Kapitel 42

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Serena fühlte, wie die Luft in dem Raum immer schwerer wurde. Der Anblick von Maras schlaffem, blutigem Körper auf dem Boden und die Flut der Emotionen waren zu viel für sie. Sie musste raus, musste Luft holen. Mit einem hastigen Schritt verließ sie den Raum vor allen anderen, ihre Bewegungen getrieben von einem inneren Drang, der Beklemmung zu entkommen. Am Ende des Korridors fand sie ein Fenster und öffnete es weit, ließ die kühle Nachtluft in ihr Gesicht strömen. 

Die Erkenntnis, dass jemand aus dem Wald gekommen war, um Nathans Luna zu töten, oder zumindest jemanden, von dem er dachte, sie sei Nathans Luna, jagte ihr einen kalten Schauer über den Rücken. Sie schloss die Augen und versuchte, die Bilder aus ihrem Kopf zu verbannen.

„Ich will, dass alles beseitigt und gereinigt wird", hörte sie Nathan zu Alex sagen, als die beiden den Raum verließen. „Sorg dafür, dass dieses verfluchte Zimmer grundsaniert wird. Ich will alles, was diese Hexe je berührt haben könnte, aus meinen Apartments haben."

Serena drehte sich um und sah Nathan auf sich zukommen. Er wirkte erschöpft, seine Schultern schienen angespannt, und in seinen Augen lag eine tiefe Müdigkeit und eine unterdrückte Wut. Sie bemerkte, wie er um Fassung rang.  „Lass uns gehen", sagte er ohne die Miene zu verziehen.

Sie folgte ihm zum Auto und stieg ein. Die Fahrt zu ihrem Apartment verlief in tiefem Schweigen und doch schien die Luft zwischen ihnen von unausgesprochenen Gefühlen und Gedanken geradezu zu vibrieren. Der Tag fühlte sich an, als würde man ihnen keine Atempause gönnen. 

Es passierte alles Schlag auf Schlag und die neueste Erkenntnis um Corvina... oder besser gesagt Mara war für Nathan nicht weniger schockierend, wie Serenas Erkenntnis, dass Richard nie ihr Vater gewesen war. 

Nathan parkte das Auto am Seitenrand und ließ Serena aussteigen. Als sie ihren Schlüssel aus der Handtasche herausholte, ergriff Nathan diesen, lief zum Haus und öffnete für sie die Haustür und Appartementtür. Er blickte sich um, als würde er kontrollieren wollen, ob jemand fremdes im Appartement war. Als er jeden Raum überprüft hatte, schien ein Teil der Sorgen von ihm abzufallen. Serena lehnte sich an die offene Appartementtür und beobachtete ihn. Er kochte innerlich. Das konnte sie an seinen angespannten Kieferknochen und seinem abwesenden Blick erkennen. Aber er schien das vor ihr verbergen und nicht darüber reden zu wollen. 

Er zog seine Schuhe aus und warf sie in die Ecke wo ihr Schuhschrank stand und fiel dann stöhnend aufs Sofa, als wäre er endlich zuhause angekommen.

Serena hob die Augenbraue und sah zu, wie er seine Krawatte lockerte und es sich gemütlich machte. 

"Ich nehme an, du hast vor, hier zu bleiben?", fragte sie, zog ihre High Heels aus und stellte diese zu seinen. Dann trat sie ein und schloss die Tür des Appartements.

"Ich lass dich nicht allein, während ein Mörder hier herumrennt und meint, meine Luna töten zu wollen." Er sah sie ernst an. "Wir werden ihn finden und zur Rechenschaft ziehen."

Hatte er sie gerade Luna genannt?, fragte sich Serena. War er immer noch in der Farce, die sie für Wentworth und Fitzgerald gespielt hatten? Sie konnte es nicht einschätzen.

 "Du weißt, dass ich nicht mehr so schutzlos bin, wie zu Anfang?", fragte Serena ihn, "Ich kann mich jederzeit verwandeln."

"Keine Ahnung, mit wem wir es zu tun haben, Serena. Das Video zeigt mehrere Angreifer und Mara war eine mächtige Hexe. Sie hätte sich gegen einfache Angreifer wehren können, was sie nicht getan hatte."

"Vielleicht kannten sie sich...", überlegte Serena laut. 

"Wir hatten auf Kameras in den Schlafräumen verzichtet... wir haben den Mord nicht auf Kamera.  Aber es gab schon einen Angriff bevor Corvina aufgetaucht war, bei deiner Zeremonie. Es ist also anzunehmen, dass nicht Corvina persönlich der Grund für den Angriff war. "

"Was denkst du?", fragte sie.

"Ich sollte eigentlich um Corvina trauern, denn ich war vernarrt in sie. Doch mein einziger Gedanke ist, dass ich ohne diesen Angriff - ohne ihren Tod - vielleicht niemals herausgefunden hätte, dass sich Mara dahinter verbarg, dass sie mich hintergangen und manipuliert hatte.", er wandte seinen Kopf voller Bedauern zur Seite um Serena nicht mehr ansehen zu können. 

"Ich habe dich auf egoistischste Weise verletzt und dich verlassen für eine Hexe, die mich um den Finger gewickelt hatte.", zischte er voller Wut auf sich selbst. "Ich hatte es nicht erkannt. Ich hatte weder mein Rudel noch mich davor schützen können."

Mit leisen Schritten näherte sie sich ihm, kniete sich vor ihm nieder und legte sanft ihre Hände auf seine. Sie spürte, wie er vor Überraschung leicht zusammenzuckte, doch er hob den Kopf nicht.

 Langsam schob sie sein abgewandtes Gesicht zu sich, ihre Finger berührten sanft seine Wange, als sie seinen Blick einfing. „Du hast mich gerettet, Nathan", flüsterte sie, ihre Augen suchten seine und versuchten, den Schmerz und die Schuld zu lindern, die sie darin sah. "Mara konnte nur an unser Blut gelangen, weil du mich heilen wolltest. Sie hat meine Situation missbraucht um an dich heran zu kommen. Ich kann dir nicht vorwerfen, dass du auf sie hereingefallen bist. Du hast an mich geglaubt, als ich niemanden sonst hatte. Das zählt mehr als alles andere."

"Du kannst mir nicht einfach so vergeben, Serena.", sagte er ernst.

"Es gibt nichts zu vergeben. Du bist ein freier Mann und selbst wenn du mit Corvina als deiner Luna zusammen geblieben wärst. Es ist nicht mein Recht darüber zu urteilen. Ich habe dir meine Gefühle offenbart, weil ich sie dir mitteilen wollte, nicht weil ich etwas von dir dafür erwarte."

Rising Omega: Die Versuchung des AlphaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt