Wie Spiegelreflex, aber ohne Blitz

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Keine Tiefe oder Schärfe, aber Kanten aus Gefühlen

Das leere Treppenhaus hallt unter jedem Schritt, so als wäre ich der Einzige, in dem großen Wohnkomplex. Wenn da noch andere Geräusche sind, das gelegentliche Knallen von Türen, klirrendes Besteck, Kinderplärren, Streitgespräche, sind sie kein Teil meiner Realität.

Vielleicht ist es die Müdigkeit, die mich mit Schalldämpfer durch die Stadt und hierhergetrieben hat. Ich war zuhause, hab mich hingelegt, den Kopf leer um eine Chance zu haben einzuschlafen und ich habe es versucht. Wirklich. Ich wollte so sehr auf Nikolas hören, es wäre endlich eine klare Linie gewesen, etwas an dem ich mich festhalten kann.

Es hat sogar fast geklappt, aber es hat mich einfach nicht mehr losgelassen. Die Sache mit meiner Jacke, also der die ich Dag gegeben habe. Sie ist ihm so verdammt wichtig und auch wenn ich nicht ganz verstehe, warum ich wütend auf ihn sein sollte, weil er sie verloren hat, wo er doch in einem Ausnahmezustand war, an dem ich nach wie vor nicht ganz unbeteiligt bin, lässt es mich nicht mehr los.

Ich weiß nicht, nach was ich suche oder was genau ich hier mache, aber es hat sich richtig angefühlt, hierher zu kommen. Jetzt bin ich mir da nicht mehr so sicher.

Die Treppenstufen fühlen sich unter meinen Füßen an wie Stolpersteine, als sollte ich gar nicht hier sein. Dabei war ich doch schon so oft hier, in diesem modernisierten Plattenbau, dessen Grundmauern schon seit DDR-Zeiten stehen.

Dag ist sehr picky damit, wen er in seine Wohnung lässt, das privateste und persönlichste von sich, sein Rückzugsort vor der Welt. Da lässt er nur seinen engsten Kreis rein und auch nur, wenn es sich für ihn richtig anfühlt. Natürlich würde er mich niemals abweisen, aber ein paarmal, da kam es schon vor, dass er sich unwohl gefühlt hat und mich ganz schnell wieder aus seinen vier Wänden raushaben wollte.

Ich will es nicht persönlich nehmen und trotzdem ziehe ich meine Schuhe immer schon vor der Wohnungstür aus, auch wenn er im Urlaub ist und ich nur die Post reinbringe, weil es sich falsch anfühlt mit meinen Schuhen in seinem Safespace rumzulaufen, auch wenn er das selber macht. Er hat mich nie gebeten, die Schuhe auszuziehen und dennoch kicke ich mir auch diesmal die Vans von den Füßen, als ich vor der verschlossenen Tür stehe.

Der Schlüssel knackt viel zu laut im Schloss und ich fühl mich, als würde ich etwas Verbotenes tun. Dag weiß nicht, dass ich hier bin und auch wenn ich mich hinter dem noblen Vorwand verstecke, ihm ein paar Klamotten zu bringen, damit er aus dem Kleid rauskommt und etwas hat das vertraut ist, doch am Ende ist es eben nur eine Ausrede.

Vielleicht will ich aber auch einfach nur wissen, ob ich noch weiß wer Dag ist. Seine Wohnung ist ihm so wichtig, ich muss einfach etwas übersehen haben, etwas, dass zumindest ein kleines Fragment seiner Persönlichkeit offenlegt, damit ich nicht mehr das Gefühl habe, als Freund versagt zu haben. Als bester Freund, verdammte Scheiße.

Zögerlich, aber auch eine ganze Spur zu neugierig, betrete ich die Wohnung. Ich will hier nicht herumschnüffeln, das wäre alles, aber nicht fair oder ok.

Das kann ich nicht mit mir vereinbaren, auch wenn ich zumindest eine Antwort brauche.

Ich fühle mich wie ein Einbrecher, jemand, der Dinge sieht, die von keinem erfasst werden sollen. Die irrationale Angst jeden Moment entdeckt zu werden und mit meinem verbrechen konfrontiert zu werden. Dabei kann rein gar nichts passieren. Dag ist nicht hier, er weiß ja nicht mal, dass ich hier bin. Seine Nachbarn kennen mich, die wissen, dass ich einen Schlüssel habe, es ist alles rechtens. Der einzige der sich hier komisch verhält, bin ich.

Die Wohnung ist gespenstisch Still, es ergibt schon wieder keinen Sinn, aber ich habe mir wirklich eingebildet, dass ich hier irgendwie seine Präsenz fühlen könnte. Aber hier ist nichts, nur sein unverkennbarer Körpergeruch, immerhin das bleibt mir. Ich muss verdammt nochmal ein Masochist sein, als ich meine Nase in Dags Cardigan, der wie immer mehr oder weniger Ordentlich über der Garderobe hängt vergrabe.

Deine CollegejackeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt