Für danach

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Wenn ich rennen muss, brauch ich Gewissheit

Die Treppenstufen des U-Bahnhofs Tempelhof sind dreckig und vermüllt wie immer. Durch die Eingangshalle pfeift der Wind, empfindlich kalt und irgendwie nicht real. An diesem Ort ist für mich ewig Sommer, die Kälte steht im harten Kontrast zu dem Bild welches in meinem Kopf wohnt. Ich trete nach draußen in die warme Herbstsonne, die durch die Zweige der Bäume am Straßenrand auf mein Gesicht scheint. Bin froh den Pulli angezogen zu haben, fang schon wieder an zu frieren. Meine Vans rascheln durch das erste Laub des Jahres während auf der Brücke über mir die Ringbahn nach Moabit durchrattert. Beim kleine Italiener gleich gegenüber sitzen die Leute mit Decke und Sonnenbrille auf der Terrasse, sieht grotesk aus. Fröstelnd ziehe ich die Ärmel meines Hoodies...nein, von Vincents Hoodie über meine Hände, nach dem ich den Ampelknopf gedrückt habe. Ich muss mich ganz dringend bewegen um wieder warm zu werden und nicht auszukühlen.

Als die Ampel für die Autos auf Rot springt laufe ich los. Schnell auf die andere Seite der dicht befahrenen Straße. Vor mir liegen die Weiten des größten Parks von Berlin. Der alte Flugplatz sieht so aus wie immer, die riesigen Betonplatten reflektieren den Sonnenschein, soweit das Auge reicht nichts als flaches Land. Die Rot weiß gestreiften rechteckigen Betonblöcke an den Rändern der Flugbahnen sind kaum besetzt, ungewöhnlich, normalerweise sitzen hier immer viele Studenten zum lernen. Vielleicht ist es denen schon zu kalt oder es ist die falsche Zeit. Ich steuere den kleinen Aussichtsturm an, Martin sehe ich schon von weitem auf der Treppe sitzen. Als er mich entdeckt springt er auf und kommt lächelnd und mit ausgebreiteten Armen auf mich zu.

„Schön dich zu sehen Mann!" Wir schlagen beieinander ein und Drücken uns, aber nicht so wie sonst. Heute hält er mich einen Moment länger fest, als ich ihn schon wieder loslassen will. „Wie geht's dir?" Seine Stimme klingt weich, wie immer, wenn er sich sorgen macht und ich kann es ihm nicht verübeln. Ich seh beschissen aus. Total verbraucht und abgewrackt. „Geht schon Bruder." Ich klammere mich noch einen Moment an seinen Schultern fest, streiche ihm über den Rücken, dann lasse ich los. „Wirklich?" er mustert mich kritisch mit seinem Martin-Blick. Er will mir glauben, aber er kann es nicht so ganz. Noch nicht.

Ich presse die Lippen zusammen um nichts Dummes zu sagen und nicke. „Können wir rennen? Danach..." Ja was danach? Ich muss meinen Kopf sortieren. Kann mich kaum erinnern wie ich hierhergekommen bin, da sind nur schwimmende Gedanken, die Bingotrommel wieder und meine Fingernägel sind wieder ganz abgekaut.

„Danach, Dag." Ich schenke ihm ein erleichtertes Lächeln. Er kennt mich noch. Man. Ich könnte schon wieder heulen. Schnell wische ich mir die zwei kleinen Tränchen aus den Augen. Das muss bis später warten, bis danach. Martin klopft mir auf die Schulter, dann joggen wir los.

Der Wind zerzaust mir die Haare, die ersten Schritte sind noch ganz leicht, befreiend. Ich trabe neben Martin her, auch wenn alles in mir schreit, dass ich richtig Rennen muss weiß ich doch, dass es ein Fehler wäre. Meine Kondition ist im Arsch, wenn ich jetzt mit kalter Muskulatur losstürme verzeiht mir das mein Körper nicht oder ich tu mir weh.

Das graue murmeln in meinem Hinterkopf flüstert mir zu, dass das doch gar nicht so schlecht wäre. Glaube ich. Eigentlich verstehe ich nichts und bilde mir die Logik nur ein.

Martin wird schneller, ich versuche Schritt zu halten, aber meine Lunge macht mir einen Strich durch die Rechnung. Beschissener Raucherhusten. Ich bekomme einen Blick zugeworfen, aber das war es. Martin kennt mich. Und ich kenne meinen Körper. Wenn ich erstmal über die eklige Phase gelaufen bin, dann wird es besser, dann macht es Spaß.

Aber bis dahin ist es doppelt scheiße. Ja man so richtig scheiße!

Ich stolpere über meine eigenen Füße, schaffe es aber weiter zu laufen. Kämpf Dag. Kämpf weiter mit dir selbst. Ich muss es mir selber sagen, die Stimmen in meinem Kopf bekommen nämlich keinen graden Satz zustande und ich weiß noch nicht ob ich das gut finden soll. Irgendwann wird es leichter...bald.

Deine CollegejackeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt