Kapitel 32:

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Und so wurden Ling und ich die besten Freunde.
Oder so ähnlich.
Schließlich wusste ich immer noch nicht genau wieso sie diese Schnitzeljagd mit mir veranstaltet hatte. Oder woher sie Vaters Fotos bekommen hatte? Oder wieso genau sie meinen Großvater hasste (auch wenn ich mir vorstellen konnte, dass es dafür einige Gründe gab)?
Als sie mir dieses Angebot gemacht hatte, konnte ich nicht anders, als verwirrt zu sein.
Demnach war das Erste was ich ihr auf diese Aussage antwortete ein eloquentes »Was?«.

»Du hast schon richtig verstanden.«
Ling lies ein Stück von mir ab und zog zu meiner Überraschung das Buch Akitos Reisen aus einer ihrer großen Beintaschen, denn entgegen zu ihrer sonstigen fröhlichen Trainingskleidung aus pink und Rüschen, trug sie heute etwas, das man auch gut in einem amerikanischen Action-Thriller benutzen könnte.
»Du fragst dich vermutlich, warum ich gerade deinen Vater für diese Fotos benutzt habe, nicht wahr?«
»Nicht ganz.« korrigierte ich. »Mein Großvater hätte dir sagen können, wie ich zu meinem Vater stand, oder du hättest einfach darauf setzen können. Immerhin ist er tot. Ich frage mich eher woher du diese Fotos hast, wenn nicht von meinem Großvater.«
Ling nahm meine Worte auf und nickte dann langsam.
»Ein berechtigter Einwand, Mimi-chan. Ich habe diese Fotos selbst geschossen. Akito-sama war so etwas wie mein Freund und Mentor, als ich in die Tooru-Familie kam.«
Ich riss die Augen auf.
Das würde doch heißen...
»Aber das war doch vor über 25 Jahren! Wie alt...?«
»Pfft~« Ling prustete los. »Also eigentlich wollte ich dir die herzerwärmende Geschichte erzählen, wie dein Vater mir beigebracht hat in dieser grausamen Familie zu überleben, bevor er urplötzlich verschwand, aber wenn du lieber diese Seite aufreißen möchtest... Ich bin 37.«
Wahnsinn!

Während ich versuchte das Gesagte zu verarbeiten, kramte Ling, noch immer kichernd nach den zwei Fotos, die ich im Buch verstaut hatte.
Sie betrachtete die Fotos abwechselnd und ein Lächeln der Erinnerung umspielte ihre Lippen.
»Weißt du, im Gegensatz zu den anderen hochheiligen Familienmitgliedern des Hauptzweigs war Akito immer so... zugänglich. Ich hab mich für ihn gefreut, als er dieser Familie den Rücken kehren konnte.«
Sie seufzte und schaute wieder zu mir, ein Foto erhoben, als würde sie nach Ähnlichkeiten in unserem Aussehen suchen.
»Hm...« setzte Ling schließlich wieder an. »Du siehst vielleicht nicht so aus wie er, aber du bist ihm wirklich ähnlich.«
Sie senkte das Foto wieder.
»Ich möchte dir in der nächsten Zeit erzählen wieso ich Tooru-dono tot sehen will, aber das mit der Generalversammlung war leider nicht gelogen. Also wie ist deine Antwort? Vertraust du mir?«

Das letzte Mal, als mir jemand diese Frage mit der selben Ernsthaftigkeit gestellt hat, sicherte er mein Überleben und stahl mir dabei mein Herz.
Aber trotz allen Schmerzes - körperlich und seelisch - hatte ich ihm mein Vertrauen schlussendlich und unwiderruflich geschenkt.
Er hatte es sich verdient.
Und das nicht durch diese eine Frage, die ihm so viel bedeutete.
»Ich... kann dir noch nicht vertrauen.« begann ich etwas zögerlich und schaute ihr fest in die Augen. »Aber ich würde gerne mit dir zusammen arbeiten.«

~~~

Schon am ersten Tag unseres neu erwachten geheimen Bündnisses, bemerkte ich sofort eine Veränderung, als ich am nächsten Tag den normalen Trainingsgarten betrat.
Jetzt, wo Ling mich an ihrer Seite wusste, hatte sie auch das Trainingsprogramm vollkommen umgestellt.
»Ich weiß jetzt was ich dir beibringen werde, Mimi-chan!« waren ihre ersten Worte, als ich auf sie zugeschlendert kam.
»Huh?« war meine qualifizierte Antwort darauf.
Ling deutete mit einer übertriebenen Handbewegung auf eine Holzpuppe, ähnlich der vom schweren Trainingsgarten, nur menschlicher und mit blauen, roten, grünen und gelben Punkten übersäht.
»Nun, also um ehrlich zu sein, bin ich noch etwas traumatisiert von gestern.« gab ich ihrem Enthusiasmus einen Dämpfer.
Dabei galt mein „Trauma" höchstens den Schuhen, deren Sohlen nun etwas schwärzlich und verformt waren und damit leider vollkommen ruiniert.
Nicht das ich eine spezielle Bindung zu ihnen gehabt hätte.
Ich war nur müde.

Nur ein Mensch (Satoru GojoxOC)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt