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Wincent

Unruhig lief ich durch das ganze Haus. Mats hatte sich nochmal kurz bei mir gemeldet. Mein letzter Stand war, dass er bei Anna in der Wohnung stand und nachschauen wollte. Danach nichts mehr. So langsam stieg meine Sorge ins Unermessliche. Er wusste doch, dass ich hier tausend Tode starb, wenn ich weiterhin im Dunkeln tappte.
Ich nahm mein Handy zur Hand und sucht die in den letzten Tagen am häufigsten gewählte Nummer heraus. Es klingelte eine Weile und dann nahm er den Anruf an.
„Ja?"
„Mats!"
„Was gibt's?", wollte er wissen.
„Was wohl. Was hast du herausgefunden?"
„Wince, gerade ist ganz schlecht. Ich bin..." Er brach ab und ich hörte ihn schnaufen. „Fritz!"
„Mats? Alles klar?"
Doch er reagierte nicht und ich zwang mich, ganz bewusst und ruhig zu atmen.
„Sorry, ähm, ich meld mich gleich, okay?"
„Mats! Warte. Bist du alleine mit Fritz draußen?", hake ich direkt nach.
„Ja", schnauft er.
Offenbar klappt das nicht ganz so, wie er will.
„Mach mal dein Handy auf laut", schlage ich ihm vor, denn ich habe eine Idee.
„Warte... So, jetzt. Was nun?"
„Nicht erschrecken. Fritz!"
Wir schweigen kurz und dann höre ich sein Hecheln durch Mats Handymikrofon.
„Wow", kommt es anerkennend von meinem Fotografen.
„Guter Hund. Hast du toll gemacht, Fritz", lobe ich ihn.
„Ey Wince, hör auf. Sonst ist mein Handy gleich weg", mischt sich Mats ein.
„Sorry", lache ich. „Wieso bist du eigentlich mit dem Kerl alleine draußen?"
„Ich dachte, ich schaff das", gab Mats zu.
„Und Anna?"
„Die wollte sich fertig machen. Du weißt schon, duschen und so."
„Hast du sie geweckt?", fragte ich verwirrt.
„Nein. Aber sie wollte bisher icht aufstehen."
„Und ihr Arbeit?"
„Wince, ich habe keine Ahnung. Wir haben erst drei Sätze gewechselt."
„Sorry", murmelte ich. „Ich mach mir einfach nur Sorgen um sie."
„Versteh ich auch alles", beruhigte mich Mats sofort. „Ich verspreche dir, ich passe jetzt gut auf sie auf. Du kannst dich beruhigen, okay? Ich hab hier alles irgendwie im Griff. Wenn ich Zeit habe, melde ich mich und gebe dir die Infos weiter, die ich weitergeben darf."
„Okay. Danke, Mats. Ehrlich."
„Schon gut."
„Wenn du Hilfe oder Tipps brauchst, bitte melde dich, okay? Erster Tipp für Fritz, ich hoffe, er hört nicht mehr zu. Kommode im Flur, zweites Schubfach von oben."
„Alles klar, danke."
„Bis später, Mats."
„Bis dann, Wince. Und fahr mal runter. Hier wird alles wieder."
„Ich versuch's."
„Du schaffst das."
„Mhm."
„Fritz!... Ich muss los. Bis dann", verabschiedet Mats sich.
„Bis dann."
Ich wollte ihn auch nicht weiter nerven, denn Mats konnte ich einfach vertrauen. Daher beschloss ich, mich wirklich mal um meine Arbeit zu kümmern. Jetzt, wo ich wusste, dass Mats sich um Anna kümmerte, konnte ich mich ein wenig besser konzentrieren. Ich schaffte es tatsächlich, einige wichtige Mails zu beantworten. Ganz verdrängen ließen sich die Gedanken an Anna aber nicht, weswegen ich etwas genervt vom Schreibtisch aufstand. Irgendwas musste ich doch auch tun können. Immerhin war sie meine Freundin und nicht Mats.
Ich nahm mein Handy zur Hand und suchte den Chat heraus. Schnell begann ich zu tippen und brauchte einige Anläufe, bis die Nachricht lesbar war.
»Moin Bro. Hast du Zeit?«
Dann legte ich das Telefon zur Seite und ging in die Küche, um mir einen Kaffee zu machen. Ich sah auch kurz in den Kühlschrank. Mit einem Joghurt machte ich es mir ausnahmsweise auf dem Sofa bequem. Es war ja außer mir niemand hier, der es mitbekam.
Als mein Handy eine neue Nachricht ankündigte, sprang ich sofort auf und hätte dabei fast den Becher Joghurt ausgekippt. Etwas unsanft, aber glücklichweise ohne zu kleckern, stellte ich ihn auf dem Couchtisch ab und lief zum Schreibtischy Dort hatte ich mein Handy vorhin abgelegt. Ich entsperrte es schnell und las Marcos Antwort.
»Moin. Schön, von dir zu hören. Was los?«
Ich wollte das nicht über WhatsApp klären.
»Brauch mal jemanden zum Quatschen. Können wir an den Strand?«
Keine Minute später habe ich eine Antwort.
»Zehn Minuten, okay? Und dann habe ich zwei Stunden für dich. Mehr leider nicht.«
Ich atme erleichtert auf. Mit Marco zu reden hilft hoffentlich, nicht komplett durchzudrehen.
»Das reicht vielleicht auch erst einmal. Danke.«

Annalena

Als ich aus dem Badezimmer kam, war Mats scheinbar noch nicht wieder zurück. Ich hoffte, nicht mehr komplett wie eine Leiche auszusehen. Zumindest fühlte ich mich wieder besser. Kaffee oder Tee? Ich entschied mich für Kaffee, in der Hoffnung, dass ich ihn heute trinken konnte, und das Koffein irgendwie half. Mir war bewusst, dass ich Hilfe brauchte und nicht weiter alleine zurecht kam. Und obwohl mir Wincent lieber wäre, hatte ich auch mit Mats kein Problem. Immerhin kannte er ja auch die wichtigsten Infos über meine Vergangenheit. Dennoch hatte ich Angst vor dem Gespräch, was mir bevorstand.
Ich nahm meine Tasse und stellte sie auf dem Couchtisch im Wohnzimmer ab. Dann holte ich Teddy aus dem Schlafzimmer und öffnete das Fenster. Die frische Luft tat mir ganz gut, aber ich trat doch schnell wieder einen Schritt zurück. So wirklich wohl fühlte ich mich irgendwie nicht. Ich nahm noch meine Kuscheldecke mit und machte es mir auf dem Sofa bequem. Kurz darauf hörte ich einen Schlüssel im Schloss.
„Sind wieder da." Mats klang ein wenig außer Atem und es stahl sich ein kleines Lächeln auf meine Lippen.
„Bin im Wohnzimmer", sagte ich und hörte sofort sich nähernde Hundepfoten.
Fritz ließ sich von mir den Kopf kraulen, während ich auf Mats Schritte wartete. Diese kamen dann auch.
„Mats, brauchst du Kaffee?"
„Gerne. Ich kann aber auch..."
„Ich mach das schon. Setz dich." Ich stand auf und ging in die Küche.
Mats schien verstanden zu haben, dass ich solche Kleinigkeiten brauchte. Mit einer gefüllten Tasse ging ich zu ihm zurück und stellte sie vorsichtig auf dem Tisch ab.
„Danke", sagte Mats, als ich mich neben ihn auf die Couch setzte.
Es gab einen kurzen Moment der Stille zwischen uns, aber es war nicht seltsam. Ich sammelte kurz meine Gedanken, aber sobald ich dachte, ich hätte alles im Griff, fuhren sie wieder Karussell. Es war zum Verzweifeln.
„Wie geht's dir?", fragte Mats sanft.
„Ein bisschen besser", antwortete ich, denn das war die einzige Sache, die ich wusste.
„Hast du schon gefrühstückt?"
„Nein."
„Ich auch nicht", gab er zu. „Hast du Eier da?"
„Weiß ich nicht. Bestimmt."
Ich konnte mich nicht mehr erinnern, was ich mit Lara alles gekauft hatte. Es war wie ein schwarzes Loch.
„Ich geh mal nachsehen. Willst du mit in die Küche kommen? Teddy kann auch mit. Der hat bestimmt Bärenhunger."
„Okay."
Ich folgte, mit Teddy auf dem Arm, Mats durch meine Wohnung und Fritz wich mir nicht von der Seite. Vermutlich spürte er einerseits, dass es mir nicht gut ging und andererseits wollte er ganz sicher Frühstück haben. Zumindest das Zweite konnte ich schnell beheben. Während Mats also meinen Kühlschrank inspizierte, holte ich das Futter heraus und füllte Fritz Napf auf.
„Anna? Rührei mit Speck oder ohne?"

Bin ich für sie blind? Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt