Wincent
Anna sah mich abwartend an. Eigentlich wollte ich mit ihr erst Fritz schreiben, aber wenn sie so fragte, dann konnten wir meine Pläne ändern. Die spontane Eingebung, große Holzbuchstaben zu kaufen, war eigentlich wieder eine Schnapsidee gewesen. Doch Anna schien es zu mögen und das zauberte mir ein Lächeln auf's Gesicht.
„Das ist ziemlich lang."
„Dann nehmen wir nur Wince", sagte Anna.
„Okay. Warte." Ich suchte aus dem Säckchen die passenden Buchstaben heraus und legte sie vor ihr auf den Tisch.
„So, jetzt. Sollen wir die wieder einzeln durchgehen?", fragte ich.
„Ja."
„Okay. Der erste Buchstabe ist ein W", erklärte ich und gab Anna das entsprechende Plättchen.
Wir gingen nach und nach alles durch und sie hörte mir aufmerksam zu. Ihr schien das Ganze ziemlich Spaß zu machen, denn irgendwann versuchte sie selbst, Worte zu legen. Die ersten Versuche waren zwar ziemlicher Blödsinn, aber nach und nach wurde es besser. Die Freude, als sie das erste Wort richtig gelegt hatte, war so ansteckend, dass ich fast Tränen in den Augen bekam. Doch eine eingehende Nachricht auf meinem Telefon lenkte mich kurz ab.
»Hey Boss, wo steckst du?«
Ich sah kurz zu Anna, die wieder ein neues Wort versuchte, und öffnete dann den Chat mit Mats.
»Moin. Bin mit Anna noch in Kassel. Wieso? Willst du mitkommen?«
»Wäre cool, wenn ich darf.«
»Klar. Komm einfach her«, schrieb ich und schickte Mats meinen Standort.
Dabei fiel mein Blick auf die Uhrzeit und ich wusste, dass wir gar nicht mehr so viel Zeit hatten. Doch Anna war so vertieft, dass ich sie nicht unterbrechen wollte.
„Schatz?", fragte ich dann aber doch.
„Ja?"
„Schaffst du noch zwei neue Buchstaben?"
„Welche?"
„Das M hatten wir noch nicht. Und dann können wir das S noch lernen"
„M wie..."
„Mats", sagte ich. „Da brauchen wir dann auch das S für."
„Okay. Schreiben wir Mats?"
„Können wir machen."
Ich zeigte Anna zuerst, wie das M ging. Das S hatte sie ganz schnell drauf und puzzelte dann den Namen meines Fotografen zusammen.
„Was macht ihr denn hier?", fragte Mats plötzlich hinter mir.
Ich drehte mich um und sah in sein leicht erstauntes Gesicht.
„Anna lernt schreiben und ein bisschen lesen", erklärte ich Mats.
„Fertig", verkündete meine Freundin mit einem leichten Stolz in der Stimme.
Ich sah auf die Buchstaben vor ihr und Mats tat es mir gleich.
„Wow", entkam es ihm.
Obwohl wir beide auf dem Kopf lesen mussten, hatte er sofort erkannt, was Anna geschrieben hatte.
„Sehr cool", meinte er. „Habt ihr noch mehr Überraschungen auf Lager?"
„Erstmal nicht", antwortete ich.
„Wince, können wir noch ein Wort machen?", fragte Anna.
„Klar. Das schaffen wir noch und dann fahren wir los", sagte ich.
„Okay."
„Mats, setz dich", forderte ich ihn auf und er nahm neben mir Platz.
„Willst du lesen?", wandte ich mich dann an Anna.
„Ja." Sie strahlte mich an.
„Okay. Gib mir einen Moment." Kurz sah ich zu Mats und legte ihm dann die Buchstaben in die Hand, die Anna schon kannte. „Leg du mal etwas damit", bat ich ihn leise.
„Egal was?", flüsterte er zurück.
„Solange nur die Buchstaben vorkommen, ja."
Er dachte kurz nach und legte dann zögernd ein Wort. Ich legte die Karten dann vor Anna hin und beobachtete sie genau. Im Augenwinkel sah ich, wie Mats fasziniert dabei zusah, wie Anna die Buchstaben in die Hand nahm und die Kanten nachfuhr. Sprachlos verfolgte er jede Bewegung und schließlich saß er mit offenem Mund da, als Anna wirklich sein gelegtes Wort ‚vorlas'.Annalena
„Respekt, Anna. Mir fehlen echt die Worte", kam es anerkennend von Mats.
„Danke", erwiderte ich ein wenig unsicher.
„Hey, du kannst stolz auf dich sein. Du hast innerhalb von einigen Stunden die ersten Buchstaben des für dich fremden Alphabets gelernt. Allein durch Fühlen", sagte Wincent.
So, wie er es formulierte, klang es wirklich so, als könnte ich stolz sein. Also ließ ich es zu und ich musste zugeben, dass es ein echt schönes Gefühl war. Wincent packte die Buchstaben ein und dann machten wir uns alle mit bester Laune auf den Weg nach Bielefeld.
„Was ist denn mit euch los? Haben wir etwas verpasst?", begrüßte uns Amelie.
„Wir haben einfach nur gute Laune", erwiderte Wincent.
„Rück schon raus mit der Sprache", konterte Amelie.
„Ich lass euch mal alleine. Bis später", zog sich Mats aus der Affäre und verschwand.
„Wincent", begann Amelie. „Was verheimlichst du uns?"
„Nichts", antwortete mein Freund und ich versuchte, nicht zu sehr zu lachen.
In diesem Moment hörte ich sich nähernde Schritte.
„Ah, ihr seid da. Sehr gut. Wince, wir müssen dich langsam verkabeln und dann ist Soundcheck", sagte Nico. Die Stimme kannte ich inzwischen auch.
„Du hast es gehört", sagte Wincent ganz gewiss an Amelie gewandt und dann zog er mich mit sich.
„Wir reden noch", rief Amelie ihm nach.
Während Wincent sein In-Ear-Monitoring selbständig anlegte und versteckte, half Johannes mir wieder. Ich wusste von gestern ja jetzt, was auf mich zukam und war ziemlich entspannt. Zudem freute ich mich darauf, wieder alles zu erfahren, was vor sich ging. Heute wollte ich das Konzert bei Tom verbringen, versteckt vor den Fans quasi. In der Menge war es cool, ohne Frage, aber wenn ich die Chance hatte, von verschiedenen Punkten aus mir das Konzert anzuhören, dann konnte ich das auch ausnutzen.
„Wenn man es nicht besser wüsste, könnte man ja denken, wir hätten Zuwachs in der Band bekommen", erklang auf einmal Bennis Stimme.
„Wieso?", fragte mein Freund seinen Gitarristen.
„Weil ich gerade zwei Leute neben der Bühne stehen sehe, die mit In-Ear-Monitoring verkabelt werden", erklärte Benni.
Wincent begann zu lachen. „Stimmt. Nur dass Anna nicht die Instrumente und Mikros auf dem Ohr hat, sondern Stefans Mikrofon neben den Bildschirmen."
„Ja. Aber das weiß ja keiner."
„Was wird das denn hier? Kaffeeklatsch?", mischte sich Flo ins Gespräch ein.
So langsam konnte ich die Jungs auseinanderhalten. Wincent hatte das mit mir im Vorfeld schon mit Videos ein wenig trainiert. In der Realität war es nochmal ein wenig schwerer, aber ich hatte es schnell drin.
„Ne. Benni hat gerade beschlossen, dass Anna unser neuestes Bandmitglied ist", erklärte Wincent.
„Hä?", kam es nur von Flo und Wincent und Benni begannen zu lachen.
„Wegen den Kabeln", erklärte ich dem verwirrten Schlagzeuger.
„Achso."
Manni und Manu fehlten noch, aber Nico schickte die anderen Jungs schon auf die Bühne.
„Willst du mitkommen?", fragte Wincent mich.
„Darf ich?"
„Na klar. Du gehörst doch jetzt dazu. Und außer dem Team ist eh noch niemand hier."
„Dann gerne."
Wincent nahm meine Hand und sagte mir an, wie viele Stufen es gab. Anschließend führte er mich über die Bühne und ich bekam ein Kribbeln im Bauch. Ich konnte zwar nichts sehen, aber allein das Feeling reichte aus. So langsam verstand ich, wie Wincent sich fühlte, wenn er abends hier stand und seine Songs sang.
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Bin ich für sie blind?
Fiksi Penggemar„Sag mir, bin ich für sie blind?" Wincent ist verwirrt. Seit seinem Konzert in Berlin, wo Mats Anna kennengelernt hat, scheint sie ihn regelrecht bei seinen Auftritten zu verfolgen. Das zumindest erfährt er von Mats, denn er selbst bemerkt es gar ni...