Kapitel 46

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Nathan erwachte in völliger Dunkelheit. Selbst sein scharfer Blick, den er als Alpha hatte, half ihm nicht, die Finsternis zu durchdringen. Ein dumpfer Schmerz pochte in seinem Kopf, und als er sich bewegte, spürte er, dass er in seiner Bewegung massiv eingeschränkt war. Kalte Fesseln hinderten ihn daran, aufzustehen und sobald er sich bewegte, klirrte das Metall in der Stille. Was zur Hölle machte er gerade hier?

Er lehnte an einer feuchten, kalten Wand, und versuchte seine Erinnerung wieder zu finden und die letzten Ereignisse drängte sich schmerzhaft in sein Bewusstsein. 

Gerade wollte Nathan noch mit der Vorbereitung auf die Zeremonie beginnen, als die Nachricht von einer neuen Spur des Angreifers kam. In Corvinas Zimmer wurde Blut eines fremden Wolfes gefunden. Nathan hatte sich mit Alex dessen angenommen und war der Spur durch die Stadt bis in die Wälder gefolgt. Sie waren tief in die Wälder außerhalb Vancouvers eingedrungen, wo das Tageslicht in der Dämmerung kaum noch sichtbar war. Doch etwas war schiefgelaufen. Nathan versuchte, sich zu erinnern, aber seine Gedanken waren wie vernebelt. Er hatte im Wald etwas gehört. Ein Schuss? Ja, ein Schuss musste es gewesen sein. 

Nathan versuchte, seine Erinnerungen zusammenzufügen. Die Jagd im Wald war intensiv gewesen. Sie hatten die Spur des Angreifers verfolgt, durch dichtes Unterholz und über unwegsames Gelände. Die Geräusche der Nacht hatten sie begleitet, das Rascheln der Blätter, das entfernte Rufen der Tiere. Sein Instinkt hatte ihn weitergetrieben, immer weiter, bis sie auf eine Lichtung gekommen waren. Dort hatten sie die Überreste eines Lagers gefunden, und die Spur hatte abrupt geendet.

Der Schmerz, dann die Ohnmacht. Jemand hatte ihn mit einem Betäubungsgewehr erwischt. Die einzige Möglichkeit, einen Alpha in Rage aufzuhalten, war es, ihn aus weiter Entfernung zu treffen, mit einer so starken Dosis, dass er nicht die Möglichkeit hatte, sich zu rächen. Danach war er hier aufgewacht.

Er schloss die Augen und versuchte, sich auf seine Sinne zu konzentrieren. Der modrige Geruch des Verlieses drang in seine Nase, vermischt mit dem metallischen Duft von Blut und dem feuchten Erdgeruch. Er runzelte verwirrt die Stirn. Es roch nach den Wäldern Zuhause, also musste man ihn wieder zum Rudelhaus oder zumindest in dessen Nähe gebracht haben.

Ein Geruch, der ihm vertraut, aber nicht lange bekannt war erfüllte den Raum. Richard. Es musste Richard sein, der ebenfalls im Raum war. Als Nathan versuchte genauer hinzuhören, erkannte er  einen schwachen Atem und keine Bewegung, die ihm nahe war.  Er schien geschwächt, genauso wie Nathan hatte ihn vermutlich jemand betäubt. Nathan selbst war nicht fähig, sich zu verwandeln um den Fesseln zu entkommen. Sein Wolf war verletzt,  der Schuss hatte eine Wunde hinterlassen und der Fluch war nach der gestrigen Nacht wesentlich stärker geworden, sodass es ihm schwerer fiel, seinen Wolf zu erreichen. Er wusste, dass er schnell handeln musste, um sich zu retten, um denjenigen, der ihm das angetan hatte, zu zerstören um zu seiner Luna zurückzukehren. Der Gedanke an sie erfüllten ihn mit einer Mischung aus Trauer und Wut. Er hatte sie sitzen lassen, um den Täter zu fassen, ohne sie noch einmal gesehen zu haben. Er betete zu der Mondgöttin, dass sie nicht daran dachte, er hätte sie einfach so vor der Zeremonie sitzen gelassen. 

Er atmete tief durch und konzentrierte sich auf seine Umgebung. Jeder kleine Hinweis, jeder noch so winzige Geruch könnte ihm helfen, einen Weg aus dieser Misere zu finden. Der modrige Geruch des Verlieses war stark, aber darunter konnte er den schwachen Hauch von frischer Luft wahrnehmen. Es musste einen Ausgang geben, irgendwo in der Nähe. Er musste nur einen Weg finden, sich zu befreien. Weiter entfernt nahm er einen Hauch von Lavendel und Rosenduft wahr.  Seltsam, denn es war gar nicht Blütezeit. 

Sein Herz setzte einen Schlag aus. Dieser Duft war mit dem Duft seiner Luna vermischt. Serena. Sie war hier gewesen. Die Erkenntnis traf ihn wie ein Schlag. Hatte man sie auch gefangen genommen? Waren sie zusammen in diesem Albtraum gefangen? 

Er überwand seine Mundtrockenheit und rief ihren Namen, erst rau, dann stärker. Doch es reagierte niemand. Er bewegte sich panisch in den Ketten, und riss mit voller Kraft an ihnen. Aber als Mensch konnte er nichts gegen diese ausrichten.

Plötzlich ging ein schwaches Licht an, das den Raum in ein düsteres, schummriges Leuchten tauchte. Nathan blinzelte und versuchte, seine Augen an die plötzliche Helligkeit zu gewöhnen. Panisch blickte er sich um und erkannte die Umrisse von Richard, der zusammengesackt in einer Ecke des Raumes lag. Sein Atem war flach und schwach, sein Gesicht blass und von Schmerz gezeichnet.

Nathan's Blick wanderte weiter, bis er auf Serena fiel, die im Verließ gegenüber eines Ganges lag. Sein Herz zog sich schmerzhaft zusammen bei dem Anblick. Ihr langes, weißes Kleid von der Hochzeitszeremonie war eingedreckt und zerrissen, die einst makellosen Stoffbahnen waren nun verschmutzt und zerfetzt. Ihr Körper war unbequemerweise verdreht, als hätte man sie achtlos hingeworfen. Ihre wunderschönen, kunstvoll zusammengesteckten Haare hingen teilweise in einer schmutzigen Pfütze, die sich auf dem Boden des Verlieses gebildet hatte. Ihre Corsage blitzte aus ihrem Kleid hoch und entblößte mehr, als das Kleid zeigen wollte.

Ihr Gesicht war blass, und ihre geschlossenen Augen wirkten unnatürlich still. Nathan kämpfte gegen die Panik und unbändige Rage an, die in ihm aufstieg. Er rief erneut ihren Namen, diesmal lauter und verzweifelter. Doch es kam keine Reaktion. 

Nathan zog erneut an seinen Ketten, seine Muskeln spannten sich vor Anstrengung und Schmerz. Er konnte es nicht ertragen, Serena so zu sehen. Er musste einen Weg finden, um sie zu befreien.

"Spar dir deine Energie". Nathan lauschte angestrengt in die Dunkelheit, als er plötzlich Schritte hörte. Das dumpfe Klappern schwerer Stiefel hallte die Treppe hinunter. Sein Herzschlag beschleunigte sich, als er sah, wie eine Gestalt in einem schwarzen Anzug mit dunklem Hemd auftauchte. In der Hand hielt der Mann eine Waffe, deren metallischer Glanz im schwachen Licht aufblitzte. 

„Endlich ist einer von euch aufgewacht," sagte Roderick Vale mit einer Mischung aus Spott und Triumph in der Stimme.

Nathan spannte sich an, seine Augen funkelten vor Wut. "Vale...", sagte er seinen Namen Nathan hatte sich schon gedacht, dass er derjenige sein könnte, der sie hier festhielt. "Nur ein schwacher Wolf greift zu solchen Mitteln.", sagte Nathan provozierend, "Lass mich raus und Beweis mir, dass du nicht komplett verweichlicht bist, nachdem du deinen Rang abgegeben musstest." Er wollte Vale um jeden Preis von Serena fern halten. Doch Roderick ließ sich nicht darauf ein. 

Er zeigte mit der Waffe auf Nathan. "Wenn ich du wäre, wäre ich lieber leise.", drohte er Nathan an. Er klappte die Verließtür auf Serenas Seite auf. Sie war nicht einmal abgeschlossen und Serena lag ohne Fesseln darin. Er schob sie etwas mit seinem Stiefel an, sodass ihr Körper sich aus der Seitenlage auf den Rücken legte. Aber sie rührte sich nicht.

Bei diesem Anblick wehrte sich Nathan machtlos gegen die Fesseln. "Du wirst dieses verließ nicht lebend verlassen, Vale.", zischte Nathan. Er würde diesen Mistkerl zerstören, wenn er nur seinen Wolf erreichen könnte.

„Was für eine Verschwendung eines wunderschönen Körpers..." sagte Vale abschätzig und ignorierte Nathans Drohung. Er ging in die Hocke und betrachtete sie genauer. Schob ihr Kleid im Ausschnitt etwas herunter und beobachtete ihren nahezu entblößten Körper. "Vielleicht werde ich ihn nochmal nutzen, bevor ich ihr Leben endgültig beende." Er schob sie nochmal an, griff ihr Kinn fest zu. "Wach auf, Miststück. Ich will, dass du siehst, wie ich deine Familie auslösche."


Rising Omega: Die Versuchung des AlphaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt