Der Himmel in seinen Augen

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Für den Moment zufrieden mit mir selbst, biss ich in mein Okonomiyaki und summte leise vor mich hin, während der städtische Trubel von Sapporo an mir vorbei zog.
Nach unserer Ankunft in der Stadt vor einer guten Stunde waren wir uns beide schnell einig gewesen, dass eine Mahlzeit als erstes auf dem Plan stand.
Wobei es sich bei Gojos Mengen eher um eine ganze Tagesration handelte.
Mein Blick wanderte ganz unvermittelt über seine schlanke Gestalt, die sich gerade die vierte Portion einverleibte.
“Siehst du etwas, das dir gefällt?”
fragte er zwischen zwei Bissen, als er mein Starren bemerkte.
“Eher frage ich mich wie du das alles in dich reinschaufeln kannst.” wich ich seiner Frage gekonnt ehrlich aus und nahm selbst wieder einen Happen.
“Du musst dir das wie einen Energiespeicher vorstellen, je mehr Fluchkraft du verbrauchst desto mehr ressourcen brauchst du um ihn wieder zu füllen.” erklärte er in seiner weichen Sensei Stimme, der ich mit einer scherzhaften Ironie antwortete.
“Lass mich raten, und du als Special Grade Sorcerer verbrauchst natürlich am meisten.” Entgegen meiner Erwartung breitete sich kein großspuriges Grinsen auf seinen Lippen aus.
“So würde ich das nicht sagen. Eher liegt es an meiner konstant aktiven Fluchtechnik.” Erklärte er weiter und verschlang am Ende des Satzes den Rest seiner Portion.
“Konstant wie in, jeden Tag?”
Ich fuhr mit meiner Zunge über die Spitze meines Daumens, als ob ich dem letzten Bissen hinterher hing. Einen Augenblick dachte ich zu sehen, wie Gojo versuchte, einen Schauer zu unterdrücken.
“Jeden Tag, jede Stunde, jede noch so lange Minute, zu jeder Tages- und Nachtzeit." Ratterte er runter im Versuch möglichst unbeschwert zu klingen, doch nichts in der Welt hätte den Druck verbergen können, der aufblitze.
“Ist es deine unsichtbare Barriere?”
fragte ich nun etwas vorsichtiger, worauf Gojo nur mit einem neutralen Ausdruck nickte. Und fast hätte ich es dabei belassen, doch meine Neugier war stärker.
“Wieso?” seine Schultern versteiften sich bei dem einen Wort.
“Es gab da einen Auftrag, der in jeder möglichen Art schief gelaufen war. Damals benötigte es meine volle Konzentration, um Mugen aufrechtzuerhalten.”
Gojo unterbrach sich selbst, als ob er erst jetzt die Worte auch hörte, die seinen Mund verließen. Er schien einen Herzschlag lang mit sich zu kämpfen, bevor er dann doch die nur allzu vertraute Maske aufsetzte und mich aussperrte.
“Jedenfalls hab ich danach einen Weg gefunden, die Technik dauerhaft aufrechtzuerhalten, ohne dass mir mein Gehirn aus den Ohren Tropfen würde. Und heute ist es nicht mehr Aufwand als ein Atemzug.” seine Stimme war plötzlich so unbeschwert wie immer, als wäre da nie etwas anderes gewesen.
Der Gedanke, wie einsam es hinter dieser Barriere sein musste, schoss mir durch den Kopf und beschwerte mein eigenes Herz. Und der total absurde Wunsch, ihm etwas von einer Last zu nehmen, von der ich nichts verstand, nahm mich ein.
“Wir sollten uns wohl langsam auf die Suche nach dem Fluch machen.”
Wandte Gojo mit einem Räuspern ein, ohne mich anzusehen.
Ich nickte nur und ließ mich von ihm durch das dichte Treiben in den Straßen der Stadt führen. Beobachtete dabei öfter als mir lieb war, wie eine Frau nach der anderen den Mann neben mir von weitem an starrten. Lag es an der neuen Umgebung oder war es mir bloß noch nie aufgefallen, dass Gojo alle Blicke auf sich zog, egal wo wir hin gingen?
Ein hässliches Gefühl kroch meinen Nacken hinauf, ebbte aber so schnell wieder ab wie es gekommen war, als die Maßen sich allmählich aus dünnen.
Erst dann wagte ich es, die Stille zwischen uns zu brechen.
“Wie viele Special Grade Sorcerer gibt es eigentlich?” Das Keuchen in meiner Stimme hatte mich wohl verraten, denn seine sowieso schon wegen mir gemäßigten Schritte wurden noch etwas langsamer, als er antwortete.
“Mich eingeschlossen gibt es drei, wobei Yuta gerade auf Trainingsmission in Afrika ist und Yuki spielt schon immer nach ihren eigenen Regeln.” Die Worte, die er nicht aussprach, formten sich nur allzu deutlich wie von selbst in meinem Kopf.
Es machte ihn buchstäblich zum einzigen, der gegen die hochkarätigen Flüche antreten konnte, ohne um sein Leben fürchten zu müssen.
Einen Vorgeschmack darauf, wie er selbst dabei alle Grenzen der Kraftmessung sprengte, hatte ich während des Austausch Events bekommen.
Mit einem Mal regte sich eine Erinnerung, die ich beinahe vollkommen vergessen hatte, und sprach sie schneller aus, als ich darüber nachdenken konnte.
“Hast du nicht mal vor dem Rektor der Kyoto Schule behauptet, ich könnte es bis zum Special Grade bringen?”
Gojo schnalzte spielerisch mit der Zunge und hob seinen Zeigefinger, um seinen Standpunkt zu untermalen.
“Au contraire, wenn ich mich recht erinnere, sagte ich, dass unter deinem Fluch das Potenzial eines Special Grades steckt.” ich verkniff es mir mit den Augen zu rollen und zuckte stattdessen halbherzig mit den Schultern.
“Ist das nicht dasselbe?”
Sein Finger wackelte hin und her, um mir ein klares Nein zu signalisieren.
“Für die alten Knacker vielleicht, aber du solltest das nicht so sehen.”
Etwas in mir schnappte zu, doch ich versuchte, meine Stimme in einem lockeren Ton zu halten, und spähte zu ihm herüber, fuhr mit meinem Blick über seine kantigen Konturen.
“Sind wir also wieder an den Punkt gekommen wo du mir vorschreibst was ich zu tun und zu lassen hab?” Er stieß ein Geräusch aus, das einem Lachen am nächsten kam und mir wie eine delikate Berührung über die Wirbelsäule strich.
“Ganz im Gegenteil Tsuki-chan.”
Gojo überquerte so schnell die Straße, dass ich mich beeilen musste, um seinen nächsten Satz hören zu können.
“Ich will nur, dass du eine Wahl hast, die ich nicht hatte.” auf seinen Lippen erschien wieder dieses müde Lächeln, das wie ein Geist erneut verblich.
“Und wenn ich mich dafür entscheiden sollte, den Fluch zu brechen?”
Gojo erstarrte in seinem nächsten Schritt. Nur für den Bruchteil eines Wimpernschlags, aber eindeutig genug, um es zu bemerken. Forsch beobachtete ich ihn über den Moment hinweg und hasste es gerade umso mehr, dass er seine Augenbinde trug.
“Hast du dich etwa deshalb so erpicht an meine Fersen geheftet?” fragte er wieder ganz hinter seinem Spielerischen selbst.
“Ich wüsste nicht, wie ich sonst an einen Fluch kommen sollte, der nicht sofort bei der kleinsten Berührung in Flammen aufging.” Seine Gesichtszüge hatten plötzlich etwas Triumphierendes, was mich irgendwie ihm unterliegend und überlegen zur gleichen Zeit fühlen ließ.
“Du hättest auch einfach Fragen können, weißt du?” Eine einfache, simple Frage und doch wartete ich mit zusammengepressten Lippen, bis Gojo mit einem bedauerlichen seufzen hinzufügte.
“Und ich dachte, wir könnten uns ein paar schöne Tage zu zweit machen.”
Diesmal nahm ich seinen Wink an und erwiderte mit einem großspurigen Lächeln.
“Die Arbeit kommt eben immer vor dem Vergnügen.” Gojo schien überrascht von meiner Antwort und lehnte sich mir etwas entgegen, bevor er antwortete.
“Wie Verantwortungsvoll Tsuki-chan.”
Als wir den Gebäudekomplex erreichten, war die Präsenz des Fluchs beinahe überwältigend und katapultierte mich einen Augenblick lang zurück zum Austausch Event. Die plötzliche Berührung von warmen Fingern an meinem Arm ließ mich beinahe zusammen zucken.
“Daijōbudesuka*?” Ich nickte eifrig und schüttelte das eisige Gefühl ab, das die Erinnerung mit sich gebracht hatte.
“Du musst nicht mitkommen.” setzte er hinzu ohne jeglichen Spott.
“Ich weiß.” versicherte ich ihm, doch das letzte, was ich wollte, war jetzt einen Schritt zurückzutreten. Nicht wenn ich mir selbst beweisen wollte, dass ich dem allen gewachsen war.
Mit gestrafften Schultern übernahm ich also die Führung und suchte meinen Weg durch den Gebäudekomplex, zielstrebig auf das Zentrum der Präsenz zu.
Vorbei an leeren Büros und verwaisten Pausenräumen, durch verzweigte Gänge und schallende Treppenhäuser.
Schließlich stand der Fluchgeist vor uns.
Auch wenn mich mindestens zehn Meter Korridor von dem Scheusal trennten, war der Fluchtreflex beinahe übermächtig.
Unzählige Augen, die sich auf dem grotesk verformten Körper verteilten, taxierten uns wie Beute, die ins Netz gegangen war.
Ich starrte zurück, als könnte ich allein durch Willenskraft das Ding dazu bringen, mir seine Schwachpunkte zu verraten.
Denn das Letzte, was ich vorhatte, war Gojo den Retter spielen zu lassen, weil ich das Ding unterschätzte.
Und trotzdem war es mehr als beruhigend für meine Nerven seine Fluchkraft hinter mir zu spüren wie ein Fels in der Brandung. Die schmächtigen Arme des Fluchs gestikulierten wild in meine Richtung gepaart mit sabbernden Geräuschen, die wie Morddrohungen klangen.
“Ich glaube er mag dich.”
Wandte Gojo sarkastisch ein und trat einen Schritt zurück, um mir Platz zu geben und zu signalisieren, dass es mein Gegner war. Ich kreiste einmal mit den Schultern um sie zu lockern und zog dann meine sorgfältig gehortete Fluchkraft hervor. Der Fluchgeist blinzelte wild bei der Zurschaustellung meiner aufgeladenen Energie. Die Luft lud sich knisternd auf bei der Menge an potenter Kraft und explodierte in Funken, als ich meinen ersten Zug tat.
Der erste Treffer fand sein Ziel in der knorrigen Schulter und frass sich durch zwei der Augäpfel, die dort saßen, bevor er aus meinem Sichtfeld verschwand.
Ich reagierte schneller, als meine Synapsen die Bewegungen des Fluchs wahrnehmen konnten und riss meinen Arm hoch, um den Schlag abzublocken, der wie ein Hammer auf mich nieder ging.
Ein mit Fluchkraft aufgeladener Tritt schmetterte das Ding mit einem Krachen gegen die Wand.
Allerdings tat mir der Fluchgeist nicht den Gefallen einfach liegen zu bleiben und war schneller wieder auf den Beinen als dass ich einen Schritt in dessen Richtung machen konnte. Es streckte mir die gespaltene Zunge entgegen und holte zum Gegenschlag aus. So wie das Ding aussah, war ich nicht sonderlich überrascht, dass mir Handteller große Augäpfel entgegen flogen. Was mich allerdings durchaus unerwartet traf, war die Tatsache, dass diese vor meiner Nase explodierten. Die Wucht schleuderte mich von den Füßen und direkt in Gojos Arme.
“Nicht schlecht Tsuki-chan, aber mir wäre es lieber, dich in einem Stück zu behalten.”
Brummte er halb amüsiert an meinem Ohr während um uns herum ein Ding nach dem anderen explodierte und hinter seiner Barriere alles in dichten Rauch tauchte.
Zähneknirschend befreite ich mich aus seinen Armen und konnte sein Lächeln in meinem Nacken spüren, als ich aus dem Schutz seiner Technik trat.
Ich wusste nicht, ob die offensichtliche Erfüllung seiner Erwartung mich ärgerte oder auf eine absurde Weise stolz machte.
Mit zwei Ausfallschritten entging ich den nächsten zwei, bevor sie explodieren konnten und folgte mit kurzen Schritten dem Flugradius der bizarren Bomben.
Dank dessen, dass der Rauch mit der Fluchkraft des Mistdings aufgeladen war, konnte ich nicht genau die Quelle bestimmen und war somit so gut wie blind. Allerdings galt das auch für meinen Gegner wenn ich den Rest meiner Fluchkraft verbarg. Ein Grund mehr wieso es praktisch war Gojo in meinem Rücken zu haben, der jetzt die perfekte Ablenkung darstellte. Über die nächsten Fluggeschosse duckte ich mich hinweg und krabbelte auf dem Boden weiter, bevor ich noch eins davon meinen Kopf traf. Als der Rauch dichter zu werden schien, konnte ich endlich auch die Umrisse der Gestalt ausmachen und hielt kurz inne. Ich atmete so tief ein, wie ich es wagte, mit der stickigen Luft um mich herum. Beruhigte meine rasenden Gedanken, die zwischen Tatendrang und Angst pendelten. Jetzt oder nie.
Mit geballter Faust schoss ich nach vorne, schickte alles an Fluchkraft das mir geblieben war in diesen Schlag.
Ich traf mein Ziel auf etwas, das ich für ein Brustbein hielt. Knochen zersplitterten unter der Wucht, Augäpfel verdrehten sich, gefolgt von einem erstickten Keuchen, bevor sich meine Flammen ihren Weg bahnten.
Der Fluchgeist kreischte, wälzte sich auf dem Boden zu meinen Füßen in der Hoffnung das Feuer zu löschen das sich wie eine Decke auf seiner schmierigen Haut ausbreitete. Gefangen von dem Anblick war ich wie erstarrt während sich das dumpfe Gefühl in mir ausbreitete das mit meiner versiegenden Fluchkraft einherging. Verbissen stemmte ich mich diesem entgegen, hielt an dem letzten Rest Adrenalin in meinem Körper fest, um nicht zu schwanken.
Eiseskälte breitete sich hinter meinem Nabel aus, so intensiv das es keinen Unterschied zu dem Brennen in meiner geballten Faust machte.
Das Gefühl höhlte mich aus und katapultierte mich in den letzten Winkel meines Bewusstseins. Der Schmerz frass sich durch meine Adern, ob nun durch Hitze oder Kälte, konnte ich nicht mehr sagen. Eine Stimme sagte etwas, doch in meiner Taubheit hörte ich schon nicht mehr, was diese zu mir flüsterte.
Die Überreste des Fluchgeists vor mir und das lodernde Inferno verschmolzen ineinander, zusammen mit dem Korridor, den Rauch Fetzen und der Fluchkraft bis nichts mehr existierte.
Und dann endlich setzte die Ekstaze ein, schmiegte sich um mich und betäubte allen Schmerz und jeden lästigen Gedanken, der von der bloßen Gier zu Triumphieren abwich.
Mein Arm hob sich wie selbstvergessen, richtete sich auf den zusammengekrümmten Haufen zu meinen Füßen, doch bevor meine Finger aufeinander treffen konnten, trat die Gestalt eines hochgewachsenen Mannes zwischen mich und meinen Sieg.
Er packte mein Handgelenk, das ich nicht spürte und zwang mich, mit seiner anderen Hand ihm ins Gesicht zu sehen.
Etwas in meinem Bewusstsein regte sich bei dem Anblick seiner Augen.
Doch was dieses schließlich erzittern ließ, war seine Stimme, die sich schmerzhaft anhörte. Für ihn oder für meinen Körper war mir nicht klar.
Und wie als hätte mein selbst nur unter Wasser ausgeharrt, brach alles von mir wieder durch die Oberfläche.
Mit einem Mal war alles wieder da.
Die Luft sirrend vor nicht verbrauchter Energie, der Geruch von verbranntem Fleisch vermischt mit dem beruhigenden Duft von Lavendel und Schnee, gefolgt von dem lähmenden Schmerz der durch meine Glieder schoss wie ein Blitz.
Ein unterdrücktes Keuchen drang zwischen meinen zusammengebissenen Zähnen hervor.
“Den Göttern sei Dank.”
Murmelte Gojo erleichtert mehr zu sich selbst als zu mir, bevor jegliche Anspannung ihn verließ.
Zitternd klammerte ich mich an seinem Arm fest, um nicht vollends ein zu knicken, obwohl jede Faser meines Körpers um Ruhe bettelte.
“Der Fluchgeist- ?” fragte ich und wollte mich an Gojo vorbei schieben, doch er hielt mich fest.
“Ich glaube du hast ihn erwischt Dārin**.”
Ich nickte geistesabwesend, gar nicht so fixiert auf seine Worte, sondern eher auf den sanften Ton seiner Stimme und dem beruhigenden Gefühl einer Hand, die über meinen unteren Rücken strich.
Die Tatsache, wie Bedürftig und Schutzlos ich doch nach jedem Kampf war, nagte an mir und ließ neuerliche Frustration in mir aufsteigen. Mit einem winzigen Schritt nach vorne entzog ich mich seiner Hand im Versuch der Taubheit meines Körpers entgegenzuwirken, die sich durch seine Berührung nur zu verstärken schien.
Und bevor ich mich selbst aus meiner schwächlichen Trance heraus zerren konnte, legte sich etwas mollig warmes um meine Schultern.
Erst als ich realisierte, dass es Gojos Jacke war und ich nicht mal behaupten konnte, mitgekriegt zu haben, wie er sie neben mir abgestreift hatte, wurde mir bewusst, dass es diesmal anders war.
Der Geist eines Gefühls, das ich nicht benennen wollte, lungerte in meiner Magengegend, wie um meine Vermutung zu bestätigen. Allerdings konnte ich zu diesem Zeitpunkt nicht sagen, ob es ein Fortschritt oder ein Schritt zurück war.
Aber vermutlich war das einzige, was mich auf den Beinen hielt, meine über die letzten Wochen angeeignete Willensstärke.
Es würde schon nicht schaden, für dieses eine Mal meinen Stolz beiseite zu packen.
Als Gojo nun ein weiteres Mal seine starke Hand auf meinen Rücken legte und mich sanft einen Schritt nach dem anderen vorwärts schob, ließ ich es zu.
Ich konnte nicht sagen, ob es an meiner Verfassung, oder an dem Vertrauen lag, dass ich Gojo zu schrieb, dass der Großteil unseres Weges nur wie einzelne zusammen gehäufte Eindrücke in meinem Gedächtnis blieb.
Dabei war der kurze Aufenthalt in einer grell beleuchteten Arztpraxis, wo ich bis zu den Ellbogen einbandagiert worden war, nicht mal das, was am klarsten hängen geblieben war. Denn wider erwarten kehrten wir nicht auf direktem Weg nach Tokio zurück um mich wieder zusammen zu flicken sondern checkten in einem so nobel aussehenden Hotel ein, dass ich für die ersten zehn Minuten wie aus einem Tiefschlaf erwachte und mich gaffend um die eigene Achse drehte.
“Was machen wir hier?” Hörte ich mich fragen, sobald sich Gojo von der Rezeption abwandte und wieder an meine Seite trat. Natürlich war es offensichtlich, was wir in einem Hotel taten, aber warum musste es gerade so protzig sein?
“Du glaubst doch nicht wirklich das ich dir in dem Zustand den Rückweg nach Tokio zumuten würde.” erklärte er mit einer ernsten Stimme, obwohl ein Lächeln auf seinen Lippen lag. Sein Arm schlang sich stützend um meine Taille und führte mich zu einem Aufzug, der prunkvoller aussah als es für überhaupt irgendeinen Aufzug je notwendig gewesen wäre.
Als sich die Türen mit einem sachten Ping öffneten, starrte mir ein Schatten meiner selbst entgegen. Mit starren Augen betrachtete ich mein Spiegelbild. Meine Gestalt wirkte beinahe lächerlich klein mit Gojos übergroßer Jacke um den Schultern, doch sie verbarg zumindest die Bandagen um meinen Armen, die ich nun hervor schob um sie zu betrachten wie etwas das ein gleichzeitig fremder wie vertrauter Anblick war. Die natürliche Blässe meiner Haut wirkte nun kränklich und schien mehr mit einem Geist gemein zu haben als mit mir selbst.
Und noch weniger mit der Frau, die ich eigentlich sein wollte.
“Das wird schon werden.”
Gojos Stimme war nur ein Wispern in der Stille in dem plötzlich viel zu kleinen Fahrstuhl. Mein Blick wandte sich durch den Spiegel ihm zu und obwohl er wieder seine Augenbinde trug wusste ich, dass er mich auch ansah.
Selbst wenn mein Kopf nicht nur auf minimaler Leistung war, hätte ich nicht sagen können, ob ich fähig gewesen wäre, Worte zu finden. Der Moment verstrich mit einem weiteren leisen Ping, als wir unser Stockwerk erreichten.
Seine Finger streiften wie durch Zufall meine Bandagierten, als sich seine Hand wieder an meinem Rücken platzierte.
Wir schritten durch einen langen Gang, der sich in meinem Zustand schier unendlich anfühlte. Als wir endlich vor einer Tür stehen blieben, lehnte ich mehr auf Gojo als das ich selbst lief.
Das Zimmer selbst nahm ich nur noch verschwommen wahr, bevor mich zwei Arme auf einem weichen Bett ablegten.
Alles um mich herum drehte sich wie auf einem Karussell und ich kniff die Augen zu, wie um die Welt zu zwingen, anzuhalten. Erst als etwas eiskaltes meine Stirn berührte, öffnete ich wieder meine Augenlider, die sich plötzlich so viel schwerer anfühlten.
Über mir stand Gojo mit einem komischen Ausdruck im Gesicht, aber vielleicht war das auch nur meine Einbildung.
Seine Lippen bewegten sich zwar, aber die Bedeutung der Worte die herauskamen, drangen nur schleppend in mein Bewusstsein vor. Als ich dachte, ihn verstanden zu haben, nickte ich.
Er half mir auf und setzte sich dicht neben mich auf die Bettkante und bat mir ein Taiyaki an dessen warmer Duft meine Nase kitzelte. Mein Magen rebellierte bei dem Gedanken, jetzt etwas in ihn hinein zu füllen, obwohl sich alles an mir ausgebrannt anfühlte.
“Nach ein paar bissen wird das Gefühl aufhören.” sagte Gojo mit einer eindringlichen Sanftheit, als ob er meine Gedanken gelesen hätte. Oder vielleicht hatte ich sie auch unwissentlich ausgesprochen.
Schließlich behielt er recht und ich schaffte es das Taiyaki aufzuessen, ohne das Gefühl zu haben, es gleich wieder loswerden zu wollen.
Müde, aber nicht mehr ganz so ausgelaugt, ließ ich mich zurückfallen und zerrte wie ein kleines Kind an der Decke, als es anfing mich zu frösteln.
Gojo sprang auf und beobachtete mich kopfschüttelnd dabei, wie ich mich ein wickelte.
“Ich bin dann nebenan, wenn du mich brauchst.” er war noch nicht einmal einen Schritt vorwärts gekommen, als mich blanke Panik krächzen ließ.
“W-warte. Vielleicht könntest du ja nur für heute Nacht hier bleiben.”
Gojo drehte sich langsam auf dem Absatz um und schob seine Hände tief in seine Hosentaschen, wie um sich zurückzuhalten.
"So wie beim letzten Mal.”
Er gefror in jeder Bewegung, einen Augenblick lang schien er nicht mal mehr zu atmen. Lange Minuten, die vielleicht auch nur Sekunden waren, lud sich der Raum zwischen uns knisternd auf.
Und gerade als ich das Gefühl hatte, unter der Spannung zu bersten, rührte er sich endlich wieder und kam einen einzigen Schritt näher. Auf seinen Lippen breitete sich ein schelmisches Lächeln aus.
“So so, wie beim letzten Mal also Tsuki-chan.” Gojo hielt seinen Zeigefinger in die Höhe und kramte mit der anderen Hand sein Handy hervor.
“Bevor du mich aber noch für einen Hentai*** hältst, zeichne ich vorsichtshalber Beweismittel auf.”
Trotz der Eiseskälte, die meinen Körper im Klammergriff hielt, spürte ich wie sich mein Nasenrücken peinlich berührt rot verfärbte.
Ich musste daran denken, wie sehr ich mir doch wünschte, dass der Morgen einen anderen Ausgang nehmen würde als beim letzten Mal. Mit halb offenen Augen blickte ich in die Kamera, die Gojo erwartungsvoll auf mich gerichtet hatte.
“Ich will dich in meinem Bett haben, Gojo Satoru.” morgen würde ich sicher am liebsten in Grund und Boden versinken für meine Wortwahl. Doch genau jetzt zählte nichts anderes als Gojos verdutzter Gesichtsausdruck, der hinter dem Smartphone zum Vorschein kam.
Sein Adamsapfel hüpfte, als er schluckte. Aus einer irrationalen Angst heraus er könnte an Ort und Stelle fest wachsen, streckte ich den Arm nach ihm aus.
Er folgte meiner Aufforderung und trat an die Bettkante, ließ seine Fingerspitzen über den Verband an meiner Hand gleiten.
Dann schlüpfte er endlich aus seinen Schuhen und zog sich die Augenbinde über den Kopf die er auf dem Nachtkästchen neben dem Bett ablegte.
Seine Iris leuchtete mir entgegen als Gojo auf mich herab sah, ein Knie drückte sich in die Matratze, damit er mir noch näher war als er flüsterte.
“Sag mir, was du willst Tsuki-chan.”
Ich blinzelte zu ihm hinauf, dachte an alles und gleichzeitig an nichts, bis der Satz in meinen Ohren nur noch zu Staub zerfallene Silben waren.
Dann sprach ich das aus, was meinem Herzen am nächsten war.
“Erzähl mir von etwas, das ich vergessen habe und lass meine Erinnerung daran wieder aufleuchten.” Sein Lächeln wurde traurig und einen Augenblick lang hatte ich Angst, er würde sich zurückziehen, doch dann sank die Matratze unter seinem vollen Gewicht, als er sich neben mich legte. Wir lagen beinahe so nah beieinander, dass sich unsere Nasenspitzen berührten.
Sein flacher Atem strich über meine Lippen wie eine Verheißung, während seine Augen mich musterten, als würde er etwas suchen. Kaum das er es gefunden zu haben schien, begann Gojo zu erzählen, als würde er aus einem Buch heraus zitieren, das er unzählige Mal gelesen hatte.
“An meinem achtzehnten haben wir uns rausgeschlichen wie die Teenager die wir trotz allem waren und haben uns zu einem unverschämten Preis in einen Nachtclub schmuggeln lassen.” Er lachte leise über die Erinnerung, die hell erleuchtet in seinen Augen erstrahlte, bis ein Schatten jede Freude wieder verschluckte und selbst seine meist unerschütterliche Maske mit sich riss.
In meiner Taubheit nahm ich den Stich in meiner Brust nur wie den Nachhall eines Schreis wahr der tief in mir laut wurde.
Ich änderte meine Position ein klein wenig und legte meine Stirn an seine in der Hoffnung, durch die Berührung uns beiden etwas Frieden zu schenken.
Seine weißen Wimpern flatterten kurz, als Gojo die Augen schloss und mit einem tiefen Atemzug, woran er auch immer festgehalten hatte, los ließ.
Die Spannung verließ seinen Körper wie ein Knoten, den man langsam löste.
“Wir haben in dieser Nacht so getan, als ob kein Problem der Welt uns etwas anhaben konnte und wir nichts als zwei Teenager waren, die Spaß suchten.”
Seine Stimme wurde noch andächtiger und war nun beinahe zu einem Flüstern herabgesenkt, als würde er ein Geheimnis erzählen, das nur für uns beide bestimmt war.
“Auch wenn das Ende weniger klischeehaft hätte sein können.”
Meine Augenbrauen zogen sich neugierig kraus, was Gojo nach einem Augenaufschlag mit einem breiten Grinsen quittierte. Die Frage stand mir offensichtlicherweise ins Gesicht geschrieben.
“Wir wurden rausgeschmissen.”
Einen Wimpernschlag lang erhaschte ich einen Blick auf den Teenager, der mir im Gedächtnis übrig geblieben war und fragte mich, wie ich je hatte annehmen können, dass er sich kein Stück von diesem unterschied.
Ganz langsam hob ich meine Hand, die mehr kribbelte als dass sie schmerzte und fuhr mit einem bandagierten Finger über die Kante seines Kinns.
“Du solltest schlafen.” seine Worte fuhren wie eine Liebkosung über meine Sinne und ließen mich gähnen. Und bevor ich es realisieren konnte, verfiel ich in einen sanften Schlaf.

One Coke and your Curse to go  *°• GojoXOc •°* a Jujutsu Kaisen StoryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt