Wincent
Nachdem Marco mir noch weitere zehn Minuten auf die Nerven gegangen war, verabschiedeten wir uns voneinander. Auf dem Weg nach Hause schickte ich eine Sprachnachricht in die Familiengruppe und erklärte kurz, dass ich dringend nach Berlin musste und mich später melden würde. Dann schmiss ich meine Sachen, die natürlich im ganzen Haus verteilt waren, in meinen Rucksack. Anschließend ging ich in Shayennes Zimmer und legte Larrys Schlüssel auf ihren Schreibtisch. Ich stibitzte einen der Klebezettel, malte ein Herz drauf und schrieb ein »Bis bald und pass gut auf ihn und dich auf!« drunter. Den Zettel klebte ich auf den Schlüsselanhänger und verließ dann das Zimmer.
In der Küche schnappte ich mir noch ein wenig Verpflegung für unterwegs, füllte eine Flasche mit Wasser und zog dann meine Schuhe an. Die Jacke nahm ich in die Hand und mit einem letzten Blick hinein zog ich die Tür hinter mir zu und schloss ab. Ich schmiss den Rucksack auf die Rückbank meines BMW und setzte mich hinters Steuer. Sobald ich den Motor startete, verband sich Spotify mit meiner Anlage und Metal-Klänge erfüllten den Raum. Ich programmierte mein Navi, damit ich über mögliche Staus informiert wurde und fuhr dann in Richtung Autobahn. Mats bekam noch kurz die Info, dass ich unterwegs war, aber ob er es abhörte, wusste ich nicht.
Vier Stunden später parkte ich vor Annas Wohnung. Eventuell hatte ich dem Navi unterwegs vierzig Minuten abgeluxt, die ich eigentlich später ankommen sollte. Allerdings waren erlaubte Höchstgeschwindigkeiten und ich, ab und zu, nicht die besten Freunde.
Ich stieg aus, nahm meinen Rucksack und schloss dann das Auto ab. Kurz zögerte ich vor der Tür, aber dann drückte ich auf den Klingelknopf. Dann zählte ich die Sekunden, aber nichts passierte. Komm schon, Anna. Oder Mats. Irgendjemand. Bitte.
Ich klingelte noch einmal und kramte dann mein Handy aus der Tasche hervor. Ich suchte in meinen Kontakten nach der Nummer und als die Tür sich nicht öffnete, klickte ich auf ‚anrufen'. Während ich wartete, trat ich ungeduldig von einem Fuß auf den anderen.
„Bohle", meldete er sich endlich.
„Mats. Mach mal bitte Annas Tür auf."
„Hä?"
„Mach einfach. Neben der Wohnungstür müsste eine Anlage sein und da einfach auf den Schlüssel drücken. Bitte."
„Gib mir einen Moment, okay?"
„Okay."
Ich wollte mir nicht anmerken lassen, dass absolut nichts okay war. Doch Mats konnte ja nichts dafür. Also riss ich mich zusammen und brüllte, nachdem wir aufgelegt hatten, einfach nur die Hauswand an. Am liebsten hätte ich mich einfach auf den Boden gesetzt und geheult, aber es würde nichts bringen.
Ich schickte Marco noch eine kurze Nachricht und dann summte endlich die Tür. Ich lief die Treppen so schnell, wie es ging, nach oben. Allerdings kam es mir viel zu langsam vor. Doch ganz fit war ich auch nach der Reha noch nicht und weil ich dieses Jahr unbedingt durchziehen wollte, nahm ich doch ein wenig Rücksicht auf meinen Fuß. Oben angekommen, wartete Mats in der Zür auf mich. Und noch jemand stand da.
„Hey, mein Freund", sagte ich und setzte mich noch im Treppenhaus auf den Boden.
Ich hatte das Gefühl, nicht einen Schritt weiter gehen zu können.
Fritz kam direkt zu mir und ließ sich ausgiebig streicheln. Es tat so gut, durch sein Fell zu fahren und seine Pfoten auf meinen Beinen zu spüren. Es war ein wenig wie nach Hause kommen. Noch mehr, als es in Eutin immer war. Vielleicht weil man auch bei Menschen und Tieren ankommen konnte und das schien ich endlich zu sein.
Hier mit Fritz zu sitzen trieb mir fast schon wieder die Tränen in die Augen. Ich musste jetzt stark sein. Für Anna. Für uns.
„Willst du nicht erstmal reinkommen?", fragte Mats und riss mich damit aus meiner kleinen Welt, in der ich gerade war.
Ich nickte und stand auf. Fritz sah mich traurig von unten an. „Na komm."
Er folgte mir in die Wohnung und während ich meine Schuhe auszog, schloss Mats die Wohnungstür.
„Wo ist sie?", fragte ich meinen Fotografen.
„Im Wohnzimmer", antwortete er und hielt mich dann direkt am Arm fest. „Aber sie schläft."
„Ich...", setzte ich an, doch Mats unterbrach mich sofort wieder.
„Lass ihr die Zeit. Ich schlage vor, wir gehen in die Küche und du kommst erstmal runter. Es sind noch Nudeln vom Mittagessen da. Du hast ganz bestimmt nichts gegessen."
Sein Tonfall ließ keine Widerrede zu und ich gab nach. Und er hatte auch Recht. Also ging ich mit ihm und Fritz in die Küche und während Mats mir etwas Essen erwärmte, kraulte ich Fritz. Auch wenn mich das emotional wieder fast an den Rand brachte. Keine Ahnung, was mit mir gerade los war. Das kannte ich gar nicht von mir.
„Hier, bitte." Mats stellte mir den Teller hin.
„Danke", erwiderte ich und begann zu essen.
Allerdings schaffte ich nicht so viel wie sonst. Diese ganze Situation schlug mir einfach so auf den Magen, vor allem jetzt hier zu sein.
„Was ist los?" Mats sah mich fragend an.
„Ich kann einfach nicht mehr."
„Komm schon. Du brauchst das jetzt. Anna hat auch eine ganze Portion gegessen, da schaffst du das auch. Auf der Hälfte aufhören ist doch sonst auch nicht dein Ding."Annalena
„Mats, wirklich. Ich kann nicht", hörte ich Wincent leise sagen.
Er war hier? Seit wann? Träumte ich etwa noch?
„Ach komm. Anna schläft sowieso. Du kannst ruhig das noch aufessen."
Ich stand vorsichtig auf und tatsächlich ging es ganz gut. Offenbar hatte mir die Ruhe gut getan. In den letzten Tagen war an Schlaf nicht wirklich zu denken und wenn, dann schlief ich richtig schlecht. Albträume waren meine engsten Begleiter, nur jetzt fühlte ich mich zum ersten Mal wieder ein bisschen ausgeschlafen. Ich arbeitete mich langsam zur Tür vor und dann in die Küche.
„Hey", sagte ich leise und im nächsten Moment hörte ich einen Stuhl über den Boden rutschen.
Dann wurde ich einfach in die Arme genommen und musste mich extrem zusammenreißen, an seiner Brust nicht zu weinen. Niemand sagte ein Wort, aber ich klammerte mich an Wincent fest, als wäre er der einzige Fels in der Brandung. Und in gewisser Weise war er das ja auch. Ich wüsste nicht, wo ich ohne ihn wäre. Das hat mir die Zeit in Hamburg schon gezeigt und heute war ein weiterer Beweis dafür. Er hätte mir jetzt Vorwürfe machen können, warum ich mich nicht gemeldet hatte, aber er war einfach nur da und hielt mich fest.
„Was machst du hier?", fragte ich irgendwann leise, ohne mich auch nur einen Millimeter zu bewegen.
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Bin ich für sie blind?
Fanfiction„Sag mir, bin ich für sie blind?" Wincent ist verwirrt. Seit seinem Konzert in Berlin, wo Mats Anna kennengelernt hat, scheint sie ihn regelrecht bei seinen Auftritten zu verfolgen. Das zumindest erfährt er von Mats, denn er selbst bemerkt es gar ni...