Kapitel 12

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Serena stand in ihrem Zimmer, umgeben von dem sanften Zwielicht, das durch die Vorhänge fiel, und packte ihre Tasche für die bevorstehende Reise. Vor ihr auf dem Bett lagen Notizen verstreut, Seiten gefüllt mit Beobachtungen und Details, die sie aus dem Dossier der ehemaligen Assistenz zusammengetragen hatte. Jeder Name, jedes Rudel, das sie erwähnte, war mit einer präzisen Bemerkung versehen.

Da war Aric Vandermeer, Alpha des Nordlicht-Rudels, bekannt für seine ungewöhnlich friedfertigen Methoden der Konfliktlösung. Sie erinnerte sich, wie ihr Vater ihn einmal als den "Diplomaten unter den Wölfen" bezeichnet hatte. Doch in den Unterlagen fand sie Hinweise auf eine Reihe von Investitionen in Biounternehmen, die Fragen aufwarfen. Warum interessierte sich ein so traditioneller Alpha für derartige Engagements? Sie waren eher Landwirte.

Ebenso war da Leandra Silvers, Alpha des Nelson-Rudels, eine Frau von beeindruckender Präsenz und Charisma. Serena hatte sie ein paar seltene Male getroffen und war jedes Mal von ihrer Aura fasziniert gewesen. In den Notizen stand, dass mehrere ihrer Rudelmitglieder unerwartet ihre Positionen gewechselt hatten. 

Und dann war da Marcus Fenrir, Alpha des Durand-Rudels, dessen Ruf der Stärke und Entschlossenheit ihm vorausging. Serena hatte Geschichten über seine erbarmungslosen Taktiken gehört. In den Akten fand sie Hinweise auf geheime Verhandlungen mit rivalisierenden Rudeln. 

Während sie ihre Notizen durchging, konnte Serena nicht umhin, sich Gedanken über die Reise zu machen, insbesondere über die Tatsache, dass sie diese mit Nathan antreten würde. Seit seiner Verwandlung hatte er sich kaum einen Moment für sie genommen, ging ihr, so schien es, bewusst aus dem Weg. Sie verstand es – seine Verantwortung als Alpha, die Last der Firma, die auf seinen Schultern lag –, dennoch konnte sie das nagende Gefühl nicht abschütteln, ihn sehen zu wollen. Seinen Wolf in ihrer Nähe zu spüren. Es war ein törichtes Gefühl, eines, das sie sich nicht erklären konnte, doch es war da und wurde mit jedem Tag stärker.

Sie fühlte eine Unsicherheit und fragte sich, wie Nathan auf ihre Anwesenheit reagieren würde, insbesondere jetzt, nach dem Vollmond. Er war ziemlich enttäuscht und wütend davon gerauscht, nachdem sie sein Angebot, ein Teil des Rudels zu werden abgelehnt hatte. Nicht, weil ihr Nathans Rudel oder seine Führung missfielen, sondern weil in ihrem Herzen eine tiefe Unsicherheit und ein Zögern genährt wurden, sich an ein neues Rudel zu binden, ihre Freiheit und Unabhängigkeit möglicherweise aufzugeben. Das Wissen, dass sie Nathan enttäuscht hatte, lastete schwer auf ihr, ließ sie zweifeln und unsicher fühlen, auch wenn sie oft tough nach außen wirken wollte. Die bevorstehende Reise, die sie gemeinsam antreten würden, warf Schatten der Unsicherheit auf, wie sie miteinander umgehen würden, welche Dynamik sich zwischen ihnen entfalten würde.


Als Nathan vor Serenas Tür hielt, war der Himmel bereits von den sanften Farben des frühen Abends durchzogen. Er saß in seinem großen dunklen SUV, der Raum im Inneren des Fahrzeugs wirkte beinahe erdrückend vor Stille. Der Motor lief leise, während sein Fahrer ausstieg um Serenas Gepäck zu verladen. Mit einer ruhigen Bewegung öffnete Nathan von innen die hintere Tür, ein stilles Einladungszeichen an Serena, einzusteigen.

Zögernd, mit einem Hauch von Unsicherheit in ihren Bewegungen, stieg Serena ein. Nathan, in sich gekehrt, schien kaum Notiz von Serena zu nehmen. Seine Augen waren auf sein Handy gerichtet, oder sie schweiften nach draußen, verloren in Gedanken oder der sich verändernden Landschaft. Gelegentlich griff er zum Telefon, seine Stimme ein gedämpfter Ton im Raum, während er sprach. 

Sie mochte seine Stimme. Sie hatte einen tiefe Bariton, der zugleich beruhigend und befehlend sein konnte.  Es gab Momente, in denen sie fast meinte, eine sanftere Nuance zu erkennen, eine Wärme, die nur selten zum Vorschein kam. 

Serena, ihren Blick in die Akten vertieft, die sie auf dem Schoß ausgebreitet hatte, versuchte, ihre Nervosität zu ignorieren. Die Seiten flüsterten unter ihren Fingern, gefüllt mit Informationen, die sie auf das Treffen der Alphas vorbereiten sollten. Und doch, trotz ihrer Konzentration auf die Dokumente, war sie sich Nathans Gegenwart im Auto schmerzlich bewusst. Seine Nähe, die Wärme, die von ihm ausging, schaffte es auf seltsame Weise, sie zu beruhigen, ihr ein Gefühl der Sicherheit zu geben, auch wenn er selbst so unnahbar schien.

Die Fahrt zog sich in die Länge, Kilometer um Kilometer entfaltete sich vor ihnen, während der Wagen gleichmäßig über die Straße glitt. Sie spürte, wie die Müdigkeit in ihren Gliedern wuchs, wie ihre Augen schwerer wurden mit jedem Moment, der verging.

Schließlich, ohne dass sie es richtig merkte, gab ihr Körper dem Drang nach Schlaf nach. Ihr Kopf neigte sich zur Seite, fand unerwartet Halt an Nathans Schulter. Ein Moment des Zögerns, eine Sekunde, in der die Zeit stillzustehen schien, und dann gab sie sich dem Schlaf hin. Nathan, überrascht von der plötzlichen Nähe, versteifte sich kurz. Doch dann, als wäre eine Entscheidung in ihm gefallen, entspannte er sich langsam, ließ zu, dass Serena an seiner Schulter ruhte.


Rising Omega: Die Versuchung des AlphaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt