Kapitel 4

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Serena ließ sich erschöpft auf ihr Sofa fallen, die Beine zitterten noch von dem langen Tag, der hinter ihr lag. Die kleine Wohnung, die sie ihr Zuhause nannte, war still und dunkel, bis auf das sanfte Summen des Kühlschranks und das Rauschen der Straße vor ihrer Wohnung. Sie seufzte müde, während sie das Mikrowellenessen aufwärmte, eine simple, aber tröstliche Mahlzeit nach einem Tag, der alles andere als einfach war.

Dieser neue Job, voller Menschen engte sie ein, war ungewohnt und überwältigend. Sie war nicht mehr an so viele Menschen in einem Raum gewohnt. Die Highheels, hatten ihre Füße den ganzen Tag gequält. Jetzt, befreit von ihnen, umhüllten warme Socken ihre Füße, während sie in eine bequeme Jogginghose und einen weichen Pullunder schlüpfte.

Serena konnte es kaum glauben. All die Jahre hatte sie versucht, ihm aus dem Weg zu gehen, und jetzt stand sie ihm gegenüber: Er war der Alpha. Rückblickend erschienen ihr seine überheblichen Manieren, die Art und Weise, wie er stets für das ganze Rudel zu sprechen schien, als klare Anzeichen seiner wahren Position. Eine solche Autorität, direkt im Namen des Rudels zu sprechen, war normalerweise nicht jemandem unterhalb eines Alphas vorbehalten, weder einem Gamma noch einem Delta. Nun, da sie seine wahre Identität kannte, wurde ihr bewusst, dass es kein Entkommen für sie gab. Ihr Verschwinden würde ihn so dermaßen beleidigen, dass er sie bis zum Ende ihrer Tage suchen würde. Schweren Herzens akzeptierte sie ihre aktuelle Situation. Sie würde sich davon nicht unterkriegen lassen, auch wenn sie dieses Problem noch nicht lösen konnte.

Mit einem Teller in der Hand sank sie in die Kissen ihres Sofas, bereit, einen Moment der Ruhe zu genießen, als ihr Handy vibrierte. Nathans Name leuchtete auf dem Display – ein Anruf, den sie sowohl erwartet als auch gefürchtet hatte. Seine Stimme war kühl, seine Anweisung klar: Sie sollte sofort ins Büro kommen. Es gab Unterlagen im Archiv, die er benötigte. Ein offensichtlicher Vorwand, ihre Widerworte zu bestrafen.

Trotz der Müdigkeit, die in ihren Knochen pulsierte, stieg ein Funke des Trotzes in ihr auf. Sie würde sich nicht so leicht unterkriegen lassen. Nicht von ihm, nicht von dieser neuen Situation.

Sie tauschte die warmen Socken gegen Sneaker, griff ihren Autoschlüssel und machte sich auf den Weg zurück ins Büro. Die nächtlichen Straßen Vancouvers waren nicht mehr so voll wie bei Tag aber immer noch belebt. Bei ihrer Ankunft war das Gebäude still, fast gespenstisch. Nur  das flackernde Licht des Sicherheitsdienstes beleuchtete die Flure. Der Mann in der Uniform leuchtete sie an, kontrollierte ihren Ausweis und lies sie durch bis zum Archiv. Etwa eine halbe Stunde hatte es gedauert, bis sie alles beisammen hatte. Sie war angespannt und genervt, übermüdet zugleich.

Als Serena sein Büro betrat, spürte sie sofort die Veränderung in der Atmosphäre. Die sonst so angespannte und geschäftige Umgebung schien für einen Moment stillzustehen. In ihren Händen hielt sie die Unterlagen, die Nathan von ihr verlangt hatte. Sie trat an seinen Schreibtisch heran und reichte ihm die Papiere. 

"Ich bin nicht Ihr Dienstmädchen, das 24/7 verfügbar ist.", erwiderte sie, "Ist das klar?"

"Nein.", sagte er ruhig. 

Nathan schob seinen Stuhl nach hinten und ging um den Tisch ohne die Papiere an sich zu nehmen. Also legte Serena die Papiere auf den Tisch direkt neben seine Krawatte und sein offenbar schon abgekühltes chinesisches Essen.

Ein unerwartetes Lächeln umspielte seine Lippen. Er war offenbar amüsiert über ihr Outfit, dass anders als ihre morgendliche Arbeitskleidung aussah. Die Jogginghose und der Pullover standen ihr auf eine Art, die er nicht erwartet hätte. Sie wirkte nicht mehr so streng und distanziert, sondern fast schon entspannt in ihrem Aufzug. Wäre da nicht der grimmige Blick, den sie ihm schenkte.

Rising Omega: Die Versuchung des AlphaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt