Kapitel 17

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Serena trat aus der kühlen Abendluft in die wohl temperierte Lobby des Hotels und ihr Atem bildete kleine Wölkchen in der Kälte. Auch wenn Nathan ihr angeordnet hatte, im Hotelzimmer zu bleiben, spätestens am späten Nachmittag hatte sie es nicht mehr ausgehalten und musste sich draußen die Beine vertreten. Die frische Luft hatte unglaublich gutgetan. Sie war nervös. Das Treffen mit den Alphas ging schon den ganzen Tag und sie hatte von Nathan kein einziges Lebenszeichen gehört.

Sie strebte den Aufzug an und fuhr hinauf zu ihrem Stockwerk, die Gedanken wirbelten in ihrem Kopf. Es wäre nicht das erste Mal, dass Alphas bei einem Treffen in einen Hinterhalt geraten sind und verraten wurden. Wenn auch sie den Alpha der Wentworths nicht so einschätzte. Sie hoffte nur, dass es Nathan gut ging. Nach gestern waren ihre Gefühle mehr als aufgewühlt. Sie waren erdrückend und sie spürte immer noch seine Finger auf ihrer Haut, als hätte sich seine Bewegung in ihre Haut eingebrannt.

Als sie den Flur entlangging und ihre Zimmertür erreichte, zog sie die Karte durch den Schlitz, doch die Tür summte nur und verweigerte den Zugang. Frustration baute sich in ihr auf; das letzte, was sie jetzt gebrauchen konnte, waren technische Schwierigkeiten, nachdem sie ohne Nathans Zustimmung das Zimmer verlassen hatte. Sie versuchte es erneut, doch ohne Erfolg.

Plötzlich erschien eine Hand neben ihr und entzog ihr die Karte sanft. „Manchmal klemmt es. Versuch mal, gleichzeitig die Tür entgegen zu drücken", sagte eine tiefe Stimme, die ihr seltsam vertraut vorkam. Serena fuhr herum, die Überraschung und ein Anflug von Besorgnis in ihren Augen. Ihr Blick traf auf einen Mann, der lächelnd vor ihr stand. 

Ihre Verlobung war eine Ewigkeit her, dennoch erkannte sie ihn sofort - seine wilden Züge, die einst so vertraut waren und jetzt eine Mischung aus Panik und Schmerz in ihr weckten. Er war kaum gealtert, sein Gesicht noch immer das eines ungestümen jungen Mannes, das sie einst so angezogen hatte. Doch jetzt, in diesem Moment, fühlte sie sich wie in einer Falle.

„Serena", sagte er, und sein Tonfall war weich, fast zuckersüß, was ihre Panik nur noch verstärkte. 

"Rick...", hauchte sie erschrocken. 

Roderick Vale öffnete ihre Zimmertür, schob, schubste sie fast, in das Hotelzimmer. Er blickte sie von oben bis unten an, lasziv wie immer, sodass sie sich selbst in ihrem grauen unscheinbaren Business Anzug unwohl fühlte. Sie verrenkte die Arme vor der Brust, ohne sich anmerken zu lassen, dass sie zitterte.

"Was zur Hölle hast du hier verloren?", fragte er mit einem süffisanten Lächeln. 

"Das geht dich nichts an.", zischte sie.

Als Serena versuchte, an ihm vorbeizuschlüpfen, blockierte Roderick geschickt den Weg, seine Präsenz einschüchternd und unausweichlich. Sein Lächeln verlor allmählich die Freundlichkeit und nahm eine düstere Note an. "Oder bist du vielleicht hier, weil du endlich auf mein Angebot eingehen willst?", drängte er, seine Stimme tief und provozierend.

Zuerst war sie konfus, dann erinnerte sie sich wieder an den Anruf zum Vollmond. "Du musst aufhören, mich zu belästigen, Rick. Das ist einfach nur erbärmlich. Du hast deine Gefährtin gefunden." Sie erinnerte sich nur zu gut daran.  Sie war achtzehn gewesen, voller Träume und Pläne für eine Zukunft, die ihr von anderen vorgezeichnet worden war. Ihre Verlobung mit Roderick Vale, dem Sohn des Betas der Wentworths, war seit sie 14 war geplant und arrangiert worden um die Allianz zwischen den beiden Rudeln zu stärken. Sie hatte ihn bewundert, vielleicht sogar ein wenig geschwärmt für den mutigen jungen Wolf mit den wilden Zügen und dem rebellischen Lächeln.

Doch dann, ganz plötzlich und ohne Vorwarnung, brach er die Verlobung ab. Die Nachricht kam in der selben Woche als sie Geburtstag hatte und in der selben, in der ihr Wolf hätte erwachen müssen. Roderick hatte seine Gefährtin gefunden, eine Frau, die er angeblich liebte und die er heiraten würde. Die Tatsache, dass er Serena aufgab, war mehr als nur ein persönlicher Schlag. Es brach den Vertrag zwischen den Rudeln, zog eine Schneise der Schande nicht nur durch ihre Familie, sondern durch das gesamte Rudel. Serena war über Nacht zum Gesprächsstoff geworden, der mit herablassendem Mitleid oder offener Verachtung bedacht wurde. Ihre Eltern hatten ihr kaum in die Augen sehen können; ihr Vater, der stets so stolz auf sie gewesen war, verbarg seine Enttäuschung hinter einer Fassade stoischer Ruhe, während ihre Mutter, die damals schon schwer krank war, sich in Tränen und stumme Vorwürfe flüchtete.

In den Wochen und Monaten nach der aufgelösten Verlobung durchlebte Serena eine Zeit voller öffentlicher Erniedrigung und tiefen persönlichen Schmerzes. Sie ertrug die Schande, die ihr widerfuhr, mit einer resignierten Akzeptanz. Nicht lange nach diesem Ereignis verstarb ihre Mutter, und der darauffolgende Wandel in ihrem Vater, der schnell wieder heiratete und sich stark von seiner neuen Frau beeinflussen ließ, verschlimmerte ihre Lage nur noch. Ihr sozialer Status im Rudel sank auf den einer Omega, sie wurde zur Außenseiterin, ohne jemanden, der ihr beistand. Roderick, mittlerweile verheiratet, hatte sich von ihr distanziert und schien kein Interesse mehr an ihrem Wohlergehen zu haben. Ihr Leben zerfiel, jedes Ereignis ein weiterer Domino-Stein in einer unaufhaltsamen Kette ihres Niedergangs.

Nach ihrer Verbannung aus dem Rudel schien Roderick keine Scham zu kennen. Erst dachte sie, er würde sich um sie kümmern, würde sich bei ihr melden um ihr helfen zu wollten. Er suchte sie wiederholt telefonisch auf, gestand unter Tränen, wie sehr er sie vermisse und sie noch immer brauche. Doch sein Angebot war entwürdigend: Er wollte, dass sie seine Mätresse wird. Trotz seiner Ehe mit einer anderen Frau begehrte er beide — seine rechtmäßige vom Schicksal erwählte Gefährtin und Serena als seine Geliebte. Serena wies sein Angebot jedes Mal zurück. Sie war entschlossen, niemals so weit zu sinken und ihre Selbstachtung für eine solch zweifelhafte Rolle zu opfern.

"Meine Frau hat nichts dagegen, wenn ich unserer Beziehung etwas extra Zucker hinzufüge, wenn du verstehst...", sagte er, ein Grinsen umspielte seine Lippen, während er Serena am Kinn ergriff. Sein Gesicht näherte sich dem ihren, doch sie stieß ihn entschieden weg. "Du bist ekelhaft!", rief sie. "Verlass sofort diesen Raum oder ich rufe die Sicherheitsleute." Sie zitterte am ganzen Körper. Wohin hatte sie sich bloß hinein manövriert... Sie hätte nie hierher kommen dürfen.

Er packte sie erneut am Kinn, diesmal mit spürbar mehr Druck. "Denkst du wirklich, irgendjemand würde sich gegen den Beta der Wentworths stellen?"

"Du, ein Beta?" spottete sie mit unverhohlener Verachtung. "Ich muss deinem Alpha wirklich mein Beileid aussprechen. Eine so klägliche Wahl konnte nur in der Not entstanden sein." Ihre Worte waren scharf wie Klingen, gespeist von der bitteren Ironie der Situation.

"Du, wolfloses, unbedeutendes Ding, hast mir überhaupt nichts zu sagen." Rodericks Stimme war ein tiefes, herausforderndes Knurren, während er mit unverhohlener Herablassung auf sie herabblickte und sie gegen die Hotelzimmerwand stieß. Die kalte Verachtung in seinen Augen war messerscharf. "Aber eine Sache musst du mir verraten," fuhr er fort, seine Lippen fuhren über ihren Hals, sein Blick bohrte sich forschend in ihre Augen, als suchte er nach etwas. "Warum stinkst du nach Nathan Harper?" Seine Frage hing schwer in der Luft, beladen mit Unterstellungen und einer kaum verhohlenen Drohung. "Kein Wunder, hast du mein Angebot abgelehnt. War es einfacher, seine Beine für einen Harper zu..."


Rising Omega: Die Versuchung des AlphaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt