Als aus Verlust und Zorn eine neue Pflicht entstand

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XX.07.2008

Die Plastikhülle meines Handys knackte protestierend unter der zügellosen Kraft meiner Faust.
Jede Synapse meines Hirns schoss in Alarmbereitschaft, meine Six Eyes überschütteten mich, von der Panik getrieben mit Informationen meiner Umgebung.
Meine Fluchkraft knisterte angespannt unter meiner Haut und verlangte, in noch größeren Mengen freigelassen zu werden.
Um das, was mich so aus dem Gleichgewicht gerissen hatte, zu bekämpfen. Allerdings war da nichts, das sich mit roher Gewalt ausschalten ließ.
Nichts vor dem Mugen mich schützen konnte. Einzig allein Worte, die ich in den letzten Stunden so oft gelesen hatte, dass sie sich perfekt formatiert in mein Gedächtnis brannten.
Und Tsuki, die seit einem Tag wie vom Erdboden verschluckt war.
Ich war gerade auf dem Rückweg von einer Mission gewesen, keine verfluchten Stunden mehr von Tokyo entfernt als die SMS bei mir ankam.
Eine verdammte SMS.
In der nur das allernötigste stand.
Das sie Abstand von allem brauchte und diesen in Kyoto bei Utahime suchen würde. Das es nicht meine Schuld sei.
Das sie einfach nur Zeit braucht, um herauszufinden, was sie wollte.
Und damit wäre ich auch klar gekommen.
Vermutlich. Irgendwie.
Wenn sie denn jemals in Kyoto angekommen wäre.
Seitdem wurde meine Fassung von einem Szenario nach dem anderen zerfetzt.
Und mit jeder Stunde, die ohne eine Spur von ihr verstrich, wurde ich rastloser und gab der Verzweiflung in meiner Brust mehr Nahrung, um zu wachsen.
Mein Schädel dröhnte, erinnerte mich daran, dass ich ihm heute noch keine Energie eingeflößt hatte, obwohl ich schon seit Stunden ganz Kyoto durchkämmte wie ein Wahnsinniger.
Denn dank der diskreten Connection von Akio wusste ich zumindest, dass sie es mit dem Zug bis in die Stadt geschafft hatte.
Wo laut Utahime einer der Missions Koordinator Tsuki eigentlich abholen sollte, sie aber nicht am Bahnhof antraf.
Und von da an verlief sich ihre Spur ins Nichts, was eine ganze Metropole zu meinem Suchfeld machte.
Und mit jeder Minute die verstrich war die Wahrscheinlichkeit größer das sich dieses auf ganz Japan aus weitete.
Immer wieder sprang ich von Block zu Block in der Hoffnung, dass meine Six Eyes sie fanden, während meine Fluchkraft mir mit jedem erneuten Mal protestierend durch die Zellen jagte wie ein Stromschlag.
Als ich mich dieses Mal durch den von Mugen erschaffenen Riss im Raum quetschte, verlor ich beinahe das Gleichgewicht und krachte gegen eine Reihe Mülltonnen in einem Hinterhof.
Keuchend kniff ich meine schmerzenden Augenlider zusammen, versuchte mich durch die überschwappende Flut von Informationen hindurch zu konzentrieren, die meinen Schädel vermutlich jeden Augenblick spalten würde.
Als ich sicher war, hier auch nichts gefunden zu haben, zwang ich mich durch den nächsten und landete an einer viel befahrenen Kreuzung.
Reifen quietschten auf dem trockenen Asphalt und stoppten das Auto, bevor es gegen meine Technik prallen konnte.
Tausende Augen schienen mich gleichzeitig anzustarren doch meine Six Eyes übergangen alles um mich herum und fixierten sich auf den vergänglichen Fetzen einer Fluchkraft die mir so vertraut war wie meine eigene.
Ich steuerte darauf zu, folgte der flüchtigen Fährte in eine der Seitenstraßen, die kurz vor meinem Ziel eine Biegung machte.
Mein Herz raste mir vor Adrenalin gegen die Rippen, gewappnet für jeden Anblick, der sich mir bieten würde.
Aber das Letzte, was ich mir in all den quälenden Stunden ausgemalt hatte, war wie Tsuki einfach auf der gegenüberliegenden Seite der Straße lief, als wäre nie etwas gewesen.
Akribisch suchten meine Six Eyes nach einem Anzeichen, dass etwas nicht stimmte, während ich mich mit zitternden Fäusten ihr näherte. Dank dessen, dass ich so viel größer bin als Tsuki, war es ein Leichtes sie einzuholen, auch wenn sich jeder Schritt anfühlte, als wären Tonnen an meine Beine gekettet.
Als ich dann endlich eine Hand nach ihr ausstreckte, um ihre Schulter zu berühren, zuckte ihr ganzer Körper erschrocken zusammen und drehte sich abrupt zu mir um. Auf ihrer Stirn bildete sich eine verwirrte Furche, während ihre nachtschwarzen Augen mich musterten.
Irgendetwas stimmte ganz und gar nicht.
Doch nichts hätte mich auf den Moment vorbereiten können, als mir die Tragweite ihres Verschwindens beinahe das Herz bei lebendigem Leibe heraus riss.
“Was machst du hier Gojo?”
der harsche Ton ihrer Stimme ließ mich körperlich zusammen zucken.
Gojo. Nicht Satoru.
Gojo wie damals, als ich noch versuchte, meine Distanz zu wahren.
Nicht Satoru, der begonnen hatte, einen Weg zu suchen, ihr Gerecht zu werden.
Der nun langsam anfing unter meinen Sohlen zu bröckeln, bis nichts mehr von Satoru übrig blieb und nur noch den Pflicht gebundenen Gojo alleine zurückließ.
“Du erinnerst dich nicht?”
Meine Stimme klang hohl in meinen eigenen Ohren, während ich versuchte, irgendwas zu finden, das mir verriet, was in den letzten vierundzwanzig Stunden passiert war. Kratzte an dem kleinen Funken Hoffnung, dass nicht alles von uns ausgelöscht wurde, der aber sofort gnadenlos zertreten wurde.
“An was sollte ich mich denn erinnern? Wir haben uns schon seit Jahren nicht mehr gesehen.”
Jahre. Bittere Galle verätzte meinen Magen, verdrehte ihn zu einem Knäuel.
“Also sag schon, was machst du hier? Ist Geto-kun auch hier irgendwo?”
Der Name meines Freundes fuhr mir unter die Haut wie Nadelstiche, doch irgendwie schaffte ich es, trotz des brennenden Kloßes in meinem Hals hervor zu würgen.
“Nein. Nein ist er nicht.”
Und weil es so viel leichter war als dem Chaos, das in mir herrschte nachzugeben, setzte ich ein Lächeln auf, das mir bald schon als vertraute Maske dienlich sein würde. Denn was blieb denn noch von einem übrig, wenn man dem Schmerz erlaubte, auch die Außenhülle zu zerfleischen.
“Brauche ich denn einen Grund, einer Freundin Hallo zu sagen?”
Tsuki starrte einen langen Moment zu mir hoch, gab der Kluft die sich zwischen uns auf tat die Gelegenheit unüberwindbar zu werden mit der Information, die meine überladenen Synapsen endlich verarbeiteten.
"Naja, das hast du ja jetzt.”
Ich kämpfte gegen den Druck hinter meinen Lidern an sich zu schließen.
Zwang sie offen zu bleiben und jedes Detail von Tsuki in meiner Erinnerung zu konservieren, bevor das unvermeidliche passieren musste.
“Stimmt.” Das Wort klang wie eine Kapitulation und schmeckte nach etwas Verwesendes auf meiner Zunge.
Mein Körper rührte sich nicht vom Fleck, obwohl ich es sollte.
Denn als ohne jede Vorwarnung anfingen ihre Tränen zu fallen, ohne dass sie überhaupt wusste wieso, war der Moment, an dem ich wirklich zerbrach.
“Harter Tag?” fragte ich, weil mir nichts anderes übrig blieb, während der Drang, sie in die Arme zu nehmen, die Züge eines physischen Schmerzes annahm.
“Ich- weiß nicht.”
Ihre Stimme stolperte mit einem Schluchzen über die Worte, das meinen brüchigen Widerstand einriss.
“Schon gut. Es reicht, wenn ich mich daran erinnern muss.”
Immerhin überwog ihre Verwirrung weitere Tränen, die in ihren Augen glänzten wie fallende Sterne.
“Was meinst du?”
Ich schüttelte mit dem Kopf, spürte dabei den Schwindel stärker, der mich langsam einzunehmen drohte.
“Gar nichts.”
Dann richtete ich meine Nasenspitze weit hoch in den Himmel, der sich in einem strahlenden Blau über uns aufspannte.
“Der Himmel ist wundervoll, nicht wahr?”
Ich wollte nicht gehen. Und ein kleiner selbstsüchtiger Teil von mir wollte nach einer Lösung suchen, die sie nicht von mir fort zerrte. Aber das wäre ihr nicht fair gegenüber gewesen. Und vielleicht wäre sie damit auch endlich in Sicherheit.
“Aber am schönsten wird er immer sein, wenn der Mond aufgeht."
Ein Zugeständnis unserer gemeinsamen Zeit, die schon immer ein Verfallsdatum besessen hatte, das nun seine Fälligkeit gültig machte.
Dann verschwand ich, in dem Wissen, dass sie diese Begegnung bald wieder vergessen haben wird.
Weil ihr Fluch alles auslöschte, von dem Moment an als sie das erste Mal mit fremder Fluchkraft in Berührung kam.
Natürlich war uns das vorher nie aufgefallen. Wie denn auch.
Je weiter die Distanz zwischen uns wurde, schien sich ein Faden enger um den aus blutenden Klumpen zu schnüren, der mal mein Herz gewesen war.
Mit jedem Schritt zupfte es in meiner Brust als wollte er mich wieder zu ihr zurückziehen.
Ich riss Mugen hervor, und hervor und hervor und hervor, bis ich selbst nicht mehr wusste, wo mich mein nächster Schritt hinführen würde.
Bis ich irgendwann den Fehler machte, stehen zu bleiben.
Ich war allein.
Nicht im wahrsten Sinne des Wortes.
Aber man kann auch in einem vollen Raum mit Menschen stehen und sich dennoch einsam fühlen.
Man sollte meinen, dass ich es gewohnt war. Immerhin war es die meiste Zeit meines Lebens so gewesen.
Also wieso zog sich mein Brustkorb dann so zusammen, quälte sich beinahe durch jeden schweren Atemzug, als ob ein Elefant darauf sitzen würde.
Warum fühlte es sich so an, als wäre dieser Sauerstoff nicht annähernd genug für meine Lungen, die panisch nach mehr verlangten.
Meine Fluchtechnik surrte alarmiert in meinen Ohren wie ein Signal das im Ausnahmezustand los schellte.
Der Boden unter meinen Füßen bebte, unter der enormen Kraft mit der Mugen versuchte sich Platz zu verschaffen.
Doch nichts in der Welt würde je wieder ausreichen, um das zu füllen, was mir fehlte. Irgendwann, als meine Fluchkraft kurz vor dem Versiegen stand, ebbte das Gefühl endlich ab und ließ mich mit nichts als einer tauben Leere zurück und Luft, die nach Asche schmeckte.




One Coke and your Curse to go  *°• GojoXOc •°* a Jujutsu Kaisen StoryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt