Kapitel 2

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Nathan sah, dass sie versuchte dem Drang zu widerstehen, alle ihre Sachen zu packen und davon zu rennen.  Nach einem kurzen zögern warf Serena ihren Blonden Zopf zurück und setzte sich wieder hin. 

Sein feines Gespür fing ihren Duft auf, eine ungewöhnliche Mischung, die er nicht erwartet hatte. Sie roch mehr nach Mensch als nach fremdem Wolf, durchdrungen von einem Hauch von Lavendel und Zitrus, vermischt mit einer süßen unbekannten Note. Außerhalb der Verwandlung meldete sich sein Wolf eher selten bei ihm, doch heute hörte er ihn im Inneren knurren.

"Das ist lächerlich", dachte er sich, und ignorierte das Knurren.

Er lehnte sich vor, langsam, und bedacht. "Die Regeln für das Betreten fremder Territorien klar definiert.", erklärte er leise.

"Ich verstehe nicht...? Was meinen Sie mit Territorien? Ich bin Kanadierin...", erklärte sie zögernd.

"Stell dich nicht dümmer als du bist.", sagte er gedehnt. "Ich spüre deinen Wolf."

Serena spürte die Wucht seiner Autorität und schluckte schwer. Wer war dieser Kerl? Abgesehen davon, dass er attraktiver war, als jeder andere in diesem Raum, hatte er autoritäre Schwingungen, die jedes Mitglieds seines Rudels sicherlich in die Knie zwangen. Von all den Wölfen, denen sie begegnen musste, musste es ausgerechnet einer sein, der sich im inneren Kreis des Alphas befinden musste. 

Bei seiner Aussage spiegelte sich zunächst ehrliche Überraschung in ihren Augen wider, als hätte sie seine Aussage nicht erwartet. Doch dann trat Entschlossenheit in ihren Blick. "Ich habe niemanden verletzt, ich will einfach nur in Ruhe leben", erklärte sie zischend.

"Warum lebst du nicht bei deinem Rudel?", fragte er ruhig.

"Wir haben Differenzen." gab sie abweisend zu.

"Differenzen...", wiederholte Nathan. "Du bist also verbannt..."

"Das geht Sie nichts an."

"Natürlich geht mich das etwas an.", widersprach er ernsthaft, "Du lebst als Abtrünnige mitten auf unserem Territorium. Ohne der Erlaubnis des Alphas bist du Freiwild. Jeder Wolf in Verwandlung kann dich ohne mit dem Auge zu zucken töten,... oder schlimmeres." 

Sie fröstelte bei seinen Worten.

 "Ich komme sehr gut alleine klar."

"Du hattest einfach verdammtes Glück."

"Was kümmert es Sie, ob ich Glück habe oder nicht?" Ihre Stimme klang düster und von einer jahrelangen Verbitterung durchtränkt. Seit Jahren war sie auf sich selbst gestellt. Als Omega hatte sie wenig Unterstützung, wurde gerne ignoriert und wie eine Ausgestoßene behandelt. Ihr Abstieg war tief, nachdem ihre Familie die Hoffnung aufgegeben hatte, dass ihre Wölfin jemals die Verwandlung vollzog. Stattdessen begann sie mehr und mehr nach den Menschen zu riechen, mit denen sie sich umgab.

Die Arme über der breiten Brust verschränkt musterte er sie nachdenklich. "Ich halte es gern einfach und unkompliziert. Und das letzte, was wir hier brauchen, ist ein anderes Rudel, das nach der toten Tochter eines Deltas sucht." Er forderte sie mit einem Blick heraus.

"Sie wissen, wer ich bin.", stellte sie fest. Wie sonst würde er wissen, dass ihr Vater ein Delta war?

Er holte schweigend einen zusammengefalteten Zettel aus seiner Hosentasche und legte sie auf den Tisch. Serena griff danach, und öffnete ihn. Ihre Augen weiteten sich. "Wie sind Sie an meine Bewerbung gekommen?".

"Es war nicht sonderlich schwer. Du hast dich bei mir beworben. Ich erkannte deinen Namen. Mir sind die Namen der hochrangigen Familien und deren Kinder bekannt..", erklärte er ohne zu verraten, woher er sie persönlich kannte. "Mir kommt es sehr recht, dass ich jemanden aus dem Fitzgerald Pack kenne. Demnächst finden einige Transaktionen statt, in denen Fitzgeralds beteiligt sind. Ich möchte mehr über sie erfahren, bevor ich Geschäfte mit Ihnen mache. Als Gegenleistung wirst du gut bezahlt und stehst unter meinem Schutz. Sei mein Schatten, nutze die Informationen, die du über deinen Vater erhalten hattest." 

"Das ist ausgeschlossen." Sie griff nach dem Schal, der am Barhocker hing und zog ihn über ihre Schulter. Sie war sich nicht sicher, ob er sie gehen lassen würde, aber sie konnte sei Angebot auf keinen Fall annehmen.

Seine Stimme war ruhig, aber bestimmt, als er entgegnete: "Ich denke nicht, dass du eine Wahl hast. Du hast unser Gebiet unerlaubt betreten und darin gejagt. Das Rudel wird dich nicht ungestraft ziehen lassen."

"Ich habe nicht gejagt.", wehrte sich Serena, "Mein Wolf ist nie erwacht. Mein Rang ist zu niedrig, als das ich Ihnen helfen kann. Als Wolf bin ich für Sie nutzlos." 

Er sah sie mit zusammengekniffenen Augen an. Nicht sicher ob sie die Wahrheit sprach oder log. Er spielte das Szenario mit. "Umso schlimmer für dich, wenn du das Angebot ablehnst.", stellte er fest. "Du bist schwach und machtlos. Ich biete dir meinen Schutz vor dem Rudel."

Was bildete sich dieser Kerl eigentlich ein, dachte Serena sich. Sie war keine schwächliche Prinzessin, die in ihrem Turm darauf wartete, gerettet zu werden. "Ich bin seit drei Jahren ohne den Schutz eines Rudels ausgekommen. Besser noch, ich halte mich von jeglichen Wölfen und deren Angelegenheiten fern und habe ein perfektes, ruhiges, entspanntes Leben." Sie zog ihre Jacke über und stand auf. 

Er schob den Stuhl zurück und stand mit ihr auf. "Du hattest ein ruhiges Leben.", korrigierte er, "Wie lange wird es dauern, bis der nächste Wolf dich findet? Wir sind mehrere hundert in dieser Stadt." Nathan lächelte, ein düsteres Lächeln, das nicht bis zu seinen Augen reichte. "Der nächste wird dich dem Urteil des Rudels überlassen. Und glaube mir, das ist keine Position, in der du sein willst."

Er schob ihr seine Visitenkarte zu. "Du kannst morgen anfangen. Ich lasse deine Sachen in das Bürohaus bringen. Wir haben Apartments für die Assistenz..."

"Auf keinen Fall.", weigerte sich Serena, "Ich denke darüber nach, aber ich bleibe in meinem Apartment wohnen." Sie nahm seine Visitenkarte.

"Wie du willst.", erwiderte er, seines Sieges sicher. "Wir sehen uns morgen, pünktlich um neun. Sei pünktlich, und bring einen Kaffee mit. Ohne bin ich nicht sonderlich gesellig." Er war im Begriff zu gehen... "Ach und Serena, denke nicht daran abzuhauen. Ich habe deine Fährte aufgenommen. Du wirst keine Chance haben, dich vor mir zu verstecken."

 ♥

Schockiert über das unerwartete Treffen blieb sie noch mehrere Minuten in dem Café stehen, nachdem der Mann das Geld auf den Tisch gelegt und gegangen war. "Was zur Hölle war das denn?", fragte sie sich, als sie auf seinen Namen auf der Visitenkarte starrte. Nathan Harper. Sie erinnerte sich, sich bei Harper Industries beworben zu haben. Also war das Unternehmen in der Hand des Hawthorne Rudels?

Ihr Herz begann schneller zu schlagen, als sie sich vorstellte, was das bedeuten könnte. Wie viele andere Unternehmen gehörten ihnen? Wie groß war das Ausmaß ihrer Macht? Serena kannte den Alpha des Rudels nicht persönlich und konnte nicht einschätzen, wie gütig oder dominant er sein Rudel führte. Es war ja nicht so, als ob sie darüber etwas über Google finden könnte. Alles, was sie wusste, waren interne Informationen ihres Rudels. Und sie war froh genug, sich so wenig wie möglich mit Rudelpolitik auseinander setzen zu müssen. 

Im Grunde genommen konnte sie es fast schon Glück nennen, dass jemand wie Harper sie entdeckt hatte, und sie nicht sofort zum Alpha geschleift hatte. Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende, musste sie unweigerlich denken. Sie musste einen klaren Kopf bewahren und einen Plan entwickeln, um sich dieser neuen Bedrohung zu stellen. War er überhaupt hochrangig genug um sie vor anderen Wölfen zu schützen? Serena musste mehr über ihn erfahren. Und ein Job bei dem Hawthorne Rudel? Immerhin könnte sie sich dann endlich wieder Strom und Internet leisten, überlegte sie sich. Es gab schlimmeres, als für irgendeinen Unternehmenseigner zu arbeiten. Seine Aufforderung, ihm mehr Informationen über das Fitzgerald Rudel zu geben, machte ihr mehr Sorgen.

Aber welche Wahl hatte sie denn? Sie dachte an Nathan Harpers Worte. "Du wirst keine Chance haben, dich vor mir zu verstecken." Er hatte die Worte mit einer Ernsthaftigkeit ausgesprochen, dass sie keinen Zweifel daran hatte, dass er diese Worte in Taten umsetzen würde, wenn sie ihre Sachen packen, und verschwinden würde. 




Rising Omega: Die Versuchung des AlphaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt