Kapitel 7

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Die Luft in Nathans Büro war angespannt. Es war selten, dass Nathan und Alex sich nicht einer Meinung waren. Trotz Alex Zusicherung, nichts mit Serena anfangen zu wollen, schien Nathan noch nicht überzeugt. Nathans Ausdruck war ernst, seine Augen ein Spiegel der inneren Zerrissenheit, die er seit Tagen zu verbergen suchte. 

"Ich werde mich vorerst von den Büroangelegenheiten fern halten. Es ist keine Gute Idee, wenn ich mich vor dem Vollmond noch weiter einspannen lasse. Danach werde ich mich darum kümmern."

"Nichts für ungut, aber du siehst so aus, als würdest du eine Jagd mit dem Rudel vertragen.", schlug Alex vor, " Es ist schon eine Weile her, seit du mit dem Rudel gelaufen bist."

Nathan schüttelte langsam den Kopf, seine Miene starr. "Nein. Ich kann nicht." Er bot keine Erklärung an, warum er sich seit Monaten von den gemeinsamen Aktivitäten des Rudels distanzierte, aber als sein Beta respektierte Alex das. Als sein Freund wollte er ihn wiederum kräftig durchschütteln. Damit schadete Nathan nicht nur sich selbst sondern baute seit Wochen unnötige Unruhen im Rudel auf. Es gab einige Wölfe, die dies als Gelegenheit nutzten, ihre Position im Rudel zu stärken. Aber Alex sah an dem Ausdruck seines Alphas, dass es keinen Zweck hatte, hierzu zu diskutieren. Er kannte ihn viel zu gut dazu. Ihm blieb also nur der Abzug.

Als Nathan allein in seinem Büro zurückblieb, versank er in tiefes Nachdenken. Er wünschte sich, er könnte die Anziehung, die sein Wolf zu Serena verspürte, einfach ignorieren. Doch es war unmöglich; sein Wolf war wie besessen von ihr. Es wäre einfacher, er würde sie sich einfach nehmen und damit den Wolf besänftigen. Doch seine menschliche Seite weigerte sich, diesem Trieb zu folgen auch wenn er fürchtete, dass sich an dieser Anziehung erst einmal nichts ändern würde.

Er wusste, dass er in den kommenden Tagen, abseits des Rudels und der alltäglichen Ablenkungen, Klarheit über seine Gefühle und die Verbindung seines Wolfs zu Serena finden musste. Bis dahin würde er  ihr und Alex aus dem Weg zu gehen. Er brauchte nicht noch eine Konfrontation, die seinen Wolf zum Ausbruch animierte. 

Er könnte zwar die drastische Entscheidung treffen, sie zu entlassen und aus Vancouver zu verbannen, doch dadurch würde er einen wichtigen Trumph einbüßen, den er für die bevorstehende Geschäftsreise mit den Alphas in den Vereinigten Staaten strategisch ausspielen konnte. Mehr noch, Nathan konnte nicht ignorieren, dass die Entfernung zu Serena möglicherweise nicht die ersehnte Linderung bringen würde. Sein Wolf würde es ablehnen sie ziehen zu lassen. 

Am Tag nach dem beunruhigenden Vorfall mit Nathan blieb Serena zuhause, unfähig, ihre Gedanken von dem zu lösen, was geschehen war. Sie saß in ihrer kleinen, aber gemütlichen Wohnung, umgeben von der Stille, die nur von dem gelegentlichen Knarren des alten Holzfußbodens unterbrochen wurde. Ihre Gedanken kreisten unentwegt um die Ereignisse der vergangenen Nacht, insbesondere um den Moment, in dem Nathan den Wolf in sich freigelassen hatte.

Serena war wütend auf ihn, aber diese Wut vermischte sich mit einer tiefen Unruhe. Dass er versucht hatte, sie zu markieren, empfand sie als eine Verletzung ihrer persönlichen Grenzen. Wenn sich Gefährten gegenseitig markierten, geschah dies ganz natürlich, und konnte das romantischste in einer Beziehung zwischen zwei Wölfen sein. Aber sie ohne diese Verbindung zu markieren, erst recht, wenn sie aus einem anderen Rudel stammt,  war in etwa so als ob er sie als seine Trophäe betrachten würde, die er ohne jegliches Einverständnis für sich beanspruchte, ein Akt der Übernahme, der nicht nur ihre Freiheit, sondern auch ihre Identität zu untergraben drohte. Diese Vorstellung ließ sie erschauern. Es war ein Akt der Dominanz, der in ihr tiefste Beunruhigung beschwor.

Doch inmitten dieser wirbelnden Gedanken kehrte sie immer wieder zu dem kurzen, flüchtigen Moment zurück, als er sich herabgebeugt hatte, als ob er sie küssen wollte. Der Ausdruck in seinen Augen – intensiv, durchdringend, und doch irgendwie zärtlich – hatte sich in ihr Gedächtnis eingebrannt. Dieser Blick hatte etwas in ihr geweckt, eine Sehnsucht, die sie nicht zu benennen wagte. Hätte sie ihn erwidert, wenn er tatsächlich versucht hätte, sie zu küssen? Ein Teil von ihr schrie empört auf bei dem Gedanken, einem solchen Impuls nachzugeben. Doch ein anderer, heimlicher Teil gestand sich ein, dass Nathans Anziehungskraft auf sie unwiderstehlich war. 

Serena war sich der außergewöhnlichen Stellung Nathans durchaus bewusst; er stand nicht nur als ein gewöhnlicher Mann vor ihr, abgesehen davon, dass er sie angestellt hatte, war er  als Alpha ein Werwolf von beträchtlicher Macht. Im Gegensatz dazu sah nicht nur sie sich selbst als eine Außenstehende, eine Omega von geringem Stand, in deren Augen die einzige zugewiesene Rolle in ihrer Verbindung zu ihm die einer Mätresse war – eine Vorstellung, die für sie absolut inakzeptabel war.

Was für dämliche Gedanken, kritisierte Serena sich innerlich. Ihre Mutter hatte als stolze Gefährtin eines Deltas gelebt, bis zu ihrem tragischen Tod, woraufhin ihr Vater nicht lange gezögert hatte, sie durch eine andere Frau zu ersetzen. Der Gedanke daran, dass ihre Mutter sie irgendwann als Mätresse sehen könnte, ließ sie innerlich erschaudern. Serena war fest entschlossen, sich niemals mit weniger als ihrem Gefährten zufrieden zu geben, auch wenn sie diesen Gedanken schon lange hinter sich gelassen hatte. Die Realität ihres Lebens als eine ohne erkennbaren Gefährten hatte sie akzeptiert, und sie fand Frieden in dem Gedanken, alleine oder mit einem Menschen ihren Weg zu gehen.  Die Idee, jemandes Besitz zu sein, jemandes zweite Wahl, war ihr zuwider. Sie wollte auf eigenen Beinen stehen, ihr eigenes Leben führen.

Der Tag verging träge, und die Langeweile begann, sich in Serenas Gemüt einzunisten. Mit dem nahenden Vollmond fühlte sie sich unsicher, nach draußen zu gehen, wissend, dass die Stadt von einer anderen, wilderen Energie durchflutet sein würde. Also entschied sie sich, die Zeit in der Sicherheit ihres Zuhauses zu verbringen. Sie hatte sich für maximale Bequemlichkeit entschieden: eine graue Jogginghose, die weich an ihren Beinen schmiegte, ein weißes, bauchfreies Tanktop, das ein wenig Haut zeigte, und einen kuscheligen, passende Sweatjacke, die ihre Schultern in wohlige Wärme hüllte. Ihre Haare hatte sie in einen lockeren Zopf gebunden und die Haare mit einem Frotteehaarband aus der Stirn geschoben. 

Als die Nacht hereinbrach, hatte sie sich etwas zu essen bestellt und Netflix eingeschaltet, bereit, einige ihrer alten Lieblingsserien zu schauen. Das vertraute Intro einer ihrer Favoriten füllte den Raum, als plötzlich das Klingeln der Tür ihren gemütlichen Abend unterbrach. Serena erwartete den Lieferdienst und erhob sich, um die Tür zu öffnen, bereit, ihr Abendessen in Empfang zu nehmen. 

Rising Omega: Die Versuchung des AlphaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt