Kapitel 31:

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»Ich äh... wollte rausgehen und frische Luft schnappen.« wehrte ich ab und presste schnell meine Arme um meinen Bauch, um das Buch zu verstecken. »War nur neugierig, immerhin bin ich immer so lange nur in meinem Zimmer.«
Wieso bin ich eigentlich so eine schlechte Lügnerin?
Ling musterte mich weiterhin ungerührt und trat dann einen Schritt nach vorne zu mir.
»Du bist ein kleines Schäfchen unter Wölfen. Weißt du das eigentlich?« fragte sie, doch entgegen ihrer Worte klang sie eher belustigt.
»Natürlich weiß ich das!« entgegnete ich sofort und funkelte sie finster an, denn ich war mir sicher, dass das leben ihrer Schwester sicherlich nicht davon abhing, sich absichtlich in Gefahr zu begeben. Selbst wenn ich mich noch so vorhersehbar angestellt hatte.

Um von mir selbst abzulenken versuchte ich das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken.
»Aber was machst du eigentlich hier? Meintest du nicht du hättest eine Versammlung?«
Sie kicherte.
»Also eigentlich fand ich dich bis jetzt noch relativ klug, aber so kommst du doch mehr wie ein Dummköpfchen rüber, meinst du nicht?«
Sie tippte mir mit Nachdruck gegen die Stirn. »Ich wäre wohl kaum dein Bodyguard, wenn ich dich nicht die ganze Zeit über im Auge hätte. Also sag du mir lieber, was du gerade hier suchst?«
Ich schluckte.
Der Versuch das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken war mir schonmal hervorragend geglückt.
»Ist das hier ein Verhör?« konterte ich dennoch, wohl wissend wie schlecht meine Ausgangslage war. »Wirst du nicht sowieso sofort zu meinem Großvater rennen, egal was ich sage?«

»Hm...« Ling neigte den Kopf und betrachtete mich nachdenklich, als würde sie abwägen, inwieweit mein Wohlbefinden sie etwas anging. Etwas dunkles huschte über ihre Gesichtszüge und entgegen ihrer sonst so fröhlichen Miene wirkte sie mit einem Mal todernst.
»Das kommt ganz darauf an.« sagte sie schließlich gedehnt und zuckte mit den Schultern, ehe sich das breite Lächeln zurück auf ihr Gesicht stahl.
»Worauf?« fragte ich misstrauisch.
»Darauf, ob ich dich mag oder nicht.«
Ich schwieg, während sie ihr Lächeln noch ein Hauch geheimnisvoller werden ließ.
»Nehme das hier erstmal als eine Art Verwarnung, aber sollten wir uns heute erneut begegnen, könnte es entweder wirklich gut...« sie machte eine Kunstpause. »Oder wirklich grausig für dich enden. Viel Erfolg, Mimi-chan!«

Und so verließ sie mich wieder, so schnell wie sie gekommen war, während ich meine Hände weiterhin um das Buch krampfte.
Ich nahm mir keine Zeit zweite Überlegungen zu hegen und verließ das Büro in Windeseile, allerdings nicht ohne sorgfältig die Tür hinter mir zu zuziehen, bevor ich schnellstens in mein Zimmer zurück flüchtete.
Verflucht!
Verflucht, verflucht, verflucht!
Ich sank mit dem Rücken gegen meine Tür und zog Akitos Reisen wieder unter meinem Pulli hervor, um sofort zu diesem Foto zu blättern.
Dieses Gartenhaus...
Es war eine unglaublich schlechte Idee. Das wusste ich, trotzdem...
Immerhin hatte ich den großen Garten bisher noch nicht untersucht und das Einzige was mich davon abhalten könnte, wäre Lings mehr-oder-weniger Drohung.
Die mir leider durchaus Angst machte.
Aber es ging, um meinen Vater. Kein Mensch wirkte auf mich so fesselnd wie mein Vater und immerhin hatte er es im Gegensatz zu mir geschafft diesem Monster zu entkommen.
Es wäre also sicherlich nicht allzu falsch auch seinen Spuren nachzugehen.

Ich schob jegliche störenden Gedanken an Ling beiseite und fand mich unentdeckt kaum wenige Minuten später am imposanten Gartenhaus des japanischen Gartens wieder.
Geschickt schlängelte ich mich durch das Geländer des hölzernen Laufstegs und lief die restlichen Meter entspannt auf das Haus zu.
»Hallo?!« rief ich vorsichtshalber, doch niemand antwortete.
Gut. Hoffte ich.
Ob mich jemand beobachten sollte, würde dennoch nichts daran ändern können, dass ich dieses Haus jetzt betreten würde.

Ich streckte meine Hand nach dem Knauf aus und öffnete die Tür mit einem leisen Knartschen. Innen war es stockfinster und ich konnte nicht anders, als diese erschreckende Ähnlichkeit zu dem Mal herzustellen, als Satoru mich ohne anständige Vorwarnung in ein solches Ding hatte reinlaufen lassen. Das war das erste Mal in meinem Leben, dass ich mich so hilflos gefühlt hatte und das erste Mal, dass mich jemand umbringen wollte.
Wahnsinn wie schnell solche Dinge Alltag werden konnten.
Zu diesem Mal gab es allerdings zwei große Unterschiede. Der erste war, dass ich nun Flüche sehen und sie sogar austreiben konnte, der zweite, dass ich vollkommen allein war.

Nur ein Mensch (Satoru GojoxOC)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt