Kapitel 36

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Ein stilles Schweigen hing zwischen ihnen, während die Sonne schleppend aufstieg, aber keiner wollte den Moment beenden. Serenas Ankündigung, nur noch bis zu dem Besuch ihrer alten Familie zu bleiben, setzte Nathan zu. Als Alpha würde er fordern, dass sie im Rudel blieb. Sie sollte nicht das Gefühl haben, ihre neue Familie verlassen zu müssen, nur weil die Mondgöttin entschieden hatte, seine Gefährtin zu offenbaren. Er wollte sie nicht gehen lassen obwohl er wusste, dass er keinen Anspruch auf sie hatte, zumindest nicht mehr als... was auch immer sie für einander gewesen waren. Ein Liebespaar? 

Er hatte das Gefühl, ehrlich mit ihr sein zu müssen. „Meine Gefühle für dich waren echt, Serena. Ich habe dich geliebt... der menschliche Teil meines Lebens tut es noch immer...", offenbarte er, als würde er von einem Gefühl sprechen, das nur noch ein kleines Echo war. "Ich hätte nicht gedacht, dass es etwas gibt, dass dieses Gefühl... dämpfen kann..."

"Warum erzählst du mir das?", unterbrach Serena ihn wütend, ihre Stimme war rau, erstickt. „Es hat keine Bedeutung mehr."

„Weil du mir wichtig bist. Ich will, dass du das weißt.", erklärte er, "ch vermisse deine Gegenwart... Trotz meiner Gefährtin... Ich habe die Zeit mit dir genossen. Mein Wolf... er ist so anders, seit ich eine Gefährtin habe. Ich höre ihn kaum noch."

Serena blickte verletzt zur Seite, ihre Augen suchten etwas im Horizont, das sie nicht finden konnte. Sie wollte seine Worte nicht hören, sie wollte am liebsten wieder davon laufen. 

Serena schüttelte verständnislos den Kopf, Tränen glitzerten in ihren Augen. „Als ich damals an der Lichtung erwacht bin, nach meiner ersten Nacht als Wolf... da hab ich etwas gespürt. Es hat sich angefühlt, als wären wir... als wären wir eins. Als würde nichts anderes von Bedeutung sein." Sie atmete tief durch, versuchte ihre Emotionen unter Kontrolle zu bringen, und lächelte ihn an, als ob sie sich selbst belächeln würde. „Wie dumm von mir, nicht wahr? Ich habe es wohl verwechselt, mit Dankbarkeit, weil du meinen Fluch gebrochen hast."

Nathan sah sie nachdenklich an, ihre Worte hallten in seinem Kopf wider. „Das wäre möglich", sagte er unsicher, seine Augen suchten die ihren. "Es tut mir Leid. Ich wollte dich nicht verletzen."

"Keine Sorge.", sie lächelte tapfer und es fröstelte sie, "Ich komme klar." Sie verwandelte sich, inzwischen mühelos, würdigte ihn keines Blickes mehr und lief zurück in den Wald. 


Der Tag neigte sich dem Abend zu, und die goldenen Strahlen der untergehenden Sonne tauchten Serenas Wohnung in ein warmes Licht. Sie saß vor ihrem Computer, die kuscheligen Jogger, die sie im Wald in einer der Verpflegungsboxen gefunden hatte, schmiegten sich bequem an ihre Beine. Ein dünnes Tanktop vervollständigte ihr entspanntes Outfit und ihre blonden, langen Haare waren zu einem losen Zopf geflochten.

Serena starrte auf den Bildschirm und durchstöberte diverse Jobportale. Sie musste sich schnellstmöglich eine neue Arbeit finden, doch ihre Gedanken schweiften immer wieder ab. Das Bild von Nathans Armband tauchte vor ihrem inneren Auge auf, und sie konnte den Gedanken nicht abschütteln. Er hatte behauptet, dass seine Verlobte ihm das Armband geschenkt hatte. Doch die Tatsache, dass er es auch als Wolf trug, obwohl jeglicher Schmuck und Kleidung bei der Verwandlung abfallen oder zerstört werden, ließ sie nicht los.

Es war ein schwachsinniger Gedanke, der vermutlich aus ihrer Eifersucht entstanden war, sagte sie zu sich selbst. Dennoch war etwas faul an diesem Schmuck und sie gab aus Langeweile die  Beschreibung des Schmuckstücks in die Internetsuche ein. Sie fand kein Bild, das genau passte, aber einige ähnliche Armbänder führten sie zu esoterischen Webseiten, auf denen Menschen versuchten, Magie zu erklären. Meistens lagen sie falsch, doch manchmal hatten die Menschen ein gutes Gespür oder arbeiteten sogar mit Werwölfen zusammen. Natürlich hielt die Mehrheit der Gesellschaft diese Leute für Spinner, weshalb solche Seiten nicht ernst genommen wurden. Aber Wölfe wussten es besser. 

Serena suchte weiter, ihre Neugierde und der leise Verdacht, dass etwas nicht stimmte, trieben sie an. Nach einer Weile stieß sie auf eine Seite über Werwölfe, die relativ nah an der Wahrheit zu sein schien. Sie scrollte durch die Texte und Bilder, bis sie schließlich auf eine kleine Zeichnung stieß. Das abgebildete Armband ähnelte dem, das Nathan trug. Die Beschreibung deutete an, dass Werwölfe mit dem Armband beeinflußt werden könnten. Dies sei aber nur ein Mythos und  mehr Aberglaube als Magie. Man brauchte laut Legenden einpaar Tropfen Blut und ein aufwendiges Ritual, das längst vergessen war. Das Armband war aus speziellen Materialien gefertigt, die in der Lage waren, die Magie einer Hexe umzuleiten und seinen Willen zu beeinflussen. 

Serena lehnte sich zurück und starrte auf den Bildschirm. Es war nur ein Mythos, aber Nathan hatte Kontakt zu einer Hexe. Doch sie hatte nie Kontakt zu seinem Blut gehabt, nur zu Serenas... oder etwa nicht? Sie klappte den Laptop zu. Das war albern. Sie würde sich nicht mehr in diese Angelegenheit einmischen. Nathan hatte sich für eine Gefährtin entschieden und dahinter steckte keine Zauberei. Damit konnte sich Serena nicht trösten. Sie hatte sich wieder auf einen Mann verlassen, und er hatte sie im Stich gelassen. Für jemand anderen. 

"So solltest du nicht denken.", hörte sie eine Stimme. Es war eine weiche, warme Stimme.

Erschrocken blickte sie sich im Raum um, erwartete jemanden dort zu sehen, doch die Wohnung war leer. „Wer ist da?", rief sie, ihre Stimme zitterte leicht. Aber niemand antwortete. Stille umhüllte sie, nur das leise Summen des Kühlschranks war zu hören.

„Ich bin hier", kam die Antwort wieder. 

„Meine Wölfin...", flüsterte Serena überrascht. 

Sie setzte sich langsam wieder auf den Stuhl. Eigentlich hatte sie schon geglaubt, ihre Wölfin sei stumm, dass sie niemals mit ihr sprechen würde, doch jetzt war sie hier, in ihrem Geist, präsent und stark. 

„Ich weiß, dass du dich verloren fühlst, aber du bist nicht allein. Ich bin bei dir.", bestätigte die Stimme, und Serena konnte fast das Lächeln darin hören. 

"Ich hatte dich aufgegeben, weil ich dich nicht gespürt habe.", flüsterte Serena.

"Ich mache dir keinen Vorwurf daraus, Serena. Du hast so viel durchgemacht... und ich konnte nur aus meinem Käfig zusehen. Aber Nathan hat uns befreit. Er hat sein Leben und seinen Wolf riskiert um den Fluch zu brechen, und der Fluch war teilweise auf ihn übergegangen. Kein Alpha würde das für eine schwache, fremde Omega machen."

"Worauf willst du hinaus?", fragte Serena.

"Ich habe seinen Wolf gespürt und dieses Gefühl, dass er unser Gefährte sein könnte. Du irrst dich nicht, ich habe das selbe gefühlt als er den Fluch gebrochen hatte. Aber irgendwas hat es blockiert, und dennoch fühlen wir uns einander Nahe. Vertraue deinem Instinkt, es ist das beste Geschenk, das wir von der Mondgöttin bekommen haben."




Rising Omega: Die Versuchung des AlphaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt