenn ich etwas nicht leiden kann, dann ist es meine Doppelmoral vorgezeigt zu bekommen oder das, was danach aussieht. „Spuck's aus." Er legt sein Schreibmaterial beiseite und lehnt sich mit verschränkten Armen in seinem Sessel zurück. „Was ist los bei dir? Ich hab dich schon lange nicht mehr in so einem abwesenden Zustand gesehen." Die Aussage bringt mich in meinem Dilemma leider gar nicht weiter. Ich bin nach gestern Abend und heute Morgen vor Allem eines: Verwirrt. Seit Vincent mich im Wartezimmer zurückgelassen hat noch viel mehr. Die Gedanken in meinem Kopf laufen Amok und ich weiß nicht woran ich bei mir selbst bin. Ich presse mir die Hände vors Gesicht. Ich bin nicht schwul. Da war ich mir eigentlich immer sicher, eigentlich bin ich es noch immer. Aber dann ist da ja noch Vincent und sein Geständnis, auf das ich noch immer nichts erwidert habe.

Ja, nichts bis auf die Aussicht auf einen zweiten Blowjob.

Das ist es ja! Ich würde es wieder tun und das ist es was mir Angst macht! Ich hab allen ernstes so einen Test auf einer bescheuerten Website gemacht um raus zu finden welche Orientierung ich eigentlich habe. Kam mir richtig idiotisch vor, als ich auf der Fahrt hierher über fünfzig Fragen beantworten habe. Eine reine Katastrophe und ich bin, mehr als einmal rot angelaufen. Da waren Fragen dabei, über die ich mir noch nie Gedanken gemacht habe. Und am Ende hat es nichts gebracht. Laut dieser Seite bin ich Hetero oder Bi-curious. Aber das ergibt halt leider auch keinen Sinn, weil ich es ja jetzt schon ausprobiert habe. Wie geht es jetzt weiter?

„Ich mach mir Sorgen...um meinen Freund Martin." Hoffentlich erfährt der niemals, dass ich ihn in dieses Debakel mit reinziehe, Gott bewahre. Tut mir leid ihn für mein Selbstfindungsexperiment zu missbrauchen, aber ich bin Verzweifelt ok?!

„Oh. Dein Freund vom letzten mal? Hat er sich noch immer nicht geoutet?" Ich schüttle mit dem Kopf. „Nein, ein anderer, aber der steckt in einem ganz ähnlichen Dilemma. Er...hat mich gestern angerufen weil er wohl mit seinem Kumpel geschlafen hat und der ihm danach seine Liebe gestanden hat. Ja und jetzt weiß ich halt nicht was ich ihm raten soll, weil Martin eigentlich nicht schwul ist aber seinen Kumpel schon irgendwie liebt? Keine Ahnung...ich hab das selbst noch nicht alles so ganz verstanden." Immerhin lüge ich diesmal ohne direkten Schaden anzurichten, wenigstens etwas.

„Nun, für mich klingt das ziemlich eindeutig. Dein Freund hat eine Erfahrung gemacht und jetzt ist er neugierig. Manchmal können sich Vorlieben ändern, Orientierungen oder es ist eine Typ Frage. Es hat einen Grund, warum viele Lebensabschnittsgefährten und keine Lebensgefährten mehr haben. So eine Veränderung kann tiefe Gräben ziehen." Neugierig? Ja...vielleicht, aber das mit Vincent und mir geht jetzt doch schon so lange, irgendwie zumindest. Und das er jetzt in mich verliebt ist oder vielleicht schon früher. Ich liebe ihn auch, aber ich weiß nicht ob das eine Zukunft hat. Ich fühle mich nach wie vor nicht zu Männern hingezogen, ich weiß nicht wie das funktionieren soll.

Bitte, du hast ihn geküsst, mehrfach. Und immer ging es von dir aus. Oh und du hast es gewollt und wie du es gewollt hast! Letzte Nacht, da ist es nicht einfach über dich gekommen, vor Dankbarkeit oder so, das hat sich doch seit Tagen angekündigt! Du hast eine Eskalation ja regelrecht provoziert mit deinen Gedanken.