Kapitel 36:

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Ich lehnte mit dem Rücken gegen die Mauer des Hauses von dem ich noch vor wenigen Minuten 50 Meter in die Tiefe gestürzt war und starrte meinen Schutzengel aus weit aufgerissenen Augen an.
Jetzt, wo er mich runter gelassen hatte und ich wieder festen Boden unter den Füßen spürte, wusste ich nicht was ich tun sollte. Oder fühlen.
Die Erleichterung über meine Rettung wurde überschattet von dem nun einsetzenden Schock.
Dieser Schock über den Verlauf dieses Tages, bis hin zu meiner Wiedervereinigung mit Satoru, lösten in mir so gemischte Gefühle aus, dass ich nicht anders konnte, als wie zur Salzsäule erstarrt dazustehen und jede noch so kleine seiner Bewegungen zu verfolgen.
Jetzt gerade streckte er seine Arme.

»Weißt du, du bist um einiges schwerer, als ich dich in Erinnerung hatte.« meinte er, aber das belustigte Funkeln in seinen Augen zeigte mir, dass er mich nur aus der Reserve locken wollte. Leider fiel mir keine bissige Bemerkung ein. Stattdessen atmete ich nur kurz ein, als wollte ich etwas sagen, was mir schlussendlich doch nicht über die Lippen kam.
Weit über mir vernahm ich nun laute Rufe. Anscheinend waren meine Verfolger nun auch auf dem Dach angekommen. Ich hörte wie Hikaru frustriert aufschrie, vermutlich weil er nicht das fand, was er sich erhofft hatte.
Trotz meiner Genugtuung darüber, spürte ich wieder die aufkeimende Panik.
Was wenn sie hier runter sehen und uns entdecken?!
Satoru sah wie ich beim Klang der Rufe verstört nach oben sah und streckte mir seine Hand entgegen.

»Misaki? Wir sollten besser von hier verschwinden.«
Er versuchte meinen Blick aufzufangen. »Was ist? Hat dir jetzt jemand die Zunge gestohlen? Ich kann dir versichern in Gegensatz zu denen da-« er deutete nach oben. »-würde ich niemals zulassen, dass du verletzt wirst.«
Jetzt schaute ich doch wieder zu ihm und wieder holte ich Luft, um etwas zu sagen. Ein „Danke" wäre schön gewesen, aber meine Kehle fühlte sich wie zugedrückt an. Also lächelte ich stattdessen und nahm seine Hand ohne Zögern an.
Mit einem sanften Ruck zog er mich noch etwas näher an sich - fast wie in eine Umarmung - und ich schnappte überrascht nach Luft, während mein Herz erneut zu hämmern anfing.
Nur auf eine etwas andere Art und Weise.
»Gut festhalten.« raunte Satoru nah in mein Ohr und trotz der langen Zeit wusste ich genau, was er vorhatte. Ich umklammerte seinen Rücken mit meinem freien Arm, dann verlor ich den Boden unter den Füßen.

Kaum eine Sekunde später, da standen wir bereits in einer anderen Umgebung.
Ein Vorort?
Ich schielte etwas an Satoru vorbei und betrachtete die leuchtenden Umrisse Tokios in einiger Entfernung. Aus irgendeinem Grund kam mir dieser Ort verdächtig bekannt vor.
Auf jeden Fall spürte ich aber, dass eine gewaltige Anspannung von mir abfiel, jetzt wo wir soweit aus Roppongi raus waren und ich schaffte es einmal tief durchzuatmen, um den Knoten in meine Kehle zu lockern.
»Wir sind sicher. Aber wenn du mich noch länger umklammern willst, ist das auch kein Problem für mich.« meinte Satoru und jetzt wo ich wieder die Kontrolle über meine Emotionen hatte, ließ ich augenblicklich von ihm ab.
»Ich war nur... etwas überfordert!« verteidigte ich mich, ohne genau zu wissen warum.
»Oh, sie hat ihre Sprache wiedergefunden.« bemerkte Satoru zur Antwort und musterte mich einige Sekunden. »Du trägst deine Haare kurz.«
»Das fällt dir ja früh auf.« erwiderte ich und konnte mir gerade noch ein „Gefällt es dir?" verkneifen. »Aber ich glaube, es gibt wichtigere Dinge, als meine neue Frisur, oder?«
»Nun, diese Dinge kommen ganz von dir aus. Ich war nur rein zufällig an Ort und Stelle.« flötete er, doch etwas an der Art wie er das sagte, ließ mich vermuten, dass das nicht die ganze Wahrheit war. Es sei denn meine Sinne täuschten mich, was in den letzten 24 Stunden leider einmal zu häufig vorgekommen war.

Satoru deutete auf die Skyline von Tokio und bedeutete mir mit einem Wink in diese Richtung zu laufen.
Ich betrachtete die Häuser und die geradlinige Straße.
Es kommt mir wirklich bekannt vor!
Mir war, als hätte ich genau diese Straße schon einmal durchquert. War ich da nicht vor etwas auf der Flucht? Irgendwas mit Tomoki?
Meine Vermutungen kamen zu einem Schlusspunkt, als sich ein hübscher Damm vor mir ausbreitete.

Nur ein Mensch (Satoru GojoxOC)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt