Kapitel 1

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Die Türe sprang auf und mein Vater erschien im Türrahmen. Er sah meine Tränen, meine Wunden und meine Verzweiflung. Ohne ein Wort zu verlieren nahm er mein rechtes und unverwundete Handgelenk und schliff mich aus dem Haus.

 Ich ließ mich einfach mitziehen, ließ mich ins Auto setzen und fuhr mit ihm weg. Unterwegs telefonierte er mit seinem Kumpel Freyja. Auch er kannte mich, mich und meine Probleme.

Unser Auto hielt an einem großen Platz, wo Freyja bereits auf mich wartete. Mein Gesicht war noch immer tränen verschmiert. Er nahm mich in den Arm und presste meinen Kopf gegen seine Schulte, so dass mir beinahe die Luft zum Atmen fehlte. Ich hasste es wenn er das tat.

Wir lösten uns und blickten auf die roten Rücklichter des Autos. Es war schon immer so, dass ich mit meinen Problemen einfach an Freyja abgegeben wurde. Ohne ein Wort hob mich Freyja in den großen Korb und kettete mich mit Handschellen an einer der Seile fest. Er musste das tun. Sonst würde ich später springen.

Freyja überprüfte nochmal alles und stieg dann zu mir in den Korb. Ich saß auf dem Boden, hatte den Kopf gegen die Wand gelehnt und starrte stumm in den Himmel. Ein Zischen über mir und kurz darauf erhoben wir uns mit dem Heißluftballon in die Höhe.

Wir kamen dem Himmel immer näher. Die Welt unter uns wurde unbedeutend und klein. Für einen winzig kleinen Augenblick sah sie sogar schön aus, aber dann erinnerte ich mich wieder an die Menschen. Sie lebten...einfach so. Sie dachten nicht groß über ihr Handeln nach und wie sehr sie doch andere Menschen verletzten. Tränen schossen in meine Augen und ließen die Sicht vor meinen Augen verschwimmen. Die Lichter in der Ferne wurden immer größer bis ich nur noch verschwommene Lichter sah. Das linke Bild verzerrte sich und die Träne rollte über meine Wange. Kurz darauf rollte auch die Träne aus meinem rechten Auge.

Ich mochte meine Augen nicht. Andere beneideten mich dafür. Ich litt an Heterochromie. Zwei farbige Augen. Vor ein paar Wochen fing ich an Kontaktlinsen zu tragen. So leichtsinnig wie ich war trug ich diese in der falschen Form. Ich verlor meine Gabe Farben zu sehen. Alles war nur noch schwarzweiß.

Keiner wusste davon. Nicht mal mein Vater. Für ihn war es normal, dass ich traurig war. Ich hatte zu kämpfen mit der Krankheit. Es war nicht gerade unauffällig, da mein rechtes Auge fast schwarz und das andere in einem strahlenden dunkelblau leuchte.

Ich stellte mich hin und sah über den Rand des Korbes hinaus. Freyja musterte mich besorgt. Einst hatte ich versucht zu springen, hatte mich aber in einem Seil verfangen. Das war der Grund weshalb sie mich heute anketteten. Ich war froh, dass sie mir das fliegen nicht verboten hatte. Ich fühlte mich frei dazu noch so weit weg von alle dem Stress, ohne den beurteilenden Blick der anderen.

Aber das Glück weilte nicht lange. Eine Regenwolke drängte uns vom Himmel und wir waren gezwungen zu landen.

Freyja fuhr mich wieder nach Hause. Mein Vater öffnete die Türe. Ich beachtete ihn nicht und verschwand sofort in mein Zimmer. Wie gewohnt schloss ich die Türe ab und ließ mich ins Bett fallen. Nicht lange und ich war eingeschlafen.

Die schlagende Haustüre weckte mich auf. Mein Vater war wieder arbeiten gegangen. Vergebens versuchte ich wieder einzuschlafen, aber schaffte es einfach nicht. Widerwillig rollte ich aus dem Bett, schloss die Türe auf und begab mich in die Küche. Carina unsere Haushälterin räumte gerade den Einkauf in die Küche. „gute Morgen Amira, möchtest du etwas frühstücken?", fragte sie höflich. „Ein bisschen Obst", gähnte ich und verzog mich ins Wohnzimmer.

Bequem legte ich mich auf die Couch und schaltete den Fernseher an. Grell strahlte mir der große Bildschirm entgegen, irgendeine unrealistische Sitcom lief. Carina brachte mir etwas aufgeschnittenes Obst und verließ kurz darauf wieder das Wohnzimmer. Gelangweilt aß ich das süße Obst bis es mir zu langweilig wurde, ich den Fernseher ausschaltete und in mein Zimmer ging.

Seit langen sah ich mal wieder in den Spiegel. Meine Haare sind länger und fettiger geworden. Meine Haut war fahl und spannte sich um meinen Körper. Kritisch betrachtete ich mich selbst bis ich entschloss zu duschen. Ich habe lange nicht mehr geduscht, ich hielt es nicht für nötig. Schließlich hatte ich niemand für den ich mich schön machen könnte.

Als ich im Bad ankam blickte ich auf die weiße Keramikwanne. Meine Lust zu baden stieg immer weiter und ich verwarf den Gedanke zu duschen. Während ich mich auszog lief warmes Wasser in die Wanne und schäumte ein wenig Duschgel auf. Unwohl blickte ich meinen nackten Körper an. Ich war bei weitem nicht perfekt. Meine Brüste könnten größer sein, meine Nippel etwas kleiner, ein wenig dünner beziehungsweise sportlicher zu sein könnte auch nicht schaden. Meine Haare könnten mehr Glanz haben, könnten weicher sein und einfach gesund.

Ich seufzte genervt auf und drehte mich vom Spiegel weg. Das Wasser hatte die Wanne bereits zu Hälfte gefüllt, aber ich wollte nicht länger warten und ließ mich hineingleiten. Das warme Wasser umspülte meinen Körper. Die wohlige Wärme zog durch meine Haut, meine Muskeln bis zu meinen Knochen. Es tat gut in dem Wasser zu schweben. Mein Handy spielte Musik und ich verlor jegliches Zeitgefühl.

Als das Wasser kalt wurde beschloss ich mich abzuwaschen. Das Wasser war trübe von all dem Dreck welchen ich von meinem Körper gewaschen hatte. Ich schämte mich für mein Verhalten. Nachdem all der Dreck von meinem Körper runter war, schlang ich ein Handtuch um meinen Körper und machte mich zurecht so wie ich es damals immer gemacht hatte. Als ich dann wieder ansehnlich war beschloss ich raus zu gehen.

Ich nahm mir ein paar bequeme Sachen, packte meine Tasche und verließ ohne ein Wort das Haus. Carina sah mich verwundert an, traute sich aber nicht mich anzusprechen.

Die Sonne knallte auf die Erde und ich verzog mich ziemlich schnell in ein Café. Es war voll und ich ergatterte gerade noch so den letzten freien Tisch.

Gedankenversunken trank ich meinen Kakao und sah nach draußen. Ich vermisste die Farben. Meine Gedanken schweiften zu meinem Ex. Bevor ich ihn verließ hatte ich alles für ihn getan, wollte perfekt sein, eine andere Person und bin daran zerbrochen. Für ihn hatte ich die Kontaktlinsen getragen, er hasste es wie mich die anderen Menschen ansahen. Heute trug ich sie wieder. Inzwischen hatte ich die richtige Form gefunden, selbst wenn nicht, Freude am sehen hatte ich kaum noch.

Ein Tippen an meiner Schulter ließ mich aus meinen Gedanken gleiten. Ich blickte auf und sah in das Gesicht von zwei Jungs. „Ist hier noch Platz?", fragten sie höflich. Ich nickte nur und sah wieder aus dem Fenster.

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